In Thüringen ist die Zahl der Kinder, die durch Vernachlässigung sowie körperliche und psychische Misshandlungen gefährdet sind, im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Bei insgesamt fast 4.800 Verfahren der Jugendämter zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung - einem neuen Höchststand seit 2012 - sei in mehr als 1.600 Fällen eine Gefährdung von Mädchen und Jungen festgestellt worden. Das waren etwa ein Fünftel oder rund 280 Fälle mehr als im Jahr davor, geht aus Zahlen des Statistischen Landesamtes in Erfurt hervor. Darunter waren 824 akute und 805 latente Gefährdungen von Kindern. Diese Entwicklung vollzieht sich, obwohl es durch die demografische Entwicklung in Thüringen tendenziell weniger Kinder gibt.
Bei mehr als 3.100 der fast 4.800 Prüfverfahren der Jugendämter kamen Fachleute zu dem Ergebnis, dass keine Kindeswohlgefährdung vorlag. Jedoch bestand bei etwa 61 Prozent dieser Fälle - insgesamt rund 1.900 - Hilfe- beziehungsweise Unterstützungsbedarf. Das waren etwa zwölf Prozent mehr als 2022.
Von Vernachlässigung bis sexuelle Gewalt
Als häufigste Art der Kindeswohlgefährdung wurden in 1.200 Fällen Anzeichen für Vernachlässigung festgestellt. In 468 Verfahren gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen, in 386 Verfahren wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und in 65 Verfahren Hinweise für sexuelle Gewalt gefunden. Bei jedem vierten Fall gab es mehrere Gefährdungen gleichzeitig - dadurch die höhere Zahl.
Knapp die Hälfte von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Minderjährigen wuchsen bei einem alleinerziehenden Elternteil auf - insgesamt 759 Kinder. In knapp jedem 5. Fall, insgesamt 323, waren ein oder beide Elternteile laut Landesamt ausländischer Herkunft. In insgesamt 808 Fällen nahmen die Betroffenen zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch.
Kinder und Jugendliche melden sich oft selbst
2023 sei erstmals erhoben worden, von wem die Gefährdung des Kindes hauptsächlich ausging. In 80,5 Prozent aller Fälle waren das die eigene Mutter oder der eigene Vater, in 4,5 Prozent waren es ein Stiefelternteil oder die neue Partnerin oder der neue Partner eines Elternteils. Rund ein Viertel der Hinweise für eine Kindeswohlgefährdung erhielten die Jugendämter von Polizei, Gerichten oder Staatsanwaltschaften. Hinweise gingen zudem anonym oder von Sozialdiensten ein. Die meisten Hinweise auf eine Gefährdung kam von Kindern und Jugendlichen selbst - fast 70 Prozent.