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Labour-Partei profitiert vom konservativen Chaos

Seit 14 Jahren regieren in Großbritannien die Konservativen. Stimmen die Umfragen, ist es damit bei der kommenden Parlamentswahl am 4. Juli vorbei. Was kommt dann?
Keir Starmer
Die Sozialdemokraten standen oft im Schatten der Konservativen. Keir Starmer wäre erst der siebte Labour-Premier der Geschichte. © Victoria Jones/PA Wire/dpa

Rishi Sunak stand im Londoner Regen wie ein begossener Pudel - und wohl selten hat ein Bild die Lage eines Politikers so deutlich gemacht wie beim britischen Premierminister. Mit markigen Worten kündigte der konservative Regierungschef die Parlamentswahl für den 4. Juli an. Doch wenn er es nicht schafft, binnen Wochen die öffentliche Meinung deutlich herumzureißen, dürfte sein nächster Auftritt vor der berühmten schwarzen Tür in der Downing Street sein letzter als Premier werden - um seine Niederlage einzuräumen. Rund 20 Prozentpunkte liegen Sunaks Konservative in Umfragen hinter der Labour-Partei zurück.

Wenn nicht noch ein größeres Wunder geschieht, zieht Oppositionsführer Keir Starmer am 5. Juli in die Downing Street ein, als erster Labour-Premier seit 14 Jahren - und 100 Jahre nach dem ersten sozialdemokratischen Regierungschef der britischen Geschichte.

Starmers Pluspunkt: die Konservative Partei

Der Vorsprung von Labour ist vor allem dem gewaltigen Ärger über die Konservativen zu verdanken. Wofür die Partei steht, wissen viele Menschen bisher nicht. Erst vor kurzem stellte Starmer ein Sofortprogramm aus sechs Punkten vor. Er will für wirtschaftliche Stabilität sorgen, Wartezeiten beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS verkürzen, eine neue Kommandostruktur für den Grenzschutz schaffen, ein nationales Energieunternehmen gründen, gegen unsoziales Verhalten vorgehen und 6500 neue Lehrkräfte einstellen.

Einen Wandel verspricht Starmer den Briten. Viele Wählerinnen und Wähler setzen nach Ansicht von Kommentatoren vor allem darauf, dass mit Labour ein neuer Ton in die Regierung einzieht und das Chaos der vergangenen Jahre mit drei Premierministern, häufigen Skandalen und ständigen Ministerwechseln endlich ein Ende hat.

«Die Strategie von Sir Keir Starmer besteht darin, der Öffentlichkeit zu versichern, dass das größte Risiko dieses Mal darin besteht, eine diskreditierte Regierung im Amt zu halten», sagt der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster der dpa. Starmer gilt durchaus als langweilig. Aber genau danach sehnten sich viele Briten, ist oft zu hören.

Wer ist die Labour-Partei?

Die Sozialdemokraten standen oft im Schatten der Konservativen. Starmer wäre erst der siebte Labour-Premier der Geschichte. Entstanden aus der Arbeiterbewegung, vereinte die Labour Party bei ihrer Gründung im Jahr 1900 die linken Bewegungen. Von Beginn an ist sie eng mit den Gewerkschaften verbunden, die bis heute über viel Einfluss verfügen. 

Ein Vergleich mit der deutschen Politik fällt nicht leicht. Zwar unterhält Labour enge Beziehungen zur SPD. Auch wegen des britischen Wahlsystems, bei dem in jedem Wahlkreis nur die Kandidatin oder der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt, ungeachtet des Vorsprungs, decken beide große Volksparteien jeweils ein breites Spektrum ab. So finden sich bei Labour auch Positionen, die eher der Linken, den Grünen und einige auch der FDP zuzurechnen wären.

Arsenal-Fan und ehemaliger Strafverfolgungschef

Der ehemalige Anwalt Starmer ist seit April 2020 der «Leader of His Majesty’s Most Loyal Opposition», wie der Chef der größten Oppositionspartei im britischen Unterhaus traditionell genannt wird. Übernommen hat der 61-Jährige die Sozialdemokraten von Jeremy Corbyn, der 2019 die Wahl haushoch gegen den damaligen Premier Boris Johnson verloren hatte. Von Corbyns sehr linken Positionen hat Starmer die Partei wieder in die politische Mitte geführt.

Zunächst lief es aber nicht gut. Nach einer Niederlage bei einer Nachwahl zum britischen Parlament in der nordostenglischen Labour-Hochburg Hartlepool im Mai 2021 wollte Starmer hinschmeißen, wie er jüngst zugab. Aber viele Skandale unter den konservativen Premiers Johnson und Liz Truss brachten ihm neuen Zulauf. Zuletzt übernahm Starmer auch gemäßigt-konservative Positionen - er nutzt dabei den Raum, den ihm der Rechtskurs der Tories lässt.

Der frühere Chef der Strafverfolgungsbehörde CPS gilt zwar wie auch sein Konkurrent Sunak nicht als mitreißender Redner. Aber viele Menschen schätzen an dem Vater zweier Kinder im Teenager-Alter seine Bodenständigkeit, seine Ruhe und Einfühlsamkeit. Privat ist Sir Keir, wie er sich seit einigen Jahren nennen darf, ein großer Fan des Londoner Fußball-Erstligisten Arsenal und kickt auch so oft wie möglich selbst mit Kumpels.

Unter Vorgänger Corbyn gab es Vorwürfe des Antisemitismus

Immer wieder betont Starmer, dass er Labour runderneuert habe. Waren unter Corbyn antisemitische Vorwürfe gegen die Partei aufgekommen, die traditionell stark mit der Palästinenser-Bewegung sympathisiert, fährt Starmer einen klaren Kurs gegen antiisraelische Kommentare. Deutlich prangerte er den Terror der islamistischen Hamas gegen Israel an.

Allerdings gibt es immer noch Abgeordnete oder Kandidaten, die sich abfällig über Israel äußern. Anfang Februar stellte Labour in einem solchen Fall die Unterstützung für ihren eigentlichen Bewerber bei der Parlamentsnachwahl in Rochdale bei Manchester ein, obwohl kein Ersatzkandidat mehr benannt werden durfte. Kurz danach waren in einer Umfrage rund 40 Prozent der Ansicht, dass die Partei immer noch mit antijüdischen Vorurteilen zu kämpfen habe.

Labour und die EU

In Corbyns Schattenkabinett fungierte Starmer als Brexit-Sprecher seiner Partei. Im Gegensatz zum damaligen Parteichef setzte er sich für ein zweites Referendum ein, um den EU-Austritt zurückzudrehen. Mittlerweile aber hat er klargemacht, dass er keinen Rückweg in die EU sieht. Zwar will er sich der Gemeinschaft wieder annähern, und auch aus der EU sind regelmäßig solche Hoffnungen zu hören. Einen Wiedereintritt zumindest in die EU-Zollunion oder den Binnenmarkt aber lehnt Starmer bisher ab. Kommentatoren verweisen darauf, der Labour-Chef habe Angst, wichtige Wählerstimmen im traditionell EU-kritischen Norden Englands zu verlieren.

© dpa ⁄ Benedikt von Imhoff, dpa
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