An Lärm gewöhnt man sich nicht. Und er kann krank machen. «Lärmschwerhörigkeit» gehört zu den am häufigsten anerkannten Berufskrankheiten in Deutschland. Nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) leisten die Unfallversicherungsträger dafür jährlich Rentenzahlungen von mehr als 100 Millionen Euro. Rund 6.000 neue Fälle kommen im Jahr dazu.
Dabei gibt es zwei Arten der Lärmwirkung: Aural und extra-aural lauten die Fachbegriffe. Ersterer umfasst Belastungen, bei denen das Innenohr Schaden nimmt. Das ist ab einem Schallpegel von etwa 80 Dezibel (dB) der Fall. In diesen Bereich fällt etwa der Lärm, den eine stark befahrene Straße oder ein Rasenmäher verursachen.
Wie Beschäftigte davor geschützt werden müssen, ist gesetzlich geregelt. «Liegt der über den Arbeitstag gemittelte Lärmpegel bei 85 dB(A) oder darüber, ist Gehörschutz Pflicht», sagt Sandra Dantscher, Lärm-Expertin am Institut für Arbeitsschutz der DGUV. Auch regelmäßige arbeitsmedizinische Untersuchungen sind dann obligatorisch. Ab 80 dB(A) müssen sie zumindest angeboten werden, ebenso ein Schutz für das Gehör.
Der muss dann aber auch getragen werden: Viele Beschäftigte unterschätzten, wie schwer die Sinneszellen ohne Schutz geschädigt würden, sagt Dantscher. Je besser sich die Systeme – ob Ohrstöpsel, Kapselgehörschützer oder individuell angefertigte Gehörschutz-Otoplastiken – anpassen lassen, umso konsequenter würden sie genutzt.
Zu laut? Dann muss der Arbeitgeber Abhilfe schaffen
Doch was können Beschäftigte tun, wenn ihnen ihr Arbeitsplatz zu laut erscheint und es keine Lärmschutzmaßnahmen gibt? «Sie können sich beschweren», sagt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht. «Lärm ist eine arbeitsschutzrelevante Belastung am Arbeitsplatz.»
Unternehmen müssen für Sicherheit am Arbeitsplatz sorgen, dazu gehört auch die Einhaltung der Lärm-Grenzwerte. Die Messungen sind Teil der gesetzlich vorgegebenen Gefährdungsbeurteilung. Wer sich nicht direkt an den Chef oder die Chefin wenden möchte, kann den Betriebsrat einschalten. Sind alle Bemühungen fruchtlos, bleibt noch der Gang zur Arbeitsschutzbehörde.
Wie sie für Abhilfe sorgen, ob sie Maschinen austauschen, schalldämmende Zwischenwände einziehen oder Gehörschutz ausgeben, steht den Arbeitgebern frei. Entscheidend ist nur, ob damit der notwendige Effekt erzielt wird. Einen Anspruch auf einen bestimmen Wunsch-Lärmschutz hätten die Beschäftigten nicht, sagt Oberthür.
Sie rät auch von Selbsthilfe beispielsweise in Form von Noise-Cancelling-Kopfhörern ab, ganz besonders dann, wenn am Arbeitsplatz Ansprechbarkeit gefordert ist: «Man sollte auf jeden Fall vorher abklären, ob das zulässig ist.»
Die gute Nachricht: Die Zahlen für Fälle der Lärmschwerhörigkeit seien in den vergangenen Jahren signifikant zurückgegangen, so Sandra Dantscher. Das hat verschiedene Gründe: Es arbeiten insgesamt weniger Menschen in Industriebranchen mit hoher Lärmbelastung, Maschinen sind leiser geworden, «es gibt ein größeres Bewusstsein für Lärmschäden und dadurch eine größere Bereitschaft, Gehörschutz zu tragen.»
Warum uns das Großraumbüro nicht guttut
Geräusche müssen aber gar nicht immer besonders laut sein, um als belastend wahrgenommen zu werden - und teils massive Auswirkungen auf die Gesundheit zu haben. In der Fachsprache sind das die sogenannten extra-auralen Lärmwirkungen. Das betrifft vor allem Arbeitsplätze, an denen sich viele Menschen gleichzeitig aufhalten: Großraumbüros, Klassenzimmer oder Supermärkte zum Beispiel.
Der dauernde Geräuschpegel schädigt nicht das Gehör, wirkt aber auf der kognitiven Ebene und auf das vegetative Nervensystem. Die Folgen: Nervosität, Anspannung, Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten ebenso wie Magen-Darm-Probleme, hoher Blutdruck oder Herz-Rhythmus-Störungen. Schon ab einem Pegel von 30 dB(A) können sie auftreten. Zum Vergleich: Vogelzwitschern liegt bei ungefähr 50 Dezibel, ein Gespräch in normaler Lautstärke bei 60 Dezibel.
Laut Arbeitsstättenverordnung müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass Lärm und störende Geräusche an jedem Arbeitsplatz «so weit wie möglich reduziert werden». Bei Tätigkeiten, die viel Konzentration erfordern, darf es nicht lauter sein als 55 dB(A), bei Routinetätigkeiten liegt der Maximalwert bei 70 dB(A).
Was tun gegen die Dauerbeschallung?
Was als störend wahrgenommen wird, sei jedoch individuell sehr unterschiedlich, sagt Sandra Dantscher. Was die eine kaum hört, bringt den anderen immer wieder aus der Konzentration. «Das sind messbare Effekte, das bildet man sich nicht ein.»
Besonders problematisch sei verständliche Sprache im Hintergrund: das Telefonat drei Schreibtische weiter oder das in Dauerschleife dudelnde Einkaufsradio im Supermarkt. Das Gehirn kann kaum anders, als sämtliche Informationen zu verarbeiten, und das kostet Energie.
Solange die Vorgaben eingehalten werden, besteht aber kein Rechtsanspruch auf eine leisere Arbeitsumgebung. Trotzdem könne man sich beim Betriebsrat beschweren, sagt Arbeitsrechtsexpertin Nathalie Oberthür: «Wenn der Betriebsrat dann der Meinung ist, dass die Beschwerde berechtigt ist, kann er den Arbeitgeber auffordern, Abhilfe zu schaffen.» Führt das zu keiner Verbesserung, könne im nächsten Schritt die Einigungsstelle angerufen werden.
Es gibt durchaus Möglichkeiten, die Geräuschbelastungen zu reduzieren, auch im Großraumbüro. «Sinnvoll, das heißt tätigkeitsbezogen, zu gruppieren», wäre ein erster Schritt, sagt Sandra Dantscher: Wer konzentriert programmieren muss, sollte nicht neben einem Dauer-Telefonierer sitzen müssen. Akustik-Decken und -Stellwände dämpfen den Schall, ebenso helfen Teppiche, den Trittschall zu reduzieren.