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«Friedlicher Vertrag»: Thüringer Koalition ist sich einig

Die Verhandlungen waren holprig - BSW-Chefin Wagenknecht funkte dazwischen. Nun fanden CDU, BSW und SPD einen Kompromiss in der Friedensfrage. Eine neue Thüringer Regierung könnte im Dezember stehen.
Vorstellung Koalitionsvertrag von CDU, BSW und SPD in Thüringen
Vorstellung Koalitionsvertrag von CDU, BSW und SPD in Thüringen

Thüringen steuert nach harten Verhandlungen über friedenspolitische Forderungen von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht auf Deutschlands erste Brombeer-Koalition bestehend aus CDU, BSW und SPD zu. Fast drei Monate nach der Landtagswahl legten die Parteichefs in Erfurt ihren Koalitionsvertrag vor. Zu den lange umstrittenen Themen Frieden und Mittelstreckenraketen fanden sie einen Kompromiss: Die Präambel zu dem Regierungsprogramm wurde nicht verändert, vorgenommen wurden jedoch Ergänzungen im Vertragstext. 

In Sachsen waren Verhandlungen von CDU und SPD mit dem BSW geplatzt, in Brandenburg wird eine Koalition aus SPD und BSW angestrebt. In Thüringen müssen Gremien und Mitglieder der drei Parteien dem Vertrag noch zustimmen.

Fundament für erste Brombeer-Regierung gelegt 

CDU-Chef Mario Voigt, der voraussichtlich im Dezember bei der Ministerpräsidentenwahl antritt, nannte den Koalitionsvertrag das «Fundament für eine neue, handlungsfähige Regierung», die das Leben der Menschen in Thüringen besser machen wolle. Die Verhandlungen seien von Freundlichkeit und Pragmatismus geprägt gewesen. Es sei ein «ganz besonders friedlicher Vertrag», sagte Voigt. 

«Wir wurden nicht füreinander geschaffen, aber wir sind in Verantwortung, aufeinander zuzugehen», sagte der SPD-Vorsitzende Georg Maier. Das Ergebnis sei gut, er gehe deshalb mit Zuversicht in die SPD-Mitgliederbefragung, die in der kommenden Woche starte. «Thüringen braucht einen Neustart», so die BSW-Vorsitzende Katja Wolf. Ihr Co-Vorsitzender Steffen Schütz merkte zu den drei Koalitionären an: «Wir sind füreinander bestimmt, wir werden es beweisen.» 

Zur Rolle von Wagenknecht bei den Verhandlungen, die zeitweise auf der Kippe standen, sagte Wolf: «Ja, wir haben an der einen oder anderen Stelle miteinander gerungen.» Bei der Friedensfrage sei es beim BSW «ums Eingemachte gegangen». Deshalb verstehe sie, dass das ein wichtiger Punkt für Wagenknecht sei. Sie könne sich vorstellen, dass die BSW-Gründerin - wenn sie es zeitlich einrichten könne - zum Parteitag am 7. Dezember komme, wenn die Thüringer Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Es sei eigentlich nicht nötig, sie zu diesem historischen Moment einzuladen, so Wolf.

Wagenknecht: Zwei Regierungsbeteiligungen möglich

Wagenknecht hatte sich bereits in den vergangenen Tagen positiv zum Thüringer Koalitionsvertrag geäußert - das vorausgegangene Sondierungspapier hatte sie noch hart kritisiert. «Die Kritik und der Druck aus der Partei haben dabei geholfen, in Thüringen jetzt wesentlich stärker die Handschrift des BSW zu verankern und auch friedenspolitisch klarere Positionen, etwa eine Kritik an den US-Raketenplänen, durchzusetzen», sagte Wagenknecht der dpa. «Stand jetzt werden wir uns an zwei Landesregierungen beteiligen, das ist für eine Partei, die es noch kein Jahr gibt, beispiellos.» 

Neuer Passus zur Friedenspolitik

Im Kapitel zur Europapolitik steht, man erkenne an, dass viele Menschen die Stationierung von Mittelstreckenraketen «als eine fundamentale Veränderung der strategischen und militärischen Lage in Europa und auch in Deutschland begreifen». «Eine Stationierung und deren Verwendung ohne deutsche Mitsprache sehen wir kritisch», heißt es nun in dem Papier. Thüringens SPD-Chef Georg Maier sagte, der Satz beschreibe die geltende Rechtslage. Bei der Formulierung zu Mittelstreckenraketen «ist uns aus meiner Sicht ein großer Wurf gelungen», äußerte Wolf. 

Voigt sagte, die Souveränität eines Staates müsse es gebieten, «dass ein Parlament einer Regierung beteiligt ist, wenn auf ihrem eigenen Territorium was passiert». «Dieses Prinzip kennen wir seit der nuklearen Teilhabe, dieses Prinzip kennen wir in höchstrichterlicher Rechtssprechung», sagte er.

Landeshausländerbehörde soll kommen 

Einen Richtungswechsel will die Brombeer-Koalition unter anderem in der Migrationspolitik erreichen. «Wir werden weniger Asylbewerber aufnehmen, abgelehnte Asylbewerber werden wir nicht auf die Kommunen verteilen», sagte Voigt. In dem 126 Seiten umfassenden Papier kündigen die drei Parteien eine Landesausländerbehörde an, die Aufnahme, Anerkennung von Berufsabschlüssen, Integration und Abschiebungen bündeln soll. «Wer keinen Schutzgrund hat, über seine Identität täuscht oder sich nicht an Regeln hält, insbesondere Straftaten begeht, muss unser Land wieder verlassen», heißt es darin. 

Keine Änderung soll es bei der Zahl der Minister in Thüringen geben - es würden neun bleiben. Vorgesehen sei, dass die SPD als kleinster Partner zwei Minister stellen wird, sollte es zur ersten Brombeer-Koalition kommen. Das erst in diesem Jahr gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht wird nach den Angaben drei Minister stellen. Die CDU als stärkster Partner werde neben dem Ministerpräsidenten vier Ministerposten bekommen, darunter voraussichtlich den Minister in der Staatskanzlei. Möglicherweise werde der Zuschnitt einzelner Ministerien verändert. Die Personalien sind noch nicht entschieden.

Schwierige Mehrheitsverhältnisse im Landtag

Die drei Parteien müssen, wenn ihre Gremien zustimmen, unter schwierigen Bedingungen regieren. Sie haben im Thüringer Landtag 44 von 88 Sitzen. Eine nach den Parteifarben benannte Brombeer-Koalition wäre damit bei Entscheidungen auf mindestens eine Stimme der Opposition – also von Linke oder AfD – angewiesen. Bei der Mehrheitsfindung wollen CDU, BSW und SPD auf ein Konsultationsverfahren setzen, bei dem sie vor der Einbringung von Gesetzen oder Initiativen die anderen Fraktionen über Kernpunkte informieren und deren Positionen einholen. SPD-Chef Maier hält Gespräche mit der Linken für nötig, um zu Mehrheiten zu kommen. «Wir müssen die AfD von der Macht fernhalten», sagte er. Er bekräftigte, mit der SPD werde es keine wechselnden Mehrheiten mit der AfD bei Entscheidungen geben.

© dpa
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