Der nepalesische Bergführer Kami Rita Sherpa hat schon Dutzenden Menschen einen Lebenstraum erfüllt: Er hat sie auf den Mount Everest geführt, den höchsten Berg der Welt - und damit nun einen neuen Weltrekord aufgestellt. Am Mittwochmorgen um 7.49 Uhr stand er zum 30. Mal auf dem 8849 Meter hohen Gipfel - häufiger als je eine andere Person vor ihm, wie ein nepalesischer Behördenmitarbeiter, der sich gegenwärtig im Everest-Basislager aufhält, der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Trotzdem gibt sich der 54-Jährige bescheiden. «Es ist mir nie um die Rekorde gegangen», sagte er im Vorfeld der Deutschen Presse-Agentur. «Ich ernähre so einfach meine Familie.» Die Bergsteigerei sei für ihn einfach nur ein Job.
Kami Rita Sherpa gehört zur ethnischen Gruppe der Sherpa, die im Himalaja-Gebirge lebt. Und wie viele von ihnen stammt er aus einer Bergführerfamilie. Im Alter von 24 Jahren stand er zum ersten Mal auf dem Mount Everest. Damals, vor drei Jahrzehnten, sei die Bergsteigerwelt noch eine andere gewesen, sagte der Mann mit einem von Wetter gegerbten Gesicht etwas wehmütig. «Es gab wenige Expeditionen und wir Sherpas mussten uns mit harter Arbeit beweisen, um als Bergführer angeheuert zu werden», sagte er. Damals seien erfahrene Alpinistinnen und Alpinisten unterwegs gewesen, erzählte er. Leute, die neue Routen entdecken wollten und die monatelang mit wenigen Sherpas und Yaks auf holprigen Pfaden unterwegs gewesen seien, um überhaupt das Basislager zu erreichen.
All-Inclusive-Reisen zum Dach der Welt
Heute hingegen ist der Extremsport ein großes Business. Immer mehr Expeditionsfirmen bieten All-Inclusive-Reisen zum Dach der Welt an, die in der Regel 50.000 bis 100.000 Euro pro Person kosten. «Du kannst direkt mit dem Hubschrauber im Basislager landen und dort jedes Gericht bestellen, das du auch in einem Fünf-Sterne-Hotel in der Hauptstadt Kathmandu kriegst», sagte Kami Rita Sherpa. «Wenn du Geld hast, erhältst du im Basislager eine angenehme Unterkunft, Internetverbindung und medizinische Versorgung.»
In den Pauschalangeboten inbegriffen sind auch Ausrüstung, Sauerstoffflaschen, Unterkunft und ein Sherpa-Team, das die Route entlangführt, Gepäck trägt und kocht, sowie eine Gebühr für eine behördliche Besteigegenehmigung. Die ausländischen Gäste können sich in vielen Hotels und Teehäusern an die dünne Luft in der Höhe gewöhnen und ihre Expeditionen dauerten nur noch halb so lang wie damals, mit Anreise und Akklimatisierung etwa 45 Tage, sagte Sherpa.
Wer heutzutage zum ersten Mal den Mount Everest in der Hauptsaison im Frühling besteigen will, hat inzwischen doppelt so hohe Erfolgschancen wie noch vor etwa 20 Jahren, berichten US-Forscher im Fachjournal «PLOS One». Und die Sterberate blieb demnach nahezu unverändert.
300 bis 400 Gipfelstürmer im Jahr
Mit der Sherpa-Unterstützung schaffen es nun jedes Jahr 300 bis 400 Ausländerinnen und Ausländer zum höchsten Selfie-Punkt der Welt - Abenteurer, Monarchen, Milliardäre und viele Rekordjägerinnen. Auch ein 80-jähriger Japaner, ein 13-jähriger Amerikaner und mehrere amputierte sowie blinde Menschen waren schon dort.
«Bergsteiger müssen heutzutage nicht mehr hart arbeiten», konstatierte Kami Krita Sherpa. «Sie können sich einfach den Seilen entlanghangeln, die Sherpas entlang der ganzen Route verankert haben.» Insgesamt standen nach Angaben des Expeditionsarchivs «Himalayan Database» mehr als 6600 Menschen 12.000 Mal auf dem Gipfel. Sie hinterließen kaputte Zelte, leere Sauerstoffflaschen, Essensverpackungen und anderen Abfall, der dem Berg traurige Berühmtheit als höchstgelegene Müllhalde der Welt verschafft hat.
«Es ist gut, dass der Mount Everest jetzt so beliebt ist», sagt Kami Rita Sherpa. «Mehr Tourismus hilft uns allen.» Aber die Tatsache, dass immer mehr Menschen ohne jegliche Erfahrung das große Abenteuer am Berg suchen, beunruhigt ihn: «Sie riskieren ihr Leben - und das von anderen.» Auch von Sherpas wie ihm. «Man braucht trotz alledem gewisse Fähigkeiten, eine gute Gesundheit und Glück, um die Kälte, die dünne Luft, Lawinen und andere Gefahren zu überleben.»
Berg des Todes
Einige Abenteurerinnen und Abenteurer holen sich Frostbeulen oder sie bekommen anschließend Zehen amputiert. Und wer nach oben will, muss an Leichen vorbei. Dutzende Körper sind nie geborgen worden - auch weil dies teuer ist. Insgesamt sind nach Daten der «Himalayan Database» mehr als 300 Menschen bislang auf dem Berg gestorben - mehr als ein Drittel davon Sherpas. Sie müssen die großen Lasten schleppen und damit häufiger zwischen den vier Höhenlagern auf- und absteigen als ihre Kundinnen und Kunden, die hingegen oft mehr Ruhm und Anerkennung in Form von Sponsoring oder Bücherverträgen kriegen.
Inzwischen würden etliche Sherpa-Bergführer ihren Job aufgeben und Alternativjobs suchen - etwa als Bergführer im Ausland oder in einem ganz anderen Beruf, sagte Kami Rita Sherpa. Die hohen Risiken seien für viele Bergführer trotz einer Bezahlung von umgerechnet knapp 3000 Euro bis mehr als 10.000 Euro je nach Erfahrung für pro Saison schlicht nicht wert, ihr Leben zu riskieren.
Und wenn einem etwas zustieße, sei die Familie schlecht abgesichert. Um die Nachfrage im Bergsteigerbusiness zu decken, würden Expeditionsfirmen heutzutage Bergführer und Gepäckträger mit wenig oder gar keiner Erfahrung anheuern, sagte er. Das sei ein besorgniserregender Trend. Selbst will er so lange weiter auf den Mount Everest steigen, wie es seine Gesundheit erlaube. Aber seinen Kindern rät er, einen anderen Job einzuschlagen. Seine Tochter Pasang studiert Informatik, sein Sohn Lakpa Tourismusmanagement.