Wenn alles so unbeschwert wäre wie die Darbietungen von Minerva Hase und Nikita Wolodin, könnte man sich vor den Weltmeisterschaften entspannt zurücklehnen. Während die Paarlauf-Europameister von Erfolg zu Erfolg eilen und die Medaillensammlung in Boston erweitern können, schaut die Gegenwart des deutschen Eiskunstlaufs in den Einzeldisziplinen aber so düster wie schon lange nicht mehr aus. Und das ein Jahr vor den Olympischen Spielen.
Es geht um Quotenplätze für die Winterspiele
Bei der am Mittwoch beginnenden WM geht es nämlich nicht nur um Edelmetall, sondern auch um wichtige Quotenplätze für Olympia. «Das Ziel ist, bei der WM in allen möglichen Disziplinen Quotenplätze zu holen», sagt die Sportdirektorin der Deutschen Eislauf-Union (DEU), Claudia Pfeifer. Das Erreichen der Kür ist demnach auf jeden Fall notwendig.
Bei den Männern geht Nikita Starostin an den Start, der nach einer enttäuschenden EM mit Platz 27 Wiedergutmachung betreiben möchte - und auch muss, um das Ticket für Mailand und Cortina zu buchen. Im Eistanz nehmen Jennifer Janse van Rensburg/Benjamin Steffan teil. Im Paarlauf sind außer Hase und Wolodin die WM-Fünften Annika Hocke/Robert Kunkel dabei. Und bei den Frauen? Keine einzige Deutsche.
Die erfolgreichen Zeiten sind längst vorbei
Erstmals seit 2003 stellt Deutschland somit keine WM-Starterin, weil keine Läuferin die Startvoraussetzungen des Weltverbands ISU erfüllt hat. Auch für eine Teilnahme bei Olympia stehen die Chancen somit schlecht, denn in Boston geht es um einen Großteil der Tickets. Nur ein Qualifikationswettkampf in Peking im September bleibt als letzte Chance übrig.
«Das ist sehr, sehr ärgerlich und natürlich auch ein Rückschlag. Das muss man schon sagen», sagt Pfeifer. Sie räumt ein, dass man den Anschluss zur Weltspitze verloren habe. «Aber damit müssen wir jetzt umgehen.»
Die glorreichen Zeiten der 1970er und 1980er Jahre, in denen die BRD und die DDR im Frauen-Eiskunstlauf dominant waren und der Osten mit Katarina Witt einen Weltstar hervorgebracht hatte, sind längst vorbei.
Sportdirektorin: «Sehr, sehr viele Systemzwänge»
Ein deutscher Star in den Einzelkonkurrenzen ist auch demnächst nicht zu erwarten. «Die Ursache liegt sicherlich darin, dass wir erstens nicht aus der breiten Masse schöpfen können, was die Leistungsdichte in Deutschland angeht. Und zum anderen liegt es auch daran, dass wir einfach sehr, sehr, sehr langen Atem brauchen, um die Juniorensportler in der Qualität auszubilden. Das hat was mit Trainingsumfängen zu tun», erklärt Pfeifer.
Das Problem: Das System in Deutschland erfordere mehr Durchhaltevermögen als in anderen Ländern, so die Funktionärin. «Wir haben sehr, sehr viele Systemzwänge und da fallen sehr, sehr viele talentierte Sportler auch in jungen Jahren schon raus, die uns dann natürlich in der Erwachsenenkonkurrenz fehlen.»
Hase und Wolodin als Titelhoffnung
Auf eine Medaille und sogar auf das erste Gold bei einer WM seit dem Titelgewinn des Duos Aljona Savchenko und Bruno Massot vor sieben Jahren kann Deutschland dennoch hoffen. Minerva Hase und Nikita Wolodin zählen in Boston zu den Topfavoriten und könnten ihre Saison mit einem weiteren Sieg krönen.
Schon im Dezember beim Grand-Prix-Finale, das als wichtigster Wettbewerb nach den großen Meisterschaften gilt, sowie bei der EM Ende Januar in der estnischen Hauptstadt Tallinn standen die beiden ganz oben auf dem Treppchen.
Ein Infekt und «Wehwehchen» in der Vorbereitung
Die Vorbereitung auf die WM verlief jedoch «durchwachsen», wie Hase sagt. Denn ihr Eislaufpartner Wolodin hatte im Februar zwei Wochen lang mit einem hartnäckigen Infekt zu tun. «Dementsprechend mussten wir dann wieder ein bisschen langsamer reinstarten ins Training. Dann kamen hier und da noch Wehwehchen hinzu.» Man sei dadurch aber nicht weniger gut vorbereitet, stellt die 25-Jährige klar.
Für das Duo geht es im Kurzprogramm in der Nacht zum Donnerstag (23.45 Uhr MEZ) und in der entscheidenden Kür in der Nacht zum Freitag (23.15 Uhr MEZ) um Medaillen. «Es wäre natürlich schön, die Saison noch mal mit zwei guten Programmen abzuschließen», sagt Hase, ohne eine konkrete Platzierung als Ziel auszurufen. «Und dann werden wir sehen, wo wir landen.»