Diese Bilder wirken nach. Die eine Fangruppe versuchte, die Sicherheitsabsperrung Richtung Heimblock zu durchbrechen. Die andere Fangruppe beschoss sie daraufhin mit Leuchtraketen.
Zwei Wochen sind die schweren Ausschreitungen beim Ost-Duell zwischen Hansa Rostock und Dynamo Dresden mittlerweile her. Und vor dem nächsten Hochrisiko-Spiel im deutschen Fußball am Sonntag zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig (13.30 Uhr/Sky) haben sie eine alte Sicherheitsdebatte noch einmal neu ausgerichtet.
Es geht nicht mehr nur um Fragen wie: Pyrotechnik erlauben - ja oder nein? Oder: Wer bezahlt die Polizei-Einsätze? Sondern auch darum, ob sich Familien im Speziellen oder der nicht-organisierte Teil der Fußball-Fans im Allgemeinen in den Stadien noch sicher fühlen.
Es war der Rostocker Trainer selbst, der diese Sorge nach dem Spiel gegen Dresden benannte. «Über dem Spielertunnel saß mein Sohn. Der hat geweint, weil er Angst hatte», sagte Daniel Brinkmann bei MagentaSport. «Fußballstadien sind Orte, wo sich die Leute wohlfühlen sollen. Wo man sich auch mal beleidigen kann, aber es darf nicht gefährlich werden. Es war aber gefährlich - und das ist nicht gut.»
Sehen das auch andere so? Eine repräsentative Umfrage der Sport-Marketingagentur «ONE8Y» im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigt einmal mehr, dass es keine klaren und einfachen Antworten in dieser Sicherheitsdebatte gibt. 25 Prozent der befragten Fußball-Interessierten äußerten «große Bedenken», ein Hochrisiko-Spiel zu besuchen.
Eine andere Frage ergab, dass bei 36 Prozent die Bereitschaft entweder deutlich (13 Prozent) oder nur etwas (23 Prozent) abgenommen hat, Kinder unter 14 Jahren egal bei welchem Spiel mit in ein Stadion zu nehmen.
Aber: Bei 43 Prozent hat sich diese Bereitschaft nicht verändert. Und fast drei Viertel der Befragten fühlen sich bei einem Stadionbesuch mit Kindern immer noch sehr sicher (22 Prozent) oder eher sicher (47 Prozent).
«Missbrauch von Pyrotechnik nimmt zu»
Diese Zahlen passen nicht zum erkennbaren Willen der Politik nach härterem Durchgreifen. So unterstützte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) aktiv, dass bei den Zweitliga-Derbys zwischen Hannover und Braunschweig nur noch 60 Prozent der Gästefans zugelassen sind. Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) brachte sogar Punktabzüge für die Vereine ins Gespräch, deren Fans im Stadion Pyrotechnik abbrennen.
Die Politik fokussiert sich sehr auf die Pyrotechnik. Aber selbst der Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei zeigt, dass es im Stadion offenbar größere Gefahrenquellen gibt. Zwar heißt es in dem Bericht für die vergangene Saison, «dass der Missbrauch von Pyrotechnik in den ersten drei Spielklassen zunimmt.» Bei den 1338 Verletzten, die 2023/24 in den oberen drei Ligen erfasst wurden, hieß die Verletzungsursache aber nur in 114 Fällen Pyro. Schlägereien kommen deutlich häufiger vor.
«Die derzeitige Kriminalisierung von Pyro als Stilmittel ist eine Sackgasse. Sie ist weder zeitgemäß noch sinnvoll und führt zu einer unnötigen Konfrontation», sagt Jost Peter, der 1. Vorsitzender der Fan-Organisation «Unsere Kurve».
Auch er distanziert sich klar von den Ereignissen in Rostock: «Wir sind immer wieder bestürzt, wenn Pyrotechnik als Waffe eingesetzt wird. Das ist aber entgegen der öffentlichen Darstellung kein Regelfall, sondern ein klar zu lokalisierendes Einzel-Ereignis.»
«Gemeinsame Lösungen von Verbänden, Vereinen und Fans»
Was Peter und auch andere Fan-Vertreter aber immer wieder fordern, ist: «Dass Verbände, Vereine und Fans gemeinsam an Lösungen arbeiten, die Sicherheit und Fankultur in Einklang bringen.» Bei allen relevanten Treffen zu den Niedersachsen-Derbys zwischen Hannover und Braunschweig saßen Fan-Vertreter dagegen nicht mit am Tisch.
Und so folgt die Sicherheitsdebatte im deutschen Fußball weiter keiner großen Linie, sondern einzelnen Initiativen. Im Januar forderten mehr als ein Dutzend Vereine und Fanszenen aus dem Nordosten, dass die Clubs künftig keine Strafen mehr zahlen müssen, wenn Pyrotechnik im Stadion nur als Stilmittel und nicht als Waffe verwendet wird. Ende des Jahres wird zudem in Norwegen ein Erfahrungsbericht veröffentlicht, wie sich dort die Freigabe von Pyrotechnik unter klaren Auflagen auf die Stadionsicherheit ausgewirkt hat.
Einig sind sich alle immerhin in einem Punkt: «Niemand soll sich im Stadion unsicher fühlen», sagt Peter. «Ein sicheres Stadionerlebnis steht für alle an erster Stelle.»