Komplexe Charaktere und ein Frankfurt am Main, das fast cooler wirkt als New York City: Die deutsche Miniserie «Die Zweiflers» erzählt Geschichten aus dem Leben einer jüdischen Familie, die ein Feinkost-Imperium besitzt. Die sechsteilige Dramedy vom Hessischen Rundfunk und der ARD Degeto gewann im April in Cannes (beim Internationalen Serien-Festival) den Preis als «Beste Serie» des Jahres - zu Recht. Masel Tov (Glückwunsch)!
Die Serie (bereits in der ARD-Mediathek, am 10. Mai linear im Ersten ab 22.20 Uhr; sechsmal etwa 45 Minuten) traut Zuschauerinnen und Zuschauern einiges zu, etwa ein bisschen Sprachen-Wirrwarr, wenn Jiddisch und Englisch gesprochen werden und deshalb Untertitel zu sehen sind. Hervorragend besetzt ist sie ohnehin, zum Beispiel mit Sunnyi Melles, Saffron Coomber, Deleila Piasko, Aaron Altaras, Leo Altaras, Martin Wuttke und Ute Lemper.
Die sympathisch dysfunktionale Mischpoke ist liebevoll entworfen. Im Jiddischen hat das Wort «Mischpoke» (Familie, Verwandtschaft) keinen negativen Beiklang, im Deutschen dagegen wird der Begriff - was ja schon viel aussagt - meist abwertend benutzt, ist laut «Duden» «historisch eng mit antisemitischen Vorstellungen verbunden».
Authentischer Einblick
«Mein Anliegen mit 'Die Zweiflers' ist es, eine Familiengeschichte zu erzählen, die einen authentischen Einblick in diesen Mikrokosmos gibt und die Ambivalenz des jüdischen Selbstverständnisses in Deutschland auf tragisch-humoristische Weise verhandelt», sagt der 1984 in Frankfurt geborene David Hadda. Der Nachkomme von Holocaust-Überlebenden ist Schöpfer und Showrunner der Serie, die vage in den späten Merkel-Jahren angesiedelt ist.
Man nehme sich trotzdem nicht heraus, exemplarisch zu sein oder alle zu repräsentieren, sagt Hadda, der zusammen mit Juri Sternburg und Sarah Hadda die Drehbücher schrieb. Man wolle vor allem unterhalten. «Die Glaubwürdigkeit der Charaktere war oberstes Credo, um mit bekannten Stereotypen spielen und diese immer wieder brechen zu können, bei ehrlicher Auseinandersetzung rund um die Fragen nach Identität, Religion und Kultur.»
Große Ereignisse werfen bei den Zweiflers ihre Schatten voraus: Familienoberhaupt Symcha - ein Patriarch alter Schule - will die Delikatessen-Firma der Familie zu Geld machen. Weite Teile des Mehrgenerationen-Clans fühlen sich von den Verkaufsplänen vor den Kopf gestoßen. Konflikte und Traumata brechen auf, ein Hadern mit den Traditionen greift um sich.
Plötzlich holen Medien Symchas wilde Zeit in den Nachkriegsjahren im Rotlichtmilieu wieder hervor. Als Enkel Samuel mit einer Nichtjüdin anbandelt und ein Kind bekommt, wird die Bris (Brit Mila/Brismile), also Beschneidung des neugeborenen Sohnes, ein Riesenthema.
Der israelisch-amerikanische Schauspieler Mike Burstyn spielt Symcha, einen Holocaust-Überlebenden, der Deutschland nach dem Krieg, trotz aller Gräueltaten an den Juden, nicht verließ. Er redet meist Jiddisch - so wie seine Filmpartnerin Eleanor Reissa, die als seine Frau Lilka wegen der Nazizeit-Erfahrung Angst vor deutschen Ärzten pflegt.
Gemeinsam haben sie die Töchter Mimi (Melles) und Tammi (Lemper), die wiederum schon erwachsene Kinder haben. Zweifler-Spross Samuel (Aaron Altaras) aus der Ehe von Mimi und dem in der Sowjetunion geborenen Jackie Horovitz (Mark Ivanir), verliebt sich in die aus London stammende Saba (Saffron Coomber), eine Gastronomin mit jamaikanischem Background, die meist Englisch spricht.
Gedreht wurde vom 8. August bis 4. November 2023, unter anderem in der pittoresken Frankfurter Apfelweinkneipe «Zum gemalten Haus», die als jüdisches Deli fungiert.
Spürbarer Alltagsantisemitismus
Mitten in die Dreharbeiten platzten am 7. Oktober die Nachrichten vom schlimmsten Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust, auf das Israel im Gazastreifen mit einem Antiterrorkrieg gegen die Hamas reagierte. Der seitdem noch stärker spürbare Alltagsantisemitismus überall und in Deutschland wird in der Serie ohnehin gezeigt.
So redet ein Taxifahrer, gespielt von Badesalz-Komiker Henni Nachtsheim, dummes Zeug («Ich hab ja nichts gegen Juden, aber...») und der neunmalkluge Kurator einer Kunstausstellung rechtfertigt das Machwerk «It's Shoa Time», das den staatlich organisierten Völkermord an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland mit dem Kükenschreddern der Lebensmittelindustrie vergleicht. Dafür gehört ihm eine geknallt, oder etwa nicht?
Man wünscht dieser Serie, die im linearen Fernsehen leider nachts versteckt wird, viel Publikum.