Norwegen sowie die beiden EU-Länder Irland und Spanien haben angekündigt, Palästina als eigenen Staat anzuerkennen. Der Schritt soll am 28. Mai formell vollzogen werden, teilten der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, Irlands Premierminister Simon Harris und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez in Oslo, Dublin und Madrid mit.
Die drei Länder erhoffen sich dadurch einen Impuls für die sogenannte Zweistaatenlösung, wonach Israelis und Palästinenser in Zukunft friedlich nebeneinander leben sollen.
Israel kritisierte den Vorstoß scharf und rief umgehend seine Botschafter aus den drei Ländern zurück.
Netanjahu mit deutlichen Worten
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisiert die angekündigte Anerkennung Palästinas. Dies sei «eine Belohnung für Terrorismus», sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. «80 Prozent der Palästinenser in Judäa und Samaria (Westjordanland) unterstützen das furchtbare Massaker vom 7. Oktober», sagte er. «Diesem Bösen kann man keinen Staat geben.»
Ein palästinensischer Staat wäre ein «Terrorstaat», warnte er. «Er wird versuchen, die Massaker vom 7. Oktober immer und immer wieder zu wiederholen.» Israel könne dem nicht zustimmen. «Den Terrorismus zu belohnen, wird keinen Frieden bringen und es wird uns nicht davon abhalten, die Hamas zu besiegen.»
Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) begrüßte den Schritt hingegen. PLO-Generalsekretär Hussein al-Scheich sprach von einem «historischen Moment».
Die Bundesregierung will daran festhalten, dass die Akzeptanz eines palästinensischen Staats erst am Ende von Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern über eine Zweistaatenlösung stehen kann. Einer solchen Zweistaatenlösung sei man im Augenblick allerdings fern, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Der Botschafter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, forderte die Bundesregierung auf, dem Beispiel Norwegens, Irlands und Spaniens zu folgen.
Auch USA mit Kritik
Die US-Regierung sieht die angekündigte Anerkennung Palästinas durch mehrere europäische Länder skeptisch. «Wir glauben, dass eine Zweistaatenlösung, die sowohl den Israelis als auch den Palästinensern gerecht wird, nur über direkte Verhandlungen zwischen den Parteien erzielt werden kann», sagte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington.
Daran arbeite die Biden-Regierung seit Langem. Es erschließe sich ihm nicht, wie die einseitige Anerkennung Palästinas zu einem tatsächlichen Fortschritt für einen Friedensprozess oder Waffenstillstand beitrage, antwortete Sullivan auf eine entsprechende Frage.
Hamas und Netanjahu lehnen Zweistaatenlösung ab
Die Anerkennung sei «Ausdruck einer uneingeschränkten Unterstützung für eine Zweistaatenlösung, des einzig glaubwürdigen Wegs zu Frieden und Sicherheit für Israel, Palästina und deren Völker», sagte der irische Regierungschef Harris. Der Schritt könne dazu beitragen, dass der Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung endlich wieder in Gang komme, sagte Norwegens Ministerpräsident Støre.
Die islamistische Hamas, die noch immer Teile des Gazastreifens kontrolliert, lehnt eine Zweistaatenlösung kategorisch ab. Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte sie zuletzt für obsolet. Die PLO, die im Westjordanland die Autonomiebehörde dominiert, befürwortet den Plan. Die PLO hatte bereits 1988 einseitig die staatliche Unabhängigkeit Palästinas erklärt.
Premier Harris betonte, Dublin erkenne uneingeschränkt auch das Recht Israels an, in Sicherheit und Frieden mit seinen Nachbarn zu existieren. Irland verurteile das von der Hamas am 7. Oktober angerichtete «barbarische Massaker» und fordere die sofortige Freilassung aller Geiseln. Der Regierungschef fügte jedoch hinzu: «Die Hamas ist nicht das palästinensische Volk.» Er erinnerte an die Bedeutung der internationalen Anerkennung Irlands als unabhängigen Staat bei dessen Ablösung vom Britischen Empire.
Israel ruft Botschafter aus Oslo, Dublin und Madrid zurück
Israel lehnt eine Anerkennung Palästinas strikt ab und rief umgehend seine Botschafter aus Irland, Norwegen und Spanien zu Beratungen zurück. Er sende eine klare und unmissverständliche Botschaft, schrieb Außenminister Israel Katz auf X: «Israel wird angesichts derjenigen, die seine Souveränität untergraben und seine Sicherheit gefährden, nicht schweigen.» Nach Angaben des Außenministeriums wurden zudem die Botschafter der drei Länder zu einer «ernsten Ermahnung» einbestellt.
