Trotz internationaler Forderungen nach einer Waffenruhe setzen Israel und die libanesische Hisbollah-Miliz die Kämpfe unbeirrt fort. Der gegenseitige Beschuss dauerte an. Eine Staatengruppe um die USA und Deutschland hatte in der Nacht zum Donnerstag gemeinsam mit einflussreichen arabischen Ländern eine 21-tägige Waffenruhe in Nahost gefordert, um eine diplomatische Lösung in dem Konflikt zu erzielen.
Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten dementierte unterdessen einen Bericht, demzufolge Benjamin Netanjahu grünes Licht für eine Waffenruhe mit der Hisbollah gegeben haben soll. «Es handelt sich um einen US-französischen Vorschlag, auf den der Ministerpräsident noch nicht einmal reagiert hat», hieß es in der Mitteilung. Israels Regierungschef reiste am Donnerstagmorgen in die USA zur UN-Vollversammlung ab.
Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen vor knapp einem Jahr kommt es auch in der israelisch-libanesischen Grenzregion fast täglich zu gegenseitigem Beschuss. Die Hisbollah will nach eigener Darstellung mit den Angriffen die Hamas im Gazastreifen unterstützen. Nach den massiven israelischen Bombardierungen im Libanon auf Hisbollah-Ziele seit dem Wochenende droht nun ein offener Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Israel will die Miliz so weit schwächen, dass sie ihren Beschuss einstellt und Israelis in ihre Wohngebiete im Landesnorden zurückkehren können.
Israelische Truppen bei Manöver an der Grenze - Sorge vor Bodenoffensive
Angesichts einer möglichen israelischen Bodenoffensive im Libanon herrscht die Sorge vor einer weiteren Verschärfung der Lage. Israelische Truppen hielten nach Militärangaben eine Übung an der Grenze zum Libanon ab. Die 7. Brigade habe wenige Kilometer von der Grenze entfernt «Manöver und Kämpfe in bergigem Terrain mit viel Dickicht trainiert», hieß es in einer Mitteilung. Dabei sei die Bereitschaft für «verschiedene Kampfszenarien in feindlichem Gebiet an der nördlichen Front» verbessert worden.
Ultrarechte Politiker in Israel gegen Waffenruhe mit Hisbollah
Ultrarechte Politiker in Jerusalem kritisierten eine mögliche Waffenruhe mit der Hisbollah. «Der Kampf im Norden darf nur auf eine Art enden: mit der Zerstörung der Hisbollah und ihren Fähigkeiten, den Einwohnern des (israelischen) Nordens Schaden zuzufügen», schrieb der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich bei X. «Kapitulation der Hisbollah oder Krieg, nur so bringen wir die Einwohner und die Sicherheit zurück in den Norden», fügte Smotrich hinzu.
Die rechtsextreme Koalitionspartei Ozma Jehudit drohte laut dem israelischen Armeesender im Falle einer begrenzten Waffenruhe Abstimmungen der Koalition im Parlament nicht mehr zu unterstützen - und für den Fall eines dauerhaften Waffenstillstands gar mit dem Austritt aus dem Regierungsbündnis.
Gegenseitiger Beschuss zwischen Israel und Hisbollah geht weiter
Trotz internationaler Rufe nach einer Waffenruhe ging auch am Donnerstag der wechselseitige Beschuss weiter. Die israelische Armee teilte mit, der westliche Teil Galiläas im Norden Israels sei mit 45 Geschossen vom Libanon aus angegriffen worden. Einige davon seien von der Raketenabwehr abgefangen worden. Der Rest sei in offenen Gebieten eingeschlagen.
Zuvor hatten israelische Kampfjets weitere Ziele im Süden des Libanon beschossen. Nach Armeeangaben handelte es sich um «Militärposten der Hisbollah, Terroristen und Waffenlager». Auch in einem Vorort von Beirut griff das Militär erneut an. Dabei wurde nach Militärangaben der Kommandeur der Drohnen-Einheit der Miliz, Mohammed Hussein Srur, getötet. Dieser habe zahlreiche Angriffe mit Drohnen und Marschflugkörpern auf Israel angeleitet. Auch libanesische Sicherheitskreise bestätigten seinen Tod. In der Gegend war vergangene Woche bereits ein hochrangiger Militärkommandeur der Miliz, Ibrahim Akil, getötet worden.
In der Nacht hatte die israelische Luftwaffe den Angaben zufolge bereits 75 «Terror-Ziele» im Süden und Nordosten des Libanons angegriffen.
Zehntausende auf der Flucht - Libanon kann Krise kaum bewältigen
Die Bombardierungen trafen vor allem den Süden und die Bekaa-Ebene des Libanon, was in dem kleinen Land mit knapp sechs Millionen Einwohnern Panik und Verzweiflung auslöste. Dörfer nahe der Grenze zu Israel sind inzwischen fast menschenleer. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wurden mehr als 90.000 Menschen zur Flucht gezwungen.
Der anhaltende Konflikt trifft den Libanon besonders hart; das Land leidet seit Jahren unter einer schweren Wirtschaftskrise und das Gesundheitssystem steht am Rande des Zusammenbruchs. Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat der Libanon etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Nun jedoch fliehen laut UN-Angaben Zehntausende Libanesen selbst, teilweise sogar nach Syrien. Auch gut 13.500 Syrer kehrten seit Montag in ihre Heimat zurück, wie Libanons Innenminister erklärte.
Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben auch mehrere Ziele im Grenzgebiet zwischen dem Libanon und Syrien angegriffen. Demnach soll es sich um Infrastruktur gehandelt haben, die von der Hisbollah-Miliz genutzt werde. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es, vier Grenzübergänge seien seit Montag angegriffen worden.
Minister sieht schlechte Wirtschaftslage im Libanon
Der geschäftsführende Wirtschaftsminister im Libanon warnte unterdessen vor den Folgen des Konflikts für die lokale Wirtschaft. «Die Wirtschaft ist in sehr schlechtem Zustand. Dieser Krieg hat die Herausforderungen für den Libanon noch erhöht», sagte Amin Salam dem Finanzdienst Bloomberg. Jegliche Hoffnungen auf einen Aufschwung seien verschwunden. «Es ist kein Wachstum vorhanden.» Die Währung hat seit 2019 mehr als 95 Prozent ihres Werts verloren, schätzungsweise 80 Prozent der Bevölkerung leben in Armut.
Irans Außenminister: Israel will Region in Krieg stürzen
Irans Außenminister Abbas Araghchi warf Israel abermals vor, «die gesamte Region in einen umfassenden Krieg zu stürzen». Vor dem UN-Sicherheitsrat in New York verurteilte er das militärische Vorgehen im Libanon und gegen die Palästinenser. «Ohne einen Waffenstillstand im Gazastreifen wird es keine Garantie für Frieden in der Region geben. Die internationale Gemeinschaft kann nicht schweigen», sagte er. «Insbesondere die USA und Großbritannien, tragen rechtliche und moralische Verantwortung dafür, zu handeln, bevor es zu spät ist.»