Verzweifelte Zeiten rufen verzweifelte Taten hervor: Im Oktober 1993 beschließen vier Teenager, ein Flugzeug zu entführen und nach Frankfurt zu lotsen, um ihr Heimatland Nigeria auf den Weg zur Demokratie zu lenken. Regisseur Robert Peters („Black November“) und Drehbuchautor Musa Jeffery David („Blood Vessel“) bringen das Ereignis nun als Film auf die Netflix-Leinwand. Erfahre hier die wahre Geschichte und wichtige Hintergründe hinter Hijack ‘93.
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Der Hintergrund: Die nigerianische Präsidentschaftswahl 1993
Um die Motive der Kidnapper zu verstehen, müssen zunächst die politischen Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Entführung erklärt werden. Nach der Kollonialherrschaft von England wird Nigeria 1960 unabhängig. Bis zur Gründung der zweiten Republik 1979 ist die Geschichte des Landes von politischer Instabilität, Kriegen, Pogromen und ständigen Machtwechseln geprägt. Die zweite Republik hält jedoch nur bis zu einem Putsch 1983, bei dem General Muhammadu Buhari als Alleinherrscher eingesetzt wird.
Doch schon zwei Jahre später endet seine Regentschaft. Unter der Führung von Generalstabschef Ibrahim Babangida putscht das Militär und setzt Buhari ab. Babangida übernimmt die Macht, will aber, wie er verkündet, nur vorübergehend regieren. Er verspricht mehrmals demokratische Wahlen, verschiebt diese aber immer wieder. Während seiner Amtszeit lässt er zahlreiche politische Gegner:innen und Kritiker:innen hinrichten.
Erst im Juni 1993 finden demokratische Wahlen statt. Moshood Abiola von der Sozialdemokratischen Partei geht als Sieger hervor. Babangida erklärt die Wahlen jedoch für ungültig, was zu massiven Unruhen in Nigeria führt. Die USA, Großbritannien und die EU stellen aus Protest ihre Hilfslieferungen ein. In dieser Phase spielt Hijack ‘93 und die vier Teenager beschließen, ein Flugzeug zu entführen und die Ernennung von Abiola als Präsidenten Nigerias zu erpressen.
Die Entführung des Airbus A310
Am 25. Oktober 1993, einem Montag, besteigen Richard Ogunderu, Kabir Adenuga, Benneth Oluwadaisi und Kenny Rasaq-Lawal in Lagos, der größten Stadt Nigerias, einen Airbus A310 der Nigerian Airways. Die Jugendlichen sind zwischen 16 und 18 Jahre alt. Teilweise sehen sie zum ersten Mal ein Flugzeug. An Bord der Maschine mit dem Ziel Abuja, der Hauptstadt Nigerias, befinden sich hochrangige Politiker wie der chinesische Vizepräsident Rong Yiren.
Die vier bewaffneten Jugendlichen wollen die Maschine mit 159 Insassen entführen und nach Frankfurt umleiten. Sie warten, bis der Pilot die Passagiere auffordert, sich abzuschnallen. Dann übernehmen sie heimlich, still und leise das Kommando. Die Menschen im Flugzeug wundern sich, als sie eine Stimme aus dem Lautsprecher hören:
Meine Damen und Herren, dieses Flugzeug wurde vom Movement for the Advancement of Democracy übernommen. Bleiben Sie ruhig, wir tun Ihnen nichts. Wir werden Ihnen sagen, wo das Flugzeug mit Ihnen landen wird.
In einem Interview erklärt Ogunderu, der Anführer der Teenager, wie er und seine Mitstreiter das Flugzeug in ihre Gewalt brachten:
Ich ging ins Cockpit und übernahm das Kommando, die anderen folgten mir. Zwei von uns blieben im Flugzeug, um die Passagiere einzuschüchtern. Wir übernahmen die Maschine und baten den Piloten, in ein anderes Land zu fliegen.
