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Mit Sekt und Puschkin im Bett - «Ein anderes Leben»

Von wegen Familienidyll: In ihrem Romandebüt «Ein anderes Leben» erzählt Caroline Peters berührend von einer Patchworkfamilie, die von ihrem Zentralgestirn, der Mutter, verlassen wird. Das hat Gründe.
Foto- und TV-Probe des Stücks
Caroline Peters, Schauspielerin und Adolf-Grimme-Preisträgerin, hat ihren ersten Roman veröffentlicht: «Ein anderes Leben». (Archivbild) © Hannes P. Albert/dpa

Die beiden älteren Schwestern, die sich erst entspannen, wenn die jüngste Schwester sauer wird. Die Mutter, die nacheinander ihre drei Jugendfreunde heiratet und von jedem eine Tochter bekommt, gleichzeitig aber vor allem für Gedichte und russische Literatur lebt und sich von den Erwartungen ihrer Familie erdrückt fühlt. Erinnerungen, die zur heiklen Angelegenheit werden, weil jeder sich anders erinnert. Und die Beerdigung des Vaters, die die jüngste Tochter dazu bringt, auf das Leben ihrer Mutter und die eigene Kindheit zurückzublicken. Es ist kein Familienidyll, das hier angerichtet wird.

Debütroman einer Schauspielerin

«Ein anderes Leben» ist der erste Roman der Schauspielerin Caroline Peters, die bislang eher mit Kino- und Fernsehproduktionen, etwa in der Krimiserie «Mord mit Aussicht» oder in Sönke Wortmanns «Der Vorname», auf sich aufmerksam machte. In dem Roman geht es darum, seinen eigenen Weg zu finden, sich aber auch zu behaupten gegen die eine übergroße Figur im eigenen Leben - in diesem Fall die längst gestorbene Mutter. Die, sie heißt Hanna, mit großer Energie und Hingabe, doch auch zunehmend verloren zwischen Bürgerlichkeit und Boheme mäandert. 

Zum Beispiel: Den Sonntagmorgen verbringt sie mit Werken Puschkins und einem Sekt, den sie aus einer hauchdünnen Porzellantasse trinkt, im Bett, zusammen mit ihrer Jüngsten. Doch als sie ein Wort findet, das möglicherweise nicht gut übersetzt worden ist, vergisst sie die Zweisamkeit, umgibt sich mit Wörterbüchern und Zetteln und sucht eine Lösung. Wohl selten dürfte so einprägsam gezeigt worden sein, wie verloren sich ein Kind, in diesem Fall eine Jugendliche, fühlen kann.

Mutter im Mittelpunkt

Aus Nachmittagen beim Konfirmandenunterricht wiederum macht Hanna eine Show und legt einen großen Auftritt hin, steht wie so oft im Mittelpunkt - zum Entsetzen ihrer jüngsten Tochter, die rasende Wut verspürt. Und in der Universitätsbibliothek, wo sie arbeitet, flirtet sie mit Studenten - unter den Augen der Tochter. 

Gleichzeitig aber wollen Hanna und ihr dritter Mann Bow, der Vater der jüngsten Tochter, in der Nachbarschaft nicht nur dazugehören, sondern auch glänzen: So kleidet sie sich wie alle Nachbarinnen cremefarben, verteilt Kuchen und Lachscanapé und versucht, Besucher zu beeindrucken. Die Folge der Verstellung: Depressionen. Schließlich verlässt sie die Familie.

Berührend und fesselnd

Die Autorin weiß, was sie tut. Mittendrin fällt ein Satz, der ihr Erstlingswerk recht genau beschreibt: «Es ist schwer, die Erinnerungen in der chronologischen Ordnung zu halten.» Das ist ein Gedanke der jüngsten Tochter, der Erzählerin, die langsam begreift, wie ihre ganze Welt, auch die drei Väter, ihre Schwestern und sie wie Planeten auf Umlaufbahnen um den Fixstern kreisen - ihre Mutter Hanna. Das Ergebnis ist ein Geflecht aus Erinnerungen aus ganz verschiedenen Zeiten, die wie Einsprengsel die Gegenwart mit der Beerdigung des Vaters und der Zeit kurz danach immer wieder unterbrechen, aufhalten und gegen den Strich bürsten. 

Mit diesen verschiedenen Zeitebenen jongliert Caroline Peters in ihrem Debüt-Roman gekonnt, einfühlsam und liebevoll beschreibt sie die Eigenarten der immer wieder aus der erwarteten Rolle fallenden Mutter, die ihren eigenen Weg eigentlich ganz woanders sieht, nicht bei ihrer Familie. Dabei schimmert immer wieder Humor durch, selbst zum dramatischen und melancholischen Höhepunkt. Ein wirklich berührendes und fesselndes Buch - und absolut kein Grund zur Sorge nach dem Motto: Jetzt schreibt sie auch noch.

Den eigenen Weg gehen

Und die Autorin hat keine Scheu davor, auch Unklarheiten nicht aufzulösen: Warum trennt sich Hanna von Mann und Familie: Und: Tut sie es überhaupt? An dieser Stelle wird deutlich, wie schwer es ist, sich auf Erinnerungen zu verlassen, und wie groß die Verwirrung, wenn andere Menschen sich an das gleiche Ereignis anders erinnern. So glauben die beiden älteren Schwestern, die Mutter sei nicht aus freien Stücken gegangen, sondern gewissermaßen «rausgeschmissen» worden von Bow und der jüngsten Tochter. 

Doch die Erzählerin, immer nur «die Kleine» genannt, versteht schließlich, warum sich ihre Mutter von Mann und Familie trennt, ausbricht und in eine andere Wohnung zieht: «Ihr Denken und Fühlen war endlich an dem Punkt angekommen, auf den Hanna zugestrebt war: ein eigenes Zuhause. Keines Mannes Zuhause, keiner Mutter Zuhause, auch keines, das sie ihren Kindern zu bieten hatte. Ein Zuhause, das sie ihren sich überschlagenden Gedanken, den vielen Worten in ihrem Kopf und ihrer Seele schuldig war.» Um endlich ihren eigenen Weg zu gehen.

© dpa ⁄ Thomas Strünkelnberg, dpa
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