Nach dem bislang spektakulärsten Abend dieser Fußball-EM gingen beide Mannschaften auf eine Ehrenrunde. Der Vize-Weltmeister Kroatien, weil mit diesem Achtelfinal-Aus vielleicht eine erfolgreiche Ära endete, und vor allem die siegreichen Spanier.
Spanien gehört nach einem 5:3 (3:3, 1:1)-Sieg nach Verlängerung in Kopenhagen zum ersten Mal seit des EM-Titels 2012 wieder zu den besten acht Mannschaften eines großen Turniers. Mehr Tore bei einem EM-Spiel gab es nur einmal: 1960 beim 5:4 von Jugoslawien gegen Frankreich. Im Viertelfinale treffen die Spanier am Freitag in St. Petersburg auf die Schweizer, die sich im Elfmeterschießen mit 5:4 (3:3, 3:3, 1:0) gegen Weltmeister Frankreich durchsetzten.
Zwar verspielte die junge Mannschaft von Trainer Luis Enrique in den Schlussminuten der regulären Spielzeit zunächst eine scheinbar sichere 3:1-Führung. Doch die Tore von Alvaro Morata (100.) und Mikel Oyarzabal (103.) in der Verlängerung bescherte ihnen am Ende doch noch einen verdienten Sieg. «Diese Mannschaft weiß, wie man kämpft. Diese Mannschaft weiß, wie man leidet. Diese Mannschaft weiß WIE MAN GEWINNT», schrieben die Spanier gleich nach dem Schlusspfiff auf ihrem offiziellen Twitter-Account.
Torfestival beginnt mit Eigentor
Ein denkwürdiger Patzer von Spaniens Torhüter Unai Simons führte zunächst zum bereits neunten Eigentor dieser EM durch den erst 18 Jahre jungen Pedri (20. Minute). Pablo Sarabia (38.), César Azpilicuta (57.) und Ferrán Torres (77.) trafen dann für Spanien. Mislav Orsic (85.) und Mario Pasalic (90.+2) erzwangen im starken Endspurt der Kroaten die Verlängerung, in der die Spanier das glücklichere Ende für sich hatten.
«Das war ein sensationelles Spiel. Wir hatten immer Vertrauen in uns. Wir verbessern uns bei diesem Turnier von Spiel zu Spiel. Wir hätten das Spiel früher entscheiden müssen, aber dann haben wir unseren wahren Charakter gezeigt», sagte Kapitän Sergio Busquets. Der dreimalige Europameister spielt nun am Freitag in St. Petersburg gegen den Sieger des Spiels Frankreich gegen Schweiz um den Einzug ins Halbfinale. «Wir vertrauen in unser Trainerteam und in diese Spieler. Wir mussten eine neue Mannschaft aufbauen und sind in einem Reifeprozess. Wir können gegen jeden gewinnen, aber auch verlieren», sagte Luis Enrique nach dem nervenaufreibenden K.o.-Spiel.
Mehrere Tausend kroatische Fans hatten schon Stunden vor dem Anpfiff in der Kopenhagener Innenstadt die Partie für das Team von Kapitän Luka Modric zum Heimspiel gemacht. Trainer Zlatko Dalic stellte nach dem Ausfall seines EM-Rekordtorschützen Ivan Perisic, der positiv auf das Coronavirus getestet wurde, den ehemaligen Frankfurter Ante Rebic (Inter Mailand) in die Startelf. Die Kroaten hätten aber lieber von Beginn an auf Mislav Orsic setzen sollen, dessen Einwechselung einem schon entschieden geglaubten Spiel noch einmal Dramatik gab.
Bei den Kroaten ging es seit dem gegen Frankreich verlorenen WM-Finale 2018 beständig bergab: Ivan Rakitic und Mario Mandzukic zurückgetreten, Spannungen im Team zwischen jüngeren und älteren Spielern, dazu ein gewisser Hang, sich auf dem großen Erfolg etwas zu sehr auszuruhen.
Spanien setzt auf Ballbesitz
Die Devise der Spanier lautete von Beginn an: Möglichst viel den Ball haben, damit Modric ihn nicht hat. Der 35-Jährige war der einige Real-Madrid-Profi auf dem Platz, nachdem Luis Enrique keinen einzigen Spieler von den Königlichen nominiert hatte.
So richtig in Bedrängnis gerieten die Kroaten erstmals in der 16. Minute: Das 18-jährige Barcelona-Talent Pedri riss mit einem herrlichen Pass die gegnerische Abwehr auf, aber Routinier Koke scheiterte an Keeper Dominik Livakovic. Wie aus dem Nichts fiel das 1:0 für Kroatien, das Spanien-Schlussmann Simon von Athletic Bilbao sicher nie vergessen wird: Bei einer Rückgabe von Pedri aus großer Entfernung rutschte ihm der Ball über den Fuß ins eigene Netz. Es war bereits das neunte Eigentor bei dieser EM - so viele wie bei allen anderen Endrunden zuvor zusammengezählt.
Vize-Weltmeister rettet sich in die Verlängerung
Plötzlich spielten Modric und Co. nach vorne, die Spanier brauchten etwa eine Viertelstunde, um sich von dem Schreck zu erholen. Dann aber stifteten sie wieder Verwirrung im gegnerischen Strafraum, wo den Kroaten der gesperrte Abwehrchef Dejan Lovren fehlte - und nutzten sie: Paris-Profi Sarabia staubte zum Ausgleich ab.
Mit dem Hoffenheimer Stürmer Andrej Kramaric als Joker gingen die Kroaten in die zweite Halbzeit, doch Azpilicueta per Kopf nutzte eine weitere Unordnung in der Hintermannschaft zum 2:1. Pechvogel Simon machte seinen Patzer aus der ersten Halbzeit wieder wett, als er gegen den künftigen Leipziger Josko Gvardiol rettete (67.). Torres traf dann nochmal für die effizienten Spanier, als die Kroaten gerade so etwas wie Druck aufbauten. Aber der Vize-Weltmeister rettete sich nach zwei weiteren Treffern in die Verlängerung, wo der Gegner dann seine Chancen nutzte. «Wir haben bis zum Ende gekämpft, aber die haben aus fast jeder Chance ein Tor gemacht und verdient gewonnen», sagte Orsic enttäuscht.