Die Vorurteile war Hannah Schröder irgendwann so sehr leid, dass sie nicht mehr zugab, dass sie den ganzen Weg bis an die Südspitze Afrikas radeln wollten. Erst einmal bis Portugal, sagte die damals 20-Jährige dann immer, kurz nachdem sie und ihre 19-jährige Schwester Greta an einem verregneten Julitag vor fast drei Jahren mit den Rädern die hessischen Kinderzimmer hinter sich gelassen hatten. «Weil jeder so negativ reagiert hat, als wir gesagt haben, dass wir bis nach Südafrika fahren! Jeder hat gesagt: "Nein, das ist nicht möglich." Es war aber klar: Wir fahren einfach immer weiter, bis wir keine Lust mehr haben.»
Die Lust ist ihnen mehr als 10.000 Kilometer weiter südlich noch nicht abhandengekommen. Mit dem Rad, aber auch mal mit dem Güterzug oder per Anhalter, wenn es sein muss, bahnen sich die Schwestern, heute 23 und 22, ihren Weg an der Westküste Afrikas entlang, mittlerweile bis nach Kamerun. Mehr als 110.000 Menschen schauen ihnen mittlerweile auf Instagram dabei zu, wo sie fast täglich mal strahlend, mal frustriert, oft staubig und verschwitzt von ihrem Abenteuer erzählen.
Die Sahara im Sandsturm durchquert
Um einen Streckenrekord geht es nicht – andere Radreisende ziehen an ihnen vorbei, während die jungen Frauen auch mal monatelang ein Land erkunden oder, wenn das Visum auszulaufen droht, auch mal auf einem Lastwagen mitfahren. Sie durchquerten die Sahara im Sandsturm und den Dschungel im Regen, schleppten Räder und Gepäck durch knietiefen Schlamm und brusthohes Wasser, wurden in Guinea vom Unwetter fast in einen Fluss gespült und im Norden Ghanas von 30 Männern mit Gewehren und Macheten nachts im Busch für Terroristen gehalten.
«Das war ein Moment, in dem wir extrem Angst hatten», sagt Hannah. «Aber dann hat sich superschnell herausgestellt, dass wir keine Terroristen sind, wir haben mit ihnen darüber gelacht und sie haben uns eine gute Nacht gewünscht und gesagt, dass wir das nächste Mal bei ihnen im Dorf schlafen sollen, weil da alles sicher sei. Das war ein superschönes Gespräch und dann hatten sie auch keine Angst mehr, wer da im Busch schläft.»
Hannah hatte dreimal Malaria – Greta blieb verschont, liegt während des Videogesprächs mit der Deutschen Presse-Agentur aber mit Magendarm im Hotelbett in Nigerias Hauptstadt Abuja. Ein Hotel ist seltener Luxus - meist zelten die jungen Frauen, die sich nach eigenen Angaben nur von ihrem Ersparten durchschlagen, wild in Feldern, Ruinen oder Rohbauten. In Dörfern dürfen sie oft in Höfen oder Hinterzimmern von Läden schlafen oder werden gleich von Familien unter ihre Fittiche genommen.
«Wir schließen nicht mal unsere Fahrräder an»
«Wir hatten vorher schon recht viel Vertrauen in die Menschheit, aber jetzt durch diese Reise ist es wirklich so unfassbar tief geworden. Wir machen uns keine Sorgen mehr», sagt Greta. «Man findet immer Menschen, die einem helfen oder gute Laune machen mit irgendeiner Kleinigkeit.» «Wir schließen nicht mal unsere Fahrräder an. Wir haben nachts immer unsere Sachen draußen, egal ob wir in Dörfern schlafen oder mitten in der Wildnis», fügt Hannah hinzu. «Noch nie ist irgendwas weggekommen und wir sind jetzt seit drei Jahren unterwegs.»
Auf die Idee, nach Afrika zu reisen, kamen die Schwestern durch die Geschichten ihres Vaters, der als junger Mann mit dem Auto nach Ghana gefahren war. Das Fahrrad kam später dazu, um möglichst günstig zu reisen und viele Menschen kennenzulernen. Mittlerweile kennen die beiden jede noch so kleine Schraube an ihren nach Kinderbuchfiguren benannten Drahteseln Nulli und Priesemut.
Immer wieder treffen sie auch andere Radreisende. «In Marokko sind es sehr viele, aber viele fahren nur bis zum Senegal. Ich schätze, vom Senegal bis Südafrika sind jetzt gerade vielleicht etwa 50 unterwegs», sagt Hannah. Außer ihnen seien nach ihrem Wissen im Moment nur zwei weitere allein reisende Frauen auf der Strecke unterwegs. Organisiert sind die Radreisenden per Whatsapp-Chat. Für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club ist das Phänomen kein Thema. «Der ADFC hält sich aus Gründen des Klimaschutzes bei der Empfehlung von Fernreisen mit dem Rad zurück», teilt eine Sprecherin mit.
Fehlende Privatsphäre
Die Schwestern sorgen sich auf andere Art um die Nachhaltigkeit ihrer Reise. «Die letzten Monate hatten wir so große Zweifel wie noch nie. Das liegt vor allem daran, dass wir unseren eigenen Anforderungen und Prinzipien nicht mehr gerecht werden können», schrieben sie auf Instagram. Dort zeigen sie nicht nur die traumhaften Fotos ihrer Fahrt. Immer wieder geht es auch um die belastenden Seiten: Neben der körperlichen Anstrengung etwa auch die fehlende Privatsphäre, da sie überall auffallen und umringt werden. Die Mädchen wollen nicht nur durch die Landschaft fahren - ihre Reise sehen sie als ein Geben und Nehmen.
«Der größte Punkt ist einfach, dass wir nicht mehr so viel Energie haben. Dadurch können wir mit Leuten nicht mehr so interagieren wie wir gerne würden, und brauchen dann eher Zeit für uns, haben die aber auch nicht», erklärt Greta. «Wir versuchen immer zuzuhören, zu lernen, nicht mit geschlossenen Augen durch das Land fahren. Wir wollen jede Situation wahrnehmen und zuhören, auch egal, wie schwer es ist. Das ist das Mindeste, was wir machen können, von diesen Menschen zu lernen und zu hören, was sie brauchen, was sich verändern soll. Wenn das aufhört, wie es das gerade tut, wenn wir nicht mehr die Energie dafür haben, dann wollen wir nicht mehr weiter reisen», sagt Hannah.
Deshalb steht nun eine Pause an: Den Sommer über lassen die Schwestern die Räder in Kamerun stehen und fliegen Anfang Juni (7.6.) von Douala in Kamerun nach Deutschland. Weitergehen soll es diesmal erst nach der Regenzeit, ungefähr im Oktober.
«Die Länder, die jetzt kommen, sind die unsichersten auf unserer Reise. Und die Fahrräder gehen immer weiter kaputt, wir sind nur am Reparieren. Das ist psychisch so anstrengend», sagt Hannah. «Ich glaube, wenn wir nach Hause fahren und unser sicheres Bett haben, unsere sozialen Batterien wieder aufladen und dann wieder zurückkommen, dann können wir die Reise wieder so genießen, wie wir sie genießen wollen und wieder so reisen, wie wir reisen wollen.»