Einzigartig sind sie auf der Welt: Von den Großen Seen hat wahrscheinlich jeder Schüler im Erdkundeunterricht gehört - dem Eriesee und dem Ontariosee, dem Michigansee und dem Huronsee. Und schließlich auch vom Oberen See. Auf Englisch heißt er Lake Superior und ist der größte der fünf. So groß und so tief, dass die vier anderen locker Platz in ihm hätten.
Auch eine Kreuzfahrt kann schon mal zur Lektion in Erdgeschichte werden. Bei der letzten Eiszeit, so die Geo-Experten auf der «Hanseatic Inspiration», waren Kanada und der Norden der USA von dicken Gletschern bedeckt. Als die zu schmelzen begannen, blieb das Wasser in den riesigen Löchern, die die Verwerfungen in der Erdkruste geschaffen hatten. Die Großen Seen entstanden.
Und damit ein Kreuzfahrtschiff heute nicht ganz so leicht auf ihnen herumschippern kann, gab sich die Erde zwischen dem Erie- und dem Ontariosee vor Jahrmillionen noch einen Ruck: Die Niagara-Stufe entstand, über die sich später der überlaufende Eriesee ergießen sollte. Aber ein Meisterwerk der Technik macht heute auch diese Passage möglich.
Start der Kreuzfahrt ist in Toronto, Ontario. Wer Kanadas größte Stadt bisher nicht kennt, kommt ein paar Tage früher - auch, um sich in 346 Metern Höhe auf das Fahrgebiet einzustimmen: Vom CN Tower aus, bei seiner Eröffnung 1976 höchster Turm der Welt, ist das Panorama irre: Wie ein Meer liegen sie da, die Great Lakes. Ein gegenüberliegendes Ufer ist nicht zu sehen. Sogar die Erdkrümmung am Horizont erkennt man.
Durch den Welland-Kanal in acht Schleusen
Nach dem Ablegen in der Nacht beginnt für manche Passagiere schon ein spannender Teil der Reise: der Tag auf dem Welland-Kanal, das ist die Umfahrung der Niagara-Fälle. Mit acht Schleusen werden auf dem Weg vom Ontariosee zum Eriesee rund 100 Meter Höhe überwunden. Die Höhe, aus der die Wassermassen in die Tiefe stürzen.
Das Navigations-Schauspiel, das Kapitän Jörn Gottschalk abliefert, fasziniert – denn das Schiff passt gerade so in die Schleusen. Ein bisschen Platz bleibt nach rechts und links, trotzdem ist dies Zentimeterarbeit für den erfahrenen Kapitän, der das Expeditionsschiff der Hapag-Lloyd-Gruppe dirigiert.
22 Meter breit und 138 Meter lang ist die «Hanseatic Inspiration» mit 5,60 Meter Tiefgang: Gegenüber einem der Megapötte der Branche hat sie damit vergleichsweise bescheidene Ausmaße. Ein Vorteil: «Sie ist eines der wenigen Schiffe, die diese Route überhaupt fahren können», sagt Gottschalk. Auch mit dieser Absicht hat die Reederei es 2019 in Dienst gestellt.
Insgesamt werden die Passagiere auf dieser Reise 15 Schleusen durchfahren und dabei insgesamt 175 Höhenmeter überwinden. Von Norden nach Süden über den Ontariosee, von Osent nach Westen über den Eriesee – und dann steht der erste Stopp an: in Windsor, auf der kanadischen Seite des Detroit River.
Die Attraktion allerdings liegt auf der anderen Seite des Grenzflusses: Im von der Reederei organisierten Shuttle mit Grenzübertritt und Kontrolle der Papiere darf, wer will, nach Detroit fahren, in die Motor City. Die Stadt, in der Henry Ford das Auto zum Massenprodukt machte. Die Stadt, die den 1970er-Jahren bankrott ging, zwielichtige Gestalten anzog und von der touristischen Landkarte verschwand. Die noch viele Art déco-Hochhäuser und andere architektonische Schätze besitzt, weil man zu arm war, sie abzureißen. Die sich wieder gefangen hat und ein spannender Stopp ist für einen Tag an Land.
Die Natur übernimmt
Nach Detroit ist es mit Hochhäusern und Millionenstädten am Ufer weitgehend vorbei, die Natur übernimmt auf dem weiteren Weg über den Lake St. Clair, Detroits Haussee, der selbst nicht zu den Great Lakes zählt. Über den St. Clair River, durch dessen Mitte die Grenze zwischen den USA und Kanada verläuft, schippert man weiter auf den Huronsee und auf kanadischer Seite in die Georgian Bay hinein.
Die Bucht gilt unter Geologen als sechster Großer See, denn sie ist rund 190 Kilometer lang und 80 Kilometer breit – und hat damit die Fläche von rund 80 Prozent des Ontariosees. Zudem ist die Riesenbucht von Land nahezu eingeschlossen. Hier legt das Schiff gleich mehrere Male an: über einen Nachmittag hinweg in Tobermory, in Killarney und in Parry Sound.
Nun ist es eine Reise wie aus dem Bilderbuch: felsige Landschaften, kleine Leuchttürme, weite Wälder. Wer im Herbst unterwegs ist, kann den imposanten Indian Summer erleben – wenn das Wetter mitspielt.
Bevor der Tourismus einzog, war hier das Land der Ureinwohner und später der Trapper. Als der Biber und andere Pelztiere in Europa fast ausgerottet, die Felle aber noch immer in Mode waren, handelte man über den Atlantik mit ihnen. Heute ist von der Ausbeutung der Natur nichts mehr zu sehen, auch nicht von der Verschmutzung der Seen, in die jahrzehntelang Industrieabfälle geleitet wurden.
Einen ganzen Schärengarten gibt es bei Parry Sound. Während einer Rundfahrt mit einem örtlichen Ausflugsboot kommen die Besucher näher an kleine Felsen und größere Inselchen heran, die teils bebaut sind. Killarney ist ein noch kleinerer Ort, in dem allerdings das angeblich größte Holzpaddel der Welt steht – als Wegweiser, um von dort aus zum kleinen, weißen East Lighthouse zu wandern.
Über flache Granitfelsen, durch dichte Mischwälder geht es dorthin, immer am Seeufer entlang. Zurück am Schiff werden die bordeigenen Gummiboote zu Wasser gelassen. So kommt man den kleinen Inselchen noch ein wenig näher.
Kollektiver Grenzübertritt per Bus
Weiter geht es nach Sault Ste. Marie, einem eher verschlafenen Ort, der auf der kanadischen und der amerikanischen Seite denselben Namen trägt. Durch den Saint Marys River verläuft erneut die Grenze, die den Ort als Folge des Krieges zwischen den Briten und Amerikanern 1812 in zwei Hälften teilt.
Gleichwohl ist Sault Ste. Marie ein wichtiger Hafen für die Verschiffung von Gütern auf den Lake Superior – ab hier ist die «Inspiration» nicht mehr in kanadischen Gewässern unterwegs, der US-Part der Kreuzfahrt beginnt.
Die «Einwanderung» folgt strengem Protokoll: Der Kapitän muss das leere Schiff vom einen in den anderen Hafen übersetzen, während die 230 Passagiere in Bussen zur Grenzstation in den USA gefahren werden und einzeln ihre Einreisegenehmigung präsentieren müssen. Erst wenn alle wieder zurück am Schiff sind, treten die uniformierten, bewaffneten Bewacher vor der Gangway zur Seite und lassen die Seefahrer zurück an Bord.
Am nächsten Tag ankert das Schiff vor Mackinac Island. Die Insel im Huronsee ist autofrei, nur Pferdekutschen und Fahrräder sind hier unterwegs.
Schon von Bord aus fällt Besuchern ein riesiges weißes Gebäude auf: das «Grand Hotel», das im Jahr 1887 eröffnet wurde – für die Sommerfrischler, die mit Zug und Dampfer aus Michigan hierherkamen. Und weil der Amerikaner zu Superlativen neigt, gibt es auch hier einen: Angeblich hat das Hotel die längste Veranda der Welt, über 200 Meter misst sie.
Die Schiffsreise endet schließlich am Westufer des Michigansees in Milwaukee, größte Stadt Wisconsins – mittendrin im Mittleren Westen. Harley-Davidson wurde hier gegründet, die deutsche Community ist groß und die Craft-Beer-Szene weithin bekannt. Diesen letzten Landgang der Reise können sich die Kreuzfahrer selbst organisieren.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Die Großen Seen liegen zwischen Kanada und den USA im Osten und Mittleren Westen, die Staatsgrenze verläuft überwiegend durch die Seen. Nur der Michigansee ist komplett in den USA. Während man auf der kanadischen Seite die ganze Zeit über in der Provinz Ontario bleibt, grenzen im Süden die Bundesstaaten New York, Pennsylvania, Ohio, Michigan, Wisconsin und Illinois an die Großen Seen.
Anreise: Verschiedene Fluggesellschaften fliegen von Deutschland aus direkt nach Toronto und Chicago.
Einreise: Touristen aus Deutschland brauchen einen Reisepass sowie gebührenpflichtige elektronische Einreisegenehmigungen für die USA (Esta; 21 US-Dollar) und Kanada (Eta; 7 Kanadische Dollar).
Kreuzfahrt: Aktuell bietet Hapag-Lloyd Kreuzfahrten über die Großen Seen nur im Herbst an, die Route wurde um den Superior Lake erweitert. 13 Tage Seereise von Toronto nach Milwaukee kosten ab 9170 Euro pro Person, ein Anreisepaket mit Flügen und Transfers kann zusätzlich gebucht werden.
Währung: 1 US-Dollar entspricht 0,91 Euro, ein Kanadischer Dollar 0,67 Euro (Stand: 17.07.2024)
Weitere Auskünfte: visittheusa.de; destinationontario.com