Die seit 33 Jahren in Rheinland-Pfalz regierende SPD stellt sich neu auf und setzt weiter auf eine Doppelspitze. Ministerpräsidentin Malu Dreyer kündigte am Mittwoch in Mainz nach elf Jahren im Amt ihren Rückzug an. Die 63-Jährige begründete den Schritt in Mainz damit, dass ihr die Kraft ausgehe. Damit schrumpft auch die Zahl der Frauen im 16-köpfigen Reigen der Länderregierungschef auf dann noch zwei - Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern und Anke Rehlinger im Saarland (beide SPD).
Nachfolger Dreyers an der Regierungsspitze soll der 50-jährige Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) werden, seine Wahl im Landtag ist am 10. Juli geplant. Die SPD-Fraktion sprach sich am Mittwoch Dreyer zufolge einstimmig für ihn aus. Eine Frau wird in ein Partei-Spitzenamt aufrücken. SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler soll als Vorsitzende der Landespartei auf Roger Lewentz folgen, voraussichtlich bei einem Parteitag im November.
«Ich gehe mit schwerem Herzen»
Dreyer sprach von einer schweren Entscheidung. «Ich gehe mit schwerem Herzen.», sagte sie. «Ich hatte keinen Grund verzagt zu sein. Ich bin einfach nur müde, nicht amtsmüde. Die Kraft geht aus», erläuterte Dreyer sichtlich bewegt. «Ich bin 63, also noch nicht uralt. Aber ich muss mir eingestehen, es ist nicht mehr so wie mit 50.» Weiter sagte Dreyer: «Meine Akkus laden sich nicht mehr so schnell auf.» Nach dem Amtswechsel wolle sie erstmal nichts tun und ausruhen.
Die 63-Jährige hat Multiple Sklerose (MS), geht offen mit ihrer Krankheit um, nannte sie aber nicht im Zusammenhang mit dem Rücktritt. Die Entscheidung zum Rücktritt sei in den vergangenen Wochen gereift, getroffen habe sie sie vor einigen Tagen, sagte Dreyer. Die Erkrankung war 1995 bei Dreyer diagnostiziert worden, 2006 machte die Politikerin das öffentlich. MS ist eine entzündliche Erkrankung, die das Zentrale Nervensystem betrifft, ihr Verlauf kann sehr unterschiedlich sein.
Scholz nimmt Rücktritt mit «sehr großem Respekt» auf
Zahlreiche Spitzenpolitiker würdigten Dreyers Verdienste. SPD-Bundeschefin Saskia Esken nannte sie «eine der erfolgreichsten Ministerpräsidentinnen Deutschlands», Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) eine überzeugte und leidenschaftliche Demokratin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm den angekündigten Rücktritt «mit sehr großem Respekt» auf. «Er schätzt sie sehr als verlässliche und volksnahe Politikerin, die sich nicht ohne Grund hoher Beliebtheit erfreut», sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin.
Mit Blick auf ihren designierten Nachfolger in Rheinland-Pfalz sagte Dreyer, sie sei sich sicher, ihr Amt in die besten Hände zu geben. Schweitzer sei der richtige Mann in diesem Moment. Als mögliche Nachfolger waren neben Schweitzer auch Innenminister Michael Ebling (SPD) und die derzeitige Landtagsfraktionschefin Bätzing-Lichtenthäler, die nun SPD-Landeschefin wird, gehandelt worden. Zu Ebling sagte Dreyer am Mittwoch: «Jede Regierung braucht einen starken Innenminister, in dieser Zeit sowieso.»
Schweitzer sprach vom Ende einer Ära. «Es sind sehr große Fußstapfen, in die ich trete», sagte der über zwei Meter große Pfälzer. Es gebe einen hervorragenden Koalitionsvertrag, den er weiter umsetzen wolle. Als andere Persönlichkeit werde er auch andere Akzente setzen. Er wolle auch nach 2026 mit der Ampel-Koalition weitermachen.
Der designierte Nachfolger Schweitzer sieht «Ende einer Ära»
Sein Nachfolger im Ministeramt steht noch nicht fest. Dafür sei es noch zu früh, sagte Schweitzer. Eine Kabinettsumbildung werde es nicht geben. Der Familienvater sagte mit Blick auf den Karrieresprung: «Meine Frau trägt es mit großer Fassung. Wir kennen uns seit Schulzeiten.» Mit Bätzing-Lichtenthäler werde er gut zusammenarbeiten, er kenne sie bereits seit Juso-Zeiten.
Die Ankündigung Dreyers kommt anderthalb Wochen nach der Schlappe der Sozialdemokraten bei der Europawahl und den Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz. Die SPD war bei der Europawahl am 9. Juni im Land auf 17,5 Prozent abgesackt, ein Minus von 3,8 Prozentpunkten. Bei den zeitgleichen Kommunalwahlen büßten die Sozialdemokraten 2,4 Prozentpunkte ein und kamen landesweit auf 20,2 Prozent.
Dreyer betonte, dass die jüngsten Wahlergebnisse keine Rolle bei ihrer Entscheidung gespielt hätten. Die Ahrtalflut von 2021 nannte sie eine schmerzhafte Zäsur in ihrer Amtszeit, die Ihr Leben in eines davor und danach unterteilt habe. Schweitzer kündigte an, der Wiederaufbau im Ahrtal werde ein persönlicher Schwerpunkt seiner Amtszeit sein. Am meisten bedauere sie, dass es nicht gelungen sei, den Einfluss der Nicht-Demokraten stärker zu begrenzen, sagte Dreyer.
Politikwissenschaftler spricht von gutem Zeitpunkt
Schweitzer, bekennender Fan des 1. FC Kaiserslautern, hat nun die Möglichkeit, als bereits profilierter Regierungschef in die nächste Landtagswahl zu gehen, die turnusgemäß im Frühjahr 2026 sein wird. Politikwissenschaftler Uwe Jun bescheinigte Dreyer, knapp zwei Jahre vor dem Urnengang einen guten Zeitpunkt für den Rücktritt gewählt zu haben.
Dreyer ist seit 2013 Regierungschefin in Rheinland-Pfalz. In dem Amt folgte sie damals auf Kurt Beck, führte zunächst eine rot-grüne Landesregierung an und seit 2016 eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, die - anders als die auf Bundesebene - weitgehend geräuschlos agiert. Auch Beck hatte Dreyer - überraschend - als seine Nachfolgerin vorgestellt - mehr als drei Jahre vor der Landtagswahl 2016. Damals wie heute blieb die Entscheidung über den Wechsel an der Spitze der Regierung bis kurz vor der Verkündung im inneren Kreis der SPD.