Die Frage, ob er Vertrauen in faire und saubere Olympische Spiele habe, beantwortet US-Schwimmstar Caeleb Dressel unmissverständlich. «Nein», sagte der siebenmalige Olympiasieger. Schon bevor der erste Schwimmer in Paris ins Wasser springt, liegt ein Schatten über den Wettkämpfen in der La Défense Arena. Die Doping-Debatte um 23 positiv getestete chinesische Topschwimmer belastet das Verhältnis zwischen Sportlern, Funktionären und Doping-Jägern.
Der Fall ist zum Fiasko für die Glaubwürdigkeit im Anti-Doping-Kampf geworden. Und nicht nur das: Er hat sich zu einer Staatsaffäre in der olympischen Welt ausgeweitet.
«Solche Vorfälle erschüttern uns Sportler - vor allem die Sportler, die sauberen Sport betreiben», sagte Weltmeisterin Angelina Köhler der Deutschen Presse-Agentur. Sie hofft auf weitere Aufklärung. Auf einer von der ARD veröffentlichten Liste der positiv getesteten Schwimmerinnen und Schwimmer steht auch der Name ihrer Konkurrentin und Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei. Kern der Recherche ist ein nicht veröffentlichter Untersuchungsbericht von Chinas Anti-Doping-Agentur Chinada - nach ARD-Angaben verifiziert über mehrere Quellen.
Athleten wollen sich von dem Thema nicht runterziehen lassen
Das Thema lasse am sportlichen Grundprinzip der Chancengleichheit zweifeln, schreibt Kevin Götz, im Magazin des Deutschen Schwimm-Verbands «Swim and More». Der Aktivensprecher zitiert einen anonymen deutschen Olympiaschwimmer mit den Worten: «Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sauberen Sport betreiben.»
Derart klare Aussagen hört man von den meisten deutschen Topschwimmern öffentlich eher nicht. Ob Freiwasser-Olympiasieger Florian Wellbrock, Medaillen-Hoffnungsträger Lukas Märtens oder die dreimalige WM-Medaillengewinnerin Isabel Gose: Mit harscher Kritik halten sie sich zurück. «Wir Athleten stehen alle für den sauberen Sport. Aber wir können es nicht beeinflussen, müssen deshalb bei uns bleiben», sagte Gose der Deutschen Presse-Agentur. «Ich versuche, mich von dem Thema nicht runterziehen zu lassen.» Dieses Motto scheinen viele Sportler zu haben. Was sollen sie auch machen?
Für das Aufspüren und Ahnden von Dopingvergehen sind sie nicht zuständig. Dafür gibt es entsprechende Organisationen wie die nationalen Anti-Doping-Agenturen und die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Wenn die Sportlerinnen und Sportler nicht mehr glauben, dass die Dopingjäger für alle die gleichen Maßstäbe anwenden, nicht alle Vergehen gleich verfolgen, hat der Sport ein Problem. Und genau diese Vorwürfe stehen im Raum.
DSV-Leistungssportdirektor: Es darf keine «Lex China» geben
«Wir müssen uns einfach darauf verlassen können, dass der Doping-Kampf weltweit mit den gleichen Maßstäben geführt wird», sagte DSV-Leistungssportdirektor Christian Hansmann. «Und da darf es eben keine Lex China geben oder dass man da nicht genauer unabhängig nachfragt. Das muss unbedingt aufgearbeitet werden.»
Im April war durch Medienrecherchen bekanntgeworden, dass 23 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer bei einem nationalen Wettkampf in China Anfang 2021 positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet worden waren. Sie wurden jedoch nicht gesperrt.
Die Chinada führte die Positivtests auf Verunreinigungen in einer Hotelküche zurück, die Wada folgte dieser Bewertung. Das sorgte für Unverständnis vieler Sportler und Funktionäre - auch, wenn ein unabhängiger Ermittler aus der Schweiz später kein Fehlverhalten der Wada feststellte.
Offener Streit zwischen Wada und Usada
Zu den scharfen Kritikern der Doping-Jäger zählt auch Schwimm-Legende Michael Phelps. «Als Athleten können wir nicht weiter blind der Welt-Anti-Doping-Agentur vertrauen - eine Organisation, die immer wieder beweist, dass sie entweder unfähig oder unwillig ist, ihre Regeln weltweit durchzusetzen», sagte der 23-malige Olympiasieger jüngst vor einem US-Ausschuss.
Die Affäre geht längst weit über den Schwimmsport hinaus. Dass das US-Justizministerium eine Untersuchung in der Sache angestoßen hat, missfällt der Wada und dem Internationalen Olympischen Komitee zutiefst. So sehr, dass das IOC Salt Lake City als Gastgeber der Winterspiele 2034 unter Druck setzt. Das Komitee bestand vor der Wahl der Stadt im US-Bundesstaat Utah zum Olympia-Ausrichter auf einer zusätzlichen Vertragsklausel zum Schutz der Wada. Die Welt-Agentur und die amerikanische Usada streiten längst offen.
Auch China stört die Rolle der USA. Außenamtssprecher Lin Jian kritisierte jüngst, die USA nähmen internationale Organisationen ins Visier, um chinesische Athleten zu diffamieren und deren Olympia-Teilnahme zu beeinflussen. In die Schlussfolgerungen des Schweizer Ermittlers habe China Vertrauen. Sein Land unterstütze die Wada dabei, ihre unabhängige und gerechte Führung global umzusetzen.
ARD-Dokumentation nährt weitere Zweifel
Elf der positiv getesteten Schwimmerinnen und Schwimmer sind nun auch in Paris dabei. «Beunruhigend ist, dass die Erklärung der Chinada, dass eine Massenkontamination in der Hotelküche die Ursache gewesen sei, ohne weitere Untersuchungen von der Wada akzeptiert wurde», schreibt DSV-Aktivensprecher Götz. Er spricht von einem «immensen Vertrauensverlust der Athletinnen und Athleten in die Grundpfeiler des globalen Anti-Doping-Kampfs und seiner Kontrollorganisationen.»
Die ARD-Dokumentation «Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele» nährte zuletzt weitere Zweifel an der offiziellen Version der Geschichte. Ein Chat soll zeigen, dass sich zur Zeit der Positivtests gar nicht alle Sportler im selben Hotel aufgehalten haben. Wie sollen sie dann Opfer von Verunreinigungen in der Hotelküche geworden sein? Zwar lassen sich die Nachrichten, die von einem Athleten selbst stammen sollen, laut ARD nicht unabhängig vor Ort überprüfen, ohne Sportler und Informanten in Gefahr zu bringen. Zu zusätzlichem Vertrauen trägt der Bericht aber nicht bei.
World Aquatics: Chinesische Schwimmer zahlreich getestet
Das versucht der Schwimm-Weltverband mit einer Test-Offensive zu schaffen. World Aquatics veröffentlichte vor dem Olympia-Start Zahlen zu eigenen Dopingkontrollen. 2.145 Tests von Olympia-Athleten hat World Aquatics nach eigenen Angaben seit dem 1. Januar durchgeführt.
In Kombination mit den Tests anderer Anti-Doping-Organisationen seien chinesische Schwimmer durchschnittlich 21-Mal in diesem Jahr getestet worden. Zum Vergleich nennt World Aquatics auch die Tests bei anderen Top-Nationen: Schwimmer aus dem Team USA sollen im Schnitt sechsmal, jene aus Australien viermal auf Doping überprüft worden sein. «Wir haben Vertrauen in die Arbeit, die gemacht wurde», sagte World Aquatics Präsident Husain Al-Musallam.