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Hülkenberg: «Ich halte die Deutschland-Fahne hoch»

Nico Hülkenberg kennt sich mit Weggabelungen aus. Der einzige deutsche Formel-1-Stammpilot spricht über das Alter, Tipps an sein junges Ich und eine Antwort aus Italien.
Nico Hülkenberg
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Nico Hülkenberg (37) ist als einziger deutscher Stammpilot in der Formel 1 übrig geblieben. Im Herbst seiner Karriere bekommt er noch einmal ein Cockpit bei einem Werksteam: Aus Kick Sauber wird 2026 Audi. Hülkenbergs Rennstall bietet künftig mehr Ressourcen, mehr Budget und mehr Personal.

«Das sind die Zutaten, die die Top-Teams haben. Und Audi hat sie auch. Wir müssen diese Zutaten dann gut vermengen, dass das ein gutes Paket und eine runde Sache wird», sagte er im Interview der Deutschen Presse-Agentur vor dem Grand Prix in Baku und sprach außerdem über deutsches Handwerk, die Debatte um Rüssel und Stecker sowie eine Antwort von Ferrari, auf die er bis heute wartet.

Frage: Herr Hülkenberg, mit der Gewissheit, dass Sie schon einen langfristigen Vertrag haben: Gibt das einem ein anderes Gefühl an Sicherheit, sodass Sie die Sommerpause mehr genossen haben?

Antwort: Mehr genießen würde ich nicht sagen, aber man hat Planbarkeit und weiß, wo man hingehört in Zukunft. Das bringt eine gewisse Stabilität und Ruhe mit sich und ist komfortabel. Eine schöne Situation. Ich kenne die andere Seite auch sehr gut - wenn gefühlt jedes Rennen das Zünglein an der Waage sein kann, ob es weitergeht. Das ist jetzt die andere Seite und ist entspannt, aber bedeutet nicht, dass man sich zurücklehnen kann. Man muss weiterarbeiten.

Frage: Sie sind trotz einiger verpasster Abzweigungen in Ihrer Karriere der einzige deutsche Stammpilot in der Formel 1. Welche Charaktereigenschaften muss man dafür mitbringen?

Antwort: Speed. Es ist ein extrem leistungsbezogenes Business. Am Ende des Tages wollen die Teams Punkte und Leistung haben. Das hat mich über meine lange Laufbahn hinweg ausgezeichnet.

Frage: Können Sie sich noch an den Formel-1-Debütanten Nico Hülkenberg von 2010 erinnern?

Antwort: Manche Sachen sind noch da, nach manchen muss ich in der Erinnerung graben. Ich sehe eine jüngere Version von mir, die am Anfang ihrer Formel-1-Karriere steht, mit hohen Erwartungen und viel Talent. Ich war jung und ein bisschen wild und damals einer von sieben Deutschen. Da haben wir die Formel 1, was die Anzahl der Fahrer angeht, dominiert.

Frage: Welche Tipps würden Sie Ihrem damaligen Ich geben?

Antwort: Einige. Es gibt Fehler, die man macht. Die muss man aber machen, um zu lernen. Am Ende des Tages ist das immer ein Prozess. Du lebst dein Leben, machst Karriere, manchmal geht es sehr gut, manchmal lenken dich Fehler in irgendeine andere Richtung. Aber grundlegend könnte ich ihm nichts anderes sagen außer: «Mach ein paar Sachen hier und da besser.»

Frage: Gibt es irgendetwas, das Sie bereuen?

Antwort: Reue hört sich so hart und extrem an. Natürlich ist da der eine oder andere Teamwechsel. Der Wechsel zu Sauber 2013 war im Nachhinein nicht der beste. Die erste Saisonhälfte war schon extrem schwer, der Wechsel hat nicht das gebracht, was er bringen sollte. Gleichzeitig war da Force India, das Team, das ich verlassen hatte, sehr gut. Wäre ich da geblieben, wäre meine Karriere vielleicht anders verlaufen und ich wäre Ende 2013 woanders gelandet.

Frage: 2013 hatten Sie gute Gespräche mit Ferrari über einen Wechsel zur Saison 2014. Die Scuderia entschied sich damals aber für Kimi Räikkönen. Teamchef war Stefano Domenicali, der aktuelle Formel-1-Geschäftsführer. Haben Sie mit ihm mal über die Gründe gesprochen?

Antwort: Noch nicht.

Frage: Warum nicht?

Antwort: Weil er immer noch sagt: «Noch nicht, komm später.»

Frage: Und wann soll das sein?

Antwort: Das weiß ich nicht, ich habe keine Glaskugel.

Frage: Haben Sie sich in Ihrer Karriere schon mal in einer Sackgasse gefühlt?

Antwort: 2019 war ein bisschen die Luft raus. Der Spaß war nicht mehr so vorhanden. Die Leichtigkeit, die Lockerheit, die Freude ist ein bisschen abhandengekommen, weil bei Renault die Atmosphäre nicht mehr so gut war. Vielleicht war das eine Sackgasse. Ich habe dann Konsequenzen gezogen und gesagt: «Ich gehe jetzt mal raus und schaue, was passiert.»

Frage: Ab kommender Saison heißt es für Sie Kick Sauber und danach Werksteam Audi. Welche praktischen Vorteile bringt denn das Engagement bei einem Werksteam?

Antwort: Man bekommt hoffentlich mehr Performance, ein besseres Auto und ein besseres Paket. Werksteams sind größer, sie haben mehr Ressourcen, mehr Budget, mehr Manpower. Das sind die Zutaten, die die Top-Teams haben. Und Audi hat sie auch. Wir müssen diese Zutaten dann gut vermengen, dass das ein gutes Paket und eine runde Sache wird.

Frage: Ihrem Vater gehörte eine Spedition, Sie sind als Knirps Stapler gefahren, waren ihr erster Mechaniker im Kart. Sie sind der typische Petrol Head. Darf man Sie so nennen?

Antwort: Von mir aus gerne.

Frage: Der Hintergrund ist die Debatte um Verbrenner vs. Elektro. Sind Sie eher der Typ Rüssel oder Stecker, wenn man Zapfsäule und Ladestation betrachtet?

Antwort: Rüssel - absolut (lacht).

Frage: Wie verfolgen Sie die Debatte?

Antwort: Es ist ein interessantes und kein einfaches Thema. Es gibt E-Autos schon eine ganze Weile, sie haben aber nicht dieses Wachstum und diesen Zuspruch erfahren, den man vor ein paar Jahren noch erwartet und erhofft hatte, der Boost ist nicht da. Ich bin im Detail kein Experte, weil mein Fokus darauf nicht liegt. Ich bin aber gespannt, wo die Reise der Elektromobilität in Zukunft hinführt.

Frage: Haben Sie selber ein E-Auto?

Antwort: Ich habe einen E-Smart. Für die Stadt mit den kürzeren Distanzen ist er brillant, weil du viel bremsen musst und das System dabei Energie zurückgewinnt. Aber zum etwas weiter entfernten Flughafen, mit Nutzung von Landstraßen und einer Autobahn, da wird die Luft schnell dünn.

Frage: Kommendes Jahr wird es weiter eine Reihe sehr erfahrener Formel-1-Fahrer geben wie Lewis Hamilton (39), Fernando Alonso (43) oder Sie (37). Was kann man im Alter besser als ein junger Fahrer?

Antwort: Erfahrung ist viel wert. Das merke ich vor allem seit meinem Comeback. Ich kann von meiner Erfahrung zehren, Fernando und Lewis sicher noch mehr. Wir haben in der heutigen Formel 1 keine Tests mehr, wenige Trainingsmöglichkeiten, im Grunde nur die Rennwochenenden. Die rohe Zeit, die wir im Auto zur Vorbereitung haben, ist also sehr gering. Wenn man da als Rookie nicht sofort auf die Füße kommt, hat man es extrem schwer. Hast du dann zwei, drei schwere Wochenenden, hast du sofort Gegenwind und Druck von allen Seiten. Du musst aber performen und Speed haben. Da hilft Fernando, Lewis oder mir die Erfahrung.

Frage: Trainieren Sie heute anders als in jungen Jahren?

Antwort: Mit meinem Comeback habe ich jeden Stein umgedreht, um jedes Quäntchen Performance zu finden und aus mir rauszuholen. Ich lebe die Formel 1 bewusst und investiere viel, auf der Strecke, aber auch neben der Strecke. Vielleicht sogar mehr als früher. Ich bin älter geworden und privat hat sich mit Hochzeit und Kind einiges verändert. Ich habe dadurch mehr Stabilität und durch die Pause auch eine andere Wertschätzung in der Formel 1.

Frage: Als Wertschätzung kann man sicher verstehen, dass Audi Sie als ersten Fahrer verpflichtet hat.

Antwort: Definitiv, ich finde das cool, es macht mich auch stolz.

Frage: Da wartet eine Menge Aufbauarbeit. Können Sie sich in so eine Herausforderung verbeißen?

Antwort: Absolut, das habe ich schon des Öfteren in der Formel 1 bewiesen. Es liegt mir, die Ärmel hochzukrempeln, mich einzubringen und Dinge zu gestalten. Vor allem auch in der Arbeit mit den Ingenieuren, was man so im Fernsehen nicht sieht. All das, was quasi zwischen den Zeilen und zwischen den Rennen passiert, wird ja nicht übertragen.

Frage: Sie sind auch stets Repräsentant vom deutschen Handwerk.

Antwort: Ich halte die Deutschland-Flagge hoch und bin künftig quasi Botschafter für die Marke Audi, die auch global unterwegs ist. Egal in welches Land wir fahren oder zu welchem Rennen, Audi ist auf jedem Markt und in jedem Land präsent. Dadurch hat man selbst auch eine andere Präsenz und Verantwortung.

Frage: Sie kennen sich mit Comebacks aus. Es gibt Gerüchte, wonach Sebastian Vettel gerne auch wieder in der Formel 1 fahren würde. Auf was muss man denn ganz allgemein bei einem Comeback achten?

Antwort: Man muss eine bewusste Entscheidung treffen. Man muss sich sicher sein, was man wirklich will, mit allen Konsequenzen, mit allen positiven und auch negativen Aspekten. Dann muss man es voll durchziehen und auch voll leben. Also volle Kraft voraus.

Zur Person: Der Rheinländer Nico Hülkenberg (37) hat weit mehr als 200 Rennen in der Formel 1 absolviert - und wartet noch immer auf seinen ersten Podiumsplatz. In dieser Saison fährt er für das US-Team Haas. 

© dpa ⁄ Interview: Martin Moravec, dpa
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