Die wahre Geschichte hinter Hijack ’93: Endstation im Niger
Um die lange Strecke nach Deutschland zu schaffen, muss der Airbus in Niamey im Nachbarland Niger aufgetankt werden. Eigentlicher Zwischenstopp ist die Stadt Ndjamena im Tschad, doch dort erhält der Airbus keine Landeerlaubnis. Während des Aufenthalts in Niamey wenden sich die Entführer an die Öffentlichkeit und erklären, sie würden im Namen des Movement for the Advancement of Democracy in Nigeria handeln. Sie fordern den Rücktritt der Interimsregierung von Ernest Shonekan, der im August von Babangida zum Regierungschef ernannt worden war.
Sollte die Forderung nicht innerhalb von 72 Stunden erfüllt werden, drohen die Entführer, das Flugzeug in Brand zu setzen. Es kommt zu Verhandlungen auf dem Flugfeld. Nach zwei Stunden werden 129 Insassen, darunter der chinesische Vizepräsident, freigelassen.
Doch weitere 23 bis 34 Personen, je nach Quelle, bleiben in der Gewalt der Jugendlichen, die ihre Forderungen bekräftigen. Die örtliche Polizei ist unsicher, wie gut die Entführer ausgebildet sind und ob sich eine Bombe an Bord befindet. Sie wartet deshalb mit dem Eingreifen. Erst vier Tage nach der Landung in Niamey wird das Flugzeug gestürmt und die Entführer festgenommen. Ein Besatzungsmitglied des Airbus stirbt, vier oder fünf weitere Menschen werden verletzt.
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Wenig später werden Richard Ogunderu, Kabir Adenuga, Benneth Oluwadaisi und Kenny Rasaq-Lawal in Niger zu neun Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Später liefert Niger sie an Nigeria aus und sie werden schließlich freigelassen. Ogunderu erzählt 2009 in einem Interview von ihren Beweggründen:
Wir wollten etwas verändern. Unsere Aktion hat gezeigt, dass ein unmenschliches System in uns allen das Äußerste hervorrufen kann. Ein System, das sich nicht um uns kümmert, ein System, das nicht auf unsere Schreie und unser Leiden hört, ein System, das uns auslöschen will, hat keinen einzigen Tag seiner Existenz verdient.
Das passiert nach Hijack ‘93
Am Ende bleiben die vier Jugendlichen erfolglos. Und auch um die Demokratie ist es Ende 1993 in Nigeria schlecht bestellt. Am 18. November 1993 tritt Shonekan unter dem Druck der Öffentlichkeit zurück. Generalstabschef Sani Abacha übernimmt die Macht und errichtet eine Schreckensherrschaft. Politische Gegner:innen, kritische Journalist:innen und Umweltschützer:innen, die die Zerstörung der nigerianischen Flora und Fauna zugunsten der Ölindustrie anprangern, werden verhaftet und hingerichtet. Der vermeintliche Wahlgewinner Abiola stirbt in Gefangenschaft.
Abacha regiert fast fünf Jahre, stirbt dann allerdings an einem Herzinfarkt nach einer Überdosis Viagra. Daraufhin wird Abdulsalami Abubakar sein Nachfolger, der freie Wahlen durchsetzt. Im Februar 1999 wird Olusegun Obasanjo schließlich der erste Präsident der Vierten Republik Nigerias, aber erneut unter fragwürdigen Wahlbedingungen. Dennoch macht die Demokratie unter ihm deutliche Fortschritte.
Ein bekannter Name taucht 2015 wieder auf: Denn der einstige Putschist Buhari, der selbst von einem Putsch entmachtet wurde, wird im vierten Anlauf erneut zum Präsidenten Nigerias gewählt. Im Jahr 2023 übergibt er das Amt an Bola Tinubu, der Nigeria seitdem regiert. Allerdings ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste afrikanische Land laut Amnesty International auch heute noch alles andere als eine freie Gesellschaft: Denn die Situation der Menschenrechte ist kritisch, die Armut ist in vielen Landesteilen groß und die Unterdrückung von Frauen und LGBTQAI+ Menschen vor allem in den islamischen Gegenden ist äußerst hart.
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