Wachsende Armut vertieft nach Einschätzung der Landesarmutskonferenz Niedersachsen die Spaltung der Gesellschaft. Schon jetzt sei die Wahlverweigerung an sozialen Brennpunkten doppelt so hoch wie in gut situierten Wohngegenden, warnte der Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz, Klaus-Dieter Gleitze, am Donnerstag in Hannover. «Unsere Gesellschaft spaltet sich faktisch immer mehr, soziale Gerechtigkeit wird immer weniger und das bedroht unsere Demokratie.» Arme Menschen müssten bei drastisch steigenden Preisen einen Großteil ihres Budgets für Nahrungsmittel ausgeben: «Trotzdem müssen sie immer häufiger zu Tafeln gehen.»
Gleitze bezog sich auf eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Demnach trägt die Einkommensungleichheit in Deutschland zu einer Entfremdung einzelner Gruppen vom demokratischen System bei. Seit 2010 sei die Armutsquote im Trend spürbar gestiegen. Damals habe sie bei 14,5 Prozent gelegen, im Vor-Corona-Jahr 2019 habe sie 15,9 Prozent betragen. 2021 hätten 16,9 Prozent der Menschen in Armut gelebt, 2022 seien es 16,7 Prozent gewesen.
Dabei sei in der Studie die hohe Inflation vor allem bei Nahrungsmitteln noch nicht berücksichtigt, betonte Gleitze. «Wenn die mitberücksichtigt wird, fällt die Mangelsituation für Arme noch drastischer aus.» Er warnte: «Mittlerweile hungern und frieren immer mehr Menschen in unserem Land. Das sorgt auch in der Mitte der Gesellschaft für wachsende Angst vor dem sozialen Absturz.»
Die Landesarmutskonferenz forderte, Armut zu bekämpfen und die Regelsätze für Bürgergeld und Grundsicherung um 200 Euro im Monat zu erhöhen, außerdem solle eine armutsfeste Kindergrundsicherung eingeführt werden. Sie sprach sich außerdem für ein Mobilitätsticket für neun Euro aus, das sich auch arme Menschen leisten könnten, für einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose und eine Vermögenssteuer für Superreiche.
Als arm gilt, wessen Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des Einkommensmittelwerts in Deutschland beträgt. Für einen Singlehaushalt liegt die Grenze nach WSI-Angaben bei maximal 1200 Euro im Monat.