«Die heutige Entscheidung sendet eine Botschaft an die Palästinenser und die Welt: Terrorismus zahlt sich aus», so Katz. Dieser Schritt sei eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Andenken der Opfer des 7. Oktober, als die islamistische Hamas mit ihrem Terrorangriff in Israel ein Massaker mit mehr als 1200 Getöteten verübte. «Israel wird nicht schweigen – es wird weitere schwerwiegende Folgen haben», schrieb Katz.
Mehrheit der Palästinenser glaubt nicht an eigenen Staat
Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennt Palästina inzwischen als Staat an. Das gilt jedoch nicht für die wichtigsten westlichen Nationen wie die USA und Großbritannien sowie die Mehrzahl der EU-Staaten, darunter Deutschland und Frankreich.
Eine Anerkennung gilt als wichtiger Anreiz für die palästinensische Seite, bei Friedensverhandlungen Zugeständnisse zu machen. Kritiker einer Anerkennung bemängeln, den Palästinensergebieten fehle es an wichtigen Kriterien für einen solchen Schritt. Beispielsweise ist die Grenze zwischen Israel und den Palästinensern weiter strittig. Das gilt auch für den politischen Status von Ost-Jerusalem.
Schweden hatte Palästina bereits vor zehn Jahren als Staat anerkannt. Großbritanniens Außenminister David Cameron deutete kürzlich an, dass auch London eine vorgezogene Anerkennung Palästinas erwägen könne, um einen Anreiz für diejenigen Palästinenser zu setzen, die eine friedliche Lösung befürworten. Wie eine Umfrage des palästinensischen Umfrageinstituts PSR in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung kürzlich ergab, glauben jedoch 61 Prozent der Palästinenser aufgrund des israelischen Siedlungsbaus nicht mehr daran, dass die Einrichtung eines palästinensischen Staats noch möglich ist.
Warum kommt Anerkennung Palästinas jetzt?
Seit den Friedensbemühungen mit den Osloer Verträgen vor etwas mehr als 30 Jahren hätten Norwegen und viele andere Länder versucht, eine Strategie zu verfolgen, bei der die Anerkennung einer Friedenslösung folgen würde, sagte Norwegens Regierungschef Støre. «Das hat nicht funktioniert.» Mehrere Gründe führten dazu, dass es richtig sei, Palästina jetzt anzuerkennen. Besonders der anhaltende Krieg in Gaza. Der Krieg sei der Tiefpunkt einer langfristigen negativen Entwicklung zwischen beiden Gebieten.
«Die Zeit zum Handeln ist gekommen», sagte Spaniens Ministerpräsident Sánchez in Madrid. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe trotz aller Aufrufe die «Zerstörung des Gazastreifens fortgesetzt» und bestrafe die Palästinenser weiter «mit Hunger und Terror», so der sozialistische Politiker.
Die Arabische Liga und mehrere arabische Staaten begrüßten die Ankündigung zur Anerkennung Palästinas. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit, postete auf X: «Ich gratuliere Palästina zu dieser positiven Entwicklung.» Andere Ländern sollten dem Beispiel folgen.
Wann ist ein Staat ein Staat?
«Staat» wird im Völkerrecht meist nach der Drei-Elemente-Regel definiert. Dieser international anerkannte Staatsbegriff beschreibt einen politisch und rechtlich organisierten Personenverband (Staatsvolk), der auf abgegrenzter Fläche (Staatsgebiet) einer Bevölkerung eine eigene Ordnung (Staatsgewalt) gibt.
Beim Staatsgebiet ist keine genaue Grenze erforderlich, es genügt ein unstrittiges Kernterritorium. Für ein Staatsvolk reicht ein Mindestmaß an Zugehörigkeitsgefühl. Staatsgewalt bezeichnet die Fähigkeit einer stabilen Regierung, eine Ordnung in dem Gebiet effektiv zu organisieren und nach außen von anderen Staaten unabhängig zu handeln.
Je strittiger die Beurteilung als Staat ist, desto bedeutender ist die Anerkennung durch andere Staaten. Die herrschende Meinung im Völkerrecht geht aber davon aus, dass die Anerkennung nicht Voraussetzung, sondern nur Bestätigung für die Existenz eines Staates ist.