Nach ihrem Wimbledon-Stimmungsaufheller im Londoner Regenchaos strahlte Jule Niemeier befreit. Einen Tag nach dem Erstrunden-Aus von Angelique Kerber meisterte die 24 Jahre alte Dortmunderin die Geduldsprobe eindrucksvoll und zog mit Verspätung unerwartet glatt in die zweite Runde ein. Beim 6:2, 6:1 blieb ihre chancenlose Schweizer Gegnerin Viktorija Golubic ratlos zurück.
«Ich war sehr erleichtert. Ich glaube, ich habe ein sehr, sehr gutes Match gespielt», sagte die Wimbledon-Viertelfinalistin von 2022 glücklich. «Es macht unheimlich viel Spaß, hier spielen zu können. Das Viertelfinale vor zwei Jahren hilft mir natürlich wenig, weil ich es natürlich besser machen möchte.»
Zwei deutsche Damen spielen um Runde 3
Die Nummer 90 der Welt polierte die deutsche Damen-Statistik ein bisschen auf: Als zweite von anfangs sechs Deutschen bestand sie ihre Auftaktprüfung und stellt sich nun auf eine schwierige Aufgabe gegen die Ukrainerin Jelina Switolina ein.
Die Schwäbin Laura Siegemund geht am Donnerstag als Außenseiterin in die Herausforderung gegen die kasachische Wimbledonsiegerin von 2022, Jelena Rybakina. Auch Olympiasieger Alexander Zverev (gegen Marcos Giron aus den USA) ist an der Reihe.
Vor zwei Jahren feierte Niemeier in traumhaften Wimbledon-Wochen an der Londoner Church Road ihren bisher größten Erfolg. Die geweckten Hoffnungen konnte sie nicht bestätigen und erlebte ein sehr schwieriges Jahr 2023.
Anders als Kerber: Niemeier verliert ein bisschen den Spaß
«Da habe ich auch ein bisschen den Spaß am Sport verloren. Es ist einfach schwierig, wenn man wenig Matches gewinnt», gestand die 24-Jährige. «Ich habe mich nicht gut gefühlt. Man will erfolgreich sein. Gerade nach dem Jahr davor, dass sehr erfolgreich war.»
Sie habe versucht, «einfach dran zu glauben, dass es alles wieder kommt, weil ich im Jahr davor gezeigt habe, dass ich es kann». Damit habe sie sich auch mit aus dem Tief gezogen. Nun ist sie froh, dass sie mit dem Trainerwechsel zu Michael Geserer den Neuanfang geschafft hat. Das letzte Jahr sei abgehakt. «Ich glaube, man sieht, dass ich wieder Spaß habe und dass ich auf dem richtigen Weg bin.»
Niemeier kritzelt Gedanken auf
Dabei meisterte sie auch das Wetterchaos mit immer wieder einsetzendem Regen, der den Veranstaltern seit Dienstag Probleme bereitet. Niemeiers erste Runde wurde von Dienstag auf Mittwoch und noch mal für insgesamt zwei Stunden nach hinten verschoben. Als Niemeier endlich den Court betrat, hielt das Wetter bis zur kurzen Unterbrechung nur für zwei Spiele. Nach der Wiederaufnahme dominierte sie.
Gegen Golubic half ihr auch ein Notizbuch. Was sie darin notierte, wollte sie allerdings nicht verraten. «Ich finde es sehr gut, Dinge aufzuschreiben, auch Gedanken aufzuschreiben, sich im Match noch mal kurz an Dinge zu erinnern», erklärte Niemeier. «Natürlich tut es auch mal gut, Sachen loszuwerden oder einfach kurz aufzukritzeln.»
Keine klare Antwort von Kerber
Niemeier verlängerte so ihren Wimbledon-Aufenthalt, was auch der dreimaligen Grand-Slam-Turniersiegerin Kerber zu gern gelungen wäre. Die 36-Jährige saß nach ihrem Erstrunden-Aus gegen die Kasachin Julia Putinzewa mit schimmernden Augen da und ließ die Frage nach ihrer Zukunft offen. Weder mit Ja noch mit Nein beantwortete sie, ob dies ihr letzter Wimbledon-Auftritt gewesen sei.
«Weiß ich nicht. Mit dem Gedanken bin ich nicht hergekommen», gab die frühere Nummer eins der Welt und Wimbledonsiegerin von 2018 zu Protokoll, als sie den Tiefpunkt ihrer geliebten, aber diesmal trostlosen Rasensaison verdauen musste.
«Mein Turnier»
Emotional ging Kerber, die Turniersiegerin von 2018, auf ihre Wimbledon-Geschichte ein. «Wenn ich auf Wimbledon schaue, ist es gefühlt mein Turnier», sagte Kerber. «Ich habe immer noch die schönsten Momente im Kopf, und das wird auch so bleiben unabhängig von dem Match.» Anders als Niemeier sagte Kerber, sie verliere auch mit der Niederlagenserie nicht den Spaß. «Da bin ich schon abgehärtet», sagte die Kielerin.