Die EU-Staaten haben sich nach zähen Verhandlungen um deutsche Änderungswünsche auf ein 14. Paket mit Russland-Sanktionen verständigt. Mit den neuen Strafmaßnahmen soll insbesondere gegen die Umgehung von bereits bestehenden Sanktionen vorgegangen werden. Sie werden allerdings weniger scharf ausfallen als geplant, da die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zugunsten der deutschen Wirtschaft Abschwächungen durchsetzte.
Kritiker befürchten, dass Russlands Rüstungsindustrie deswegen vorerst weiter Zugriff auf westliche Güter und Technologien haben wird, um Waffen für den Krieg gegen die Ukraine herzustellen.
Neben Maßnahmen gegen Sanktionsumgehungen sieht das 14. EU-Paket unter anderem vor, dass erstmals scharfe EU-Sanktionen gegen Russlands milliardenschwere Geschäfte mit Flüssigerdgas (LNG) verhängt werden. Nach Angaben von Diplomaten soll verboten werden, dass Häfen wie der im belgischen Zeebrugge zur Verschiffung von russischem LNG in Drittstaaten genutzt werden. Dies führt dann im Idealfall dazu, dass Russland wegen mangelnder Transportkapazitäten weniger Flüssigerdgas verkaufen und weniger Geld in seinen Angriffskrieg stecken kann.
Nach Angaben der EU-Kommission wurden im vergangenen Jahr etwa vier bis sechs Milliarden Kubikmeter russisches LNG über die EU-Staaten in andere Staaten weitergeleitet. Betroffen sein könnten damit Geschäfte im Wert von mehreren Milliarden Euro.
Von der Leyen begrüßt Durchbruch
Die Einigung auf das neue Sanktionspaket wurde bei einem Treffen der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU in Brüssel erzielt, wie die derzeitige belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Sie soll am kommenden Montag bei einem EU-Außenministertreffen in Luxemburg formalisiert werden. Direkt danach können die Sanktionen in Kraft treten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte den Durchbruch trotz der Abschwächungen. «Dieses schlagkräftige Maßnahmenpaket wird Russland den Zugang zu Schlüsseltechnologien noch weiter verwehren», kommentierte sie. Zudem werde es dem Land auch weitere Einnahmen aus dem Energiesektor entziehen und das Problem angehen, dass Kremlchef Wladimir Putin zur Umgehung von Sanktionen auf eine sogenannte Schattenflotte und ein Schattenbankennetzwerk setzt.
Russland wird zum Beispiel bereits seit langem vorgeworfen, zur Umgehung eines westlichen Preisdeckels für russische Ölexporte in Drittstaaten auf Schiffe zu setzen, die nicht in Hand westlicher Reedereien sind oder nicht von westlichen Versicherungen versichert wurden.
Bundesregierung nervte Partner
Das neue Sanktionspaket war bereits Anfang Mai von der EU-Kommission vorgeschlagen worden. Dass es darauf nicht eher eine Einigung gab, lag insbesondere an deutschen Bedenken und Änderungswünschen. Zuletzt habe es sich angefühlt, als ob Deutschland das neue Ungarn sei, sagte jüngst ein EU-Beamter in Anspielung darauf, dass die Budapester Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban in der Vergangenheit immer wieder Entscheidungen für Russland-Sanktionen verzögert hatte.
Nach Angaben von Diplomaten forderte die Bundesregierung in den Verhandlungen vor allem, dass Pläne für strengere Maßnahmen gegen eine Umgehung der bestehenden Russland-Sanktionen abgeschwächt werden. Grund waren offensichtlich Warnungen aus der deutschen Wirtschaft, die einen zu hohen Verwaltungsaufwand und Umsatzverluste befürchtet.
Millionengeschäfte trotz Sanktionen
Befürworter eines entschlossenen Vorgehens gegen Sanktionsumgehungen verwiesen hingegen auf Schätzungen der EU-Kommission, nach denen über Tochtergesellschaften von europäischen Unternehmen noch immer Waren im Wert von Hunderten Millionen Euro nach Russland geliefert werden, die dort wegen EU-Sanktionen eigentlich nicht mehr landen sollten. Konkret geht es dabei hauptsächlich um Güter, die zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors Russlands beitragen können.
Der Kompromiss sieht nach Angaben von Diplomaten nun vor, dass die sogenannte «No Russia Clause» vorerst nicht wie geplant auf Tochterunternehmen angewendet werden muss. Mit ihr wird von EU-Exporteuren verlangt, dass sie die Wiederausfuhr von bestimmten Gütern nach Russland und die Wiederausfuhr zur Verwendung in Russland vertraglich verbieten. Betroffen davon sind unter anderem Luftfahrtgüter, Waffen und fortgeschrittene Technologiegüter, die in russischen Militärsystemen verwendet werden. Vom Tisch ist das Thema allerdings nicht: Die Einigung sieht vor, dass eine detaillierte Analyse über die möglichen Auswirkungen der «No Russia Clause» auf die Wirtschaft erstellt wird. Danach soll erneut über eine Ausweitung gesprochen werden.
Zoff in der Bundesregierung
Die deutsche Positionierung hatte auch für Streit innerhalb der Bundesregierung gesorgt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sah das Auswärtige Amt Vorbehalte des Kanzleramts gegen das Sanktionspaket als problematisch und imageschädigend an. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe in den vergangenen zwei Jahren intensiv daran gearbeitet, bei den europäischen Partnern verlorenes Vertrauen aufgrund der alten Russlandpolitik wiederherzustellen. Dieses Vertrauen dürfe nun nicht wieder verspielt werden.
13. Paket kam zum Jahrestag
Das 13. große Paket mit Russland-Sanktionen war im Februar zum zweiten Jahrestag des Kriegs gegen die Ukraine beschlossen worden. Es richtete sich gegen 106 Personen und 88 Einrichtungen, die für Handlungen verantwortlich sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen. Darunter waren auch Personen, die an Waffenlieferungen Nordkoreas an Russland beteiligt sind, sowie der nordkoreanische Verteidigungsminister.
Zudem wurden Handelsbeschränkungen für weitere Güter erlassen, die zur technologischen Stärkung des russischen Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen können. Dabei ging es um Komponenten für die Entwicklung und Herstellung von Drohnen. Bereits seit Längerem gibt es weitreichende Wirtschaftssanktionen wie zum Beispiel Einfuhrverbote für Rohöl, Kohle, Stahl, Gold und Luxusgüter sowie Strafmaßnahmen gegen Banken und Finanzinstitute.