Die Ausgangslage in der Champions League ist eigentlich bestens, die Stimmung rund um Borussia Dortmund aber auf dem Tiefpunkt. Angesichts der verheerenden Situation in der Bundesliga ist von Festtagslaune vor dem wahrscheinlichen Achtelfinal-Einzug gegen Sporting Lissabon am Mittwoch (18.45 Uhr/DAZN) in der Königsklasse nichts zu spüren. «Das ist keine einfache Situation derzeit. Das sieht jeder», sagte Chefcoach Niko Kovac trotz des 3:0 in Portugal vor dem Rückspiel in Dortmund.
Die allgemeine Lage und der Liga-Fehlstart vom neuen Trainer drücken beim Bundesliga-Elften aufs Gemüt. «Wir müssen schauen, dass wir erstmal wieder Spiele in der Bundesliga gewinnen. Das ist das, was wir brauchen. Das ist die Hausarbeit. Champions League ist nur die Sahne oben auf der Torte», sagte der mit zwei Niederlagen aus zwei Bundesligaspielen gestartete Kovac.
Einen solch bescheidenen Einstand eines BVB-Trainers hatte es zuletzt vor 41 Jahren gegeben: Timo Konietzka musste 1984 nach sieben Niederlagen aus neun Spielen wieder gehen. Um dies für sich zu verhindern, beschwor der aktuelle Coach am Dienstag den Teamgeist. «Das, was wir jetzt brauchen in unserer Situation, ist der Zusammenhalt in der Mannschaft. Gestärkt da rauszukommen - das ist das, worum es geht.
Zum Glück gibt es für die schwarzgelbe Seele - zumindest noch - die Champions League. Nach dem 3:0 in Lissabon ist das Weiterkommen dort selbst für den taumelnden BVB sehr wahrscheinlich. Auch das Viertelfinale ist angesichts von OSC Lille oder Aston Villa als weiterem Gegner, der am Freitag ausgelost wird, alles andere als ausgeschlossen.
Wie lange darf der BVB noch in der Champions League ran?
Trotz der günstigen Situation aber herrscht Fatalismus beim Revierclub. Der Champions-League-Finalist des Vorjahres bereitet sich längst auf eine nächste Saison ohne Millionen-Einnahmen aus der Königsklasse vor. Dass die Dortmunder den Wettbewerb gewinnen, darf angesichts des Gesamtzustands der Mannschaft aktuell ausgeschlossen werden.
Und in der Liga liegen die Westfalen nach dem peinlichen 0:2 beim abstiegsbedrohten Reviernachbarn VfL Bochum inzwischen schon sechs Punkte gar hinter einem Conference-League-Platz. «Wir können die Situation schon einschätzen. Wir sind Elfter – weit weg von wo wir hinwollen. Aber wir müssen jetzt auch gar nicht nach oben schauen», sagte Kovac.
Vor dessen Verpflichtung hatte der aktuelle österreichische Nationaltrainer Ralf Rangnick die BVB-Offerte dankend abgelehnt. «Man hat nicht das Gefühl, dass als Überschrift steht: Wie wollen wir eigentlich spielen? Wie wollen wir auftreten? Wie wollen wir wahrgenommen werden? Da kann man den Spielern nicht den Vorwurf machen. Sondern das liegt daran, dass über Jahre hinweg dieser Fixpunkt einer Spielidee nicht mehr verfolgt worden ist», kritisierte Rangnick nun in der «Sport-Bild».
Wer muss gehen, wer darf bleiben?
Im Winter wurden dringend benötigte Kaderkorrekturen weitestgehend verpasst. Rund um den BVB wird munter spekuliert, wer den Club im Sommer verlassen muss. Die Liste derer, die bleiben sollten, wird dabei immer kleiner. Sollten die Dortmunder in der kommenden Spielzeit zum ersten Mal seit zehn Jahren nicht mehr in der Champions League dabei sein, wird der Club nach Aussage von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ein, zwei große Verkäufe tätigen müssen, um die dann fehlenden Millionen-Einnahmen auszugleichen.
In der vergangenen Spielzeit hatte der BVB in der Königsklasse rund 120 Millionen verdient. Selbst wenn Top-Talent Jamie Gittens deutlich über Marktwert (50 Millionen Euro) in seine finanziell potente Heimat England verkauft würde, käme man damit alleine nicht in diese Größenordnung.
Zudem wäre dies ohne adäquaten Ersatz ein empfindlicher Verlust sportlicher Substanz. Für die meisten anderen gehandelten Streichkandidaten gilt dies kaum. Kovacs schräger Vergleich seines aktuellen Sorgenkindes Julian Brandt mit deutschen Weltklasse-Akteuren darf als Versuch verstanden wissen, dessen Wert anzuheben. «Wir sind uns alle glaube ich einig, dass Jule neben Wirtz und Musiala in diese Range dazugehört», hatte Kovac am Randes des Spiels in Bochum bei Sky gesagt und dafür nur Kopfschütteln kassiert.
Seinen schräg anmutenden Vergleich verteidigte Kovac nun. «Als Trainer muss man schon versuchen, den Spielern das Selbstvertrauen zu geben», sagte der 53-Jährige. «Unsere Spieler haben wirklich eine hohe Qualität. Der Kopf ist der entscheidende Faktor.»