Die Kult-Diva Lilo Wanders begeistert ihr Publikum seit Jahrzehnten mit ihrer offenen sowie direkten Art und ihrem Mut zu polarisieren. Hinter dem Alias verbirgt sich der Schauspieler Ernie Reinhardt, der die Persona Lilo Wanders 1989 im Schmidt Theater erschuf. Seitdem hat sie sich als erfolgreiche Autorin, Schauspielerin und Moderatorin einen festen Platz in der Unterhaltungsbranche