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Fußball-EM: Wenn der Eismann doch nicht klingelt

Beim Spiel gegen Russland schießt Finnlands „Eismann“ ein Abseits-Tor und zieht dann den Kürzeren, die Türkei verliert ihr Quasi-Heimspiel in Baku und Italien hat mit den Nachbarn aus der Schweiz wenig Mühe.
16. Juni EM-Vorrunde 2. Spieltag
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Finnland – Russland 0:1

Bis 1917 gehörte Finnland zum Russischen Reich und wurde von St. Petersburg regiert. 1940 versuchten die Russen Finnland noch einmal zu erobern und nach dem Zweiten Weltkrieg verpflichteten sich die Finnen als ehemalige Bündnispartner von Nazi-Deutschland zur Neutralität. Insofern lag beim Spiel Finnland gegen Russland ausgerechnet in St. Petersburg eine Menge historischer Sprengstoff in der Luft.

Doch kommen wir zum Sportlichen: Die Finnen reisten überraschenderweise mit drei Punkten an, die sie beim denkwürdigen Spiel in Kopenhagen gewonnen hatten. Der dänische Mittelfeldspieler Christian Eriksen brach bei diesem Spiel zusammen, musste reanimiert werden, ist aber mittlerweile wieder auf dem Wege der Besserung.

Bei jenem Spiel präsentierte sich vor allem Joel Pohjanpalo hellwach und erzielte das goldene Tor. Fast war es in der 3. Minute gegen Russland wieder so weit, doch das angebliche 1:0 des „Eismanns“ in Diensten von Union Berlin wurde wegen Abseits aberkannt. Das Tor hätte dem Matchplan der „Uhus“ zweifellos gutgetan, denn fortan stellten sie sich tief in die eigene Hälfte, aber eben ohne Führung im Rücken. Im 5-3-2 waren die Spitzen Pohjanpalo und Pukki weitgehend auf sich allein gestellt.

Russland erspielte sich immer Feldanteile und wirkte gegenüber dem katastrophalen Auftritt gegen Belgien wie ausgewechselt. Ausgewechselt worden war auch Torhüter Shunin. An seiner Stelle hütete Safonov den Kasten der Osteuropäer und leistete sich anders als sein Konkurrent keine nennenswerten Schnitzer. Ein weiterer Schlüssel war die Taktik, ein offensives 3-4-3, aber nach dem 0:3 gegen Belgien war natürlich auch Offensive angesagt.

Erst in der letzten Viertelstunde versuchte Finnland alles und öffnete Räume, die die Russen nicht nutzen konnten. Insgesamt könnte es in der Gruppe am letzten Spieltag zu einem packenden Showdown kommen, wo Finnland mit EM-Geheimfavorit Belgien die deutlich schwierigere Aufgabe hat. Russlands Chancen gegen Dänemark stehen da besser.

Türkei – Wales 0:2

Der Videotext ist immer noch eine feine Sache, denn als Service zur Fußball-EM wird doch auf der entsprechenden Seite von ARD und ZDF der Text der Nationalhymnen dargestellt, und zwar in der Landessprache und in Deutsch. Wer hier so rein gar nichts verstand, war nicht allein, denn die walisische Hymne ist nicht in Englisch, sondern in Walisisch verfasst. Tatsächlich waren auch ein paar Waliser im aserbaidschanischen Baku dabei, um „Hen Wlad Fy Nhadeu“ zu schmettern, doch im weiten Rund hatten sie ansonsten keine Chancen. Die Türkei hatte nicht nur nominell, sondern auch de facto ein Heimspiel, zumal die Aserbaidschaner es fast alle ausschließlich mit den Türken hielten.

Die Rollen waren klar verteilt: Wales konnte gemütlich abwarten, nachdem man gegen die Schweiz einen Punkt geholt hatte. Die Türkei hatte klar mit 0:3 in Italien verloren und musste alles riskieren. Das spiegelte sich auch in den taktischen Formationen wider. Wales igelte sich mit einem 4-5-1 ein und lauerte auf Konter, während die Türken im offensiven 4-3-3 antraten, unter anderem auch mit zwei Ex-Spielern von Fortuna Düsseldorf, Kenan Karaman und Kaan Ayhan, dem früheren Karlsruher und Leverkusener Calhanoglu und dem früheren Freiburger Söyüncu.

Das Problem der Türken war also weniger die Formation oder das Personal, sondern die mangelnde Laufbereitschaft. Der ballführende Spieler war ein ums andere Mal die berühmte „ärmste Sau auf dem Platz“, weil kein freier Mitspieler zu finden war. Wales stellte die Räume geschickt zu und fing teils frühzeitig den Ball ab. Dann ging es meist über die pfeilschnellen Außen Richtung türkisches Tor. Kurz vor der Pause erzielte denn auch Ramsey das 0:1.

Eine tragikomische Rolle kam dann dem walisischen Superstar zuteil. Gareth Bale, der in seiner Zeit bei Real Madrid gesagte hatte, bei ihm komme an erster Stelle Wales, dann Golf und dann erst Madrid, wurde im türkischen Strafraum gefoult, führte selbst aus und schoss in Uli-Hoeneß-Manier in die Wolken über Baku. Kurz darauf hätte er fast einen Abpraller von Torhüter Cakir genutzt, doch der Pressschlag landete im Aus. Als dann sein Mannschaftskamerad Roberts nach Bales Vorarbeit in der 6. Minute der Nachspielzeit das erlösende 0:2 gelang, brachen bei Bale verständlicherweise alle Dämme.

Für die türkischen Spieler, die sich danach in der Rudelbildung gegen die Rugby-erprobten Waliser versuchten, steht das Aus bei der Fußball-EM kurz bevor. Selbst mit einem Sieg gegen die Schweiz dürfte es ziemlich unwahrscheinlich sein sich als einer von den vier besten Gruppendritten für das Achtelfinale zu qualifizieren. Wales hingegen kann aus eigener Kraft den zweiten Platz schaffen, doch der Gegner im dritten Spiel der Vorrunde heißt Italien.

Italien – Schweiz 3:0

Eben jene Italiener hatten es in der Abendpartie mit der Schweiz tun. Bei besten äußeren Bedingungen, 26 Grad Celsius und wolkenloser Himmel bei leichtem Wind, fieberten zahlreiche Tifosi und ein paar angereiste Schweizer Fans dem Nachbarschafts-Derby in Rom entgegen.

Im Mittelpunkt stand zunächst der italienische Kapitän Chiellini. Zunächst erzielte er das 1:0 aus kurzer Distanz, dann wurde der Treffer aber wegen Handspiels aberkannt. Wenige Minuten später musste der Kapitän verletzt von Bord. Davon ließ sich die „Squadra Azzurra“ aber nicht entmutigen. Wie in einer Einbahnstraße rollte Angriff auf Angriff im 4-3-3-System auf das Schweizer Tor zu. Fast schon zwangläufig fiel in der 26. Minute das 1:0 durch Locatelli.

Man fragte sich die ganze erste Halbzeit über, warum die Schweizer so passiv waren, waren sie doch wegen des walisischen Siegs über die Türkei eigentlich in Zugzwang. Sie kamen im 5-3-2 aber kaum aus der eigenen Hälfte heraus und schossen nicht einmal aufs Tor. Nach der Pause wurde dann aus dem 5-3-2 eher ein 3-5-2 mit mehr Risiko, doch das Schweizer Engagement ging nach hinten los, als wieder Locatelli in der 52. Minute das 2:0 markierte. In der Folge schalteten die Italiener in den Verwaltungsmodus, doch Immobile wollte unbedingt sein Tor und machte kurz vor Schluss das 3:0.

Italien ist damit sicher für das Achtelfinale qualifiziert und aus meiner Sicht neben Belgien, England und Frankreich einer der Top-Favoriten auf den EM-Titel. Eine sichere Abwehr plus schnelle Angriffe im One-Touch-Modus sind eine erfolgversprechende Mischung. Für die Schweiz geht es gegen die Türkei eigentlich nur um einen Sieg, denn mit vier Punkten können sie als Gruppenzweiter oder -dritter weiterkommen.

© Tom Meyer
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