Ihr Leben als Schwimm-Weltmeisterin stellt Olympia-Hoffnungsträgerin Angelina Köhler vor zuvor nicht gekannte Herausforderungen. «Man wird da ein bisschen ins kalte Wasser geschmissen, weil auf einmal der Erfolg da ist und auf einmal will jeder was von dir», sagt Köhler der Deutschen Presse-Agentur. Die 23-Jährige wird nach Fotos und Autogrammen gefragt, trat im Fernsehen auf, berichtet davon, wie sie plötzlich beim Friseur erkannt wurde. «Das war ich gar nicht gewohnt und damit musste ich erstmal lernen umzugehen», sagt sie. Zu den Olympischen Spielen reist sie in neuer Rolle: als Mitfavoritin.
Als erste deutsche Beckenschwimmerin seit Britta Steffen 2009 hatte Köhler im Februar WM-Gold gewonnen. Ihr sportlicher Erfolg ist der Startpunkt des öffentlichen Interesses an ihr. Dass dieses so lange anhält, hat aber auch mit ihrer Persönlichkeit zu tun. Köhler schwimmt nicht nur über 100 Meter Schmetterling so schnell wie wenige andere. Köhler hat auch etwas zu sagen, will ein Vorbild auch neben dem Becken sein.
Köhler: Seit ADHS-Diagnose geht es ihr besser
Sie berichtete über Mobbing in ihrer Jugend, geht offen mit ihrer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) um. Ein Verhalten, das ihr viel Respekt einbringt. «Das ist authentisch. Wenn du deine Schwächen zeigst, kannst du dich auf deine Stärken konzentrieren», sagt Britta Steffen. Die ADHS-Diagnose erhielt Köhler vor anderthalb Jahren. Seitdem gehe es ihr besser, sagt sie.
«Ich habe mich ein Leben lang dafür verurteilt, dass ich viele Sachen, die andere super hinkriegen, überhaupt nicht hinkriege. Das drückt natürlich ganz schön auf das Selbstwertgefühl», erklärt sie. Sachen vergessen, verschlafen, Termine verpassen. Früher habe sie sich ständig gefragt «Bin ich eigentlich blöd?». Nun kann Köhler das alles einordnen. «Ich sage für mich: "Okay Angie, du kannst vielleicht manche Sachen nicht so gut, dafür kannst du aber andere Sachen umso besser, die andere nicht können."»
Bester Freund mit Olympia-Erfahrung dabei
Zudem weiß sie durch die Diagnose, «dass es andere gibt, die genau dieselben Symptome haben und dieselben Sachen haben, mit denen sie zu kämpfen haben. Es ist schön, sich mit ihnen auszutauschen».
Einer davon ist Ole Braunschweig. Der 26-Jährige ist Rückenschwimmer, Köhlers Trainingspartner und ihr bester Freund. «Ich bin sehr froh, dass er da an meiner Seite ist», sagt sie. Im Gegensatz zu Köhler kennt Braunschweig den Olympia-Trubel bereits, war schon 2021 in Tokio dabei. Er kann der Debütantin helfen - Aufregung nehmen, Sicherheit geben. Wie wichtig das Mentale ist, macht Köhler selbst deutlich. «In Form bin ich», sagt sie. «Ich hoffe, dass mich meine ersten Spiele nicht erschlagen werden.»
Olympia in Tokio hatte sie nach einer Corona-Infektion noch verpasst. Damals war eine Welt für sie zusammengebrochen. Diesmal gibt sie als Ziel erst einmal das Finale der besten acht Schwimmerinnen aus. Das klingt bei einer Weltmeisterin nach Understatement. Allerdings waren einige Medaillenkandidatinnen bei Köhlers Gold-Show nicht am Start. Weltrekordlerin Gretchen Walsh und zwei weitere US-Amerikanerinnen sind in diesem Jahr schon schneller geschwommen als sie. Von einer Medaille träumt Köhler natürlich trotzdem. «Wenn man im Finale ist, kann alles passieren», sagt sie. «Von Platz eins bis acht ist alles möglich. Die Stärkste im Kopf gewinnt.»
Routine vor den Rennen soll helfen
Zur professionellen Vorbereitung auf das Mega-Event Olympia gehört für sie auch die Besprechung der Sommerspiele mit einer Sportpsychologin. In der unmittelbaren Rennvorbereitung sollen zudem feste Abläufe helfen. Seit anderthalb Jahren hat Köhler vor ihren Starts die gleiche Routine. Im Warteraum hat sie Taylor Swifts «Cruel Summer» auf den Ohren, taucht dann in ihre eigene Welt ein, lässt sich nicht ablenken. «Ich weiß, wenn ich genau die Punkte abarbeite von meiner Routine, dann wird es meistens sehr, sehr gut», sagt Köhler.
Damit das auch am Samstag gelingt, wenn Köhler gleich zum Auftakt der Schwimm-Wettbewerbe im Vorlauf gefordert ist, hat auch ihr Trainer sehr viel Zeit investiert. Neben der sportlichen Arbeit hat sich Lasse Frank viele Gedanken darüber gemacht, wie er seine Olympia-Teilnehmer auf den besonderen Leistungsdruck in Paris vorbereiten kann. Letztendlich ist er aber zu dem Ergebnis gekommen: «Du kannst diese Situation nicht nachbilden, du kannst sie nicht trainieren.»
Köhler: «Ich bin immer noch die gleiche Person wie vorher»
Der Berliner Coach kennt Köhler wie wohl kaum jemand sonst. Ihre Stärken und Schwächen im Wasser, aber auch an Land, erlebt er im Übungsalltag, in Trainingslagern und Wettkämpfen. Als sich nach der famosen WM in Doha die Anfragen an seine Sportlerin häuften, ließ er sie zunächst ihr Ding machen, half bei der Organisation, wollte sie nicht bremsen. «Es ist ja auch gut, dass man eine Sportlerin hat, die mehr erzählt als "die Bahn ist 50 Meter lang und meine Badekappe ist grün"», sagt er. Als er Sorge hatte, das Drumherum könnte sich auf die Leistung auswirken, der Schlaf könnte zu kurz kommen, griff er ein.
Zur zusätzlichen Unterstützung hat Köhler mittlerweile eine Managerin. «Meine Aufgabe ist ja, Leistung zu bringen im Wasser», erklärt sie den Schritt. «Und nicht, irgendwelche Orgadinge zu machen.» Auch das gehört zu den Veränderungen nach einem WM-Titel. Eines ist Köhler jedoch wichtig: «Ich bin immer noch die gleiche Person wie vorher. Und daran wird sich auch nichts ändern, egal welcher Erfolg irgendwann kommt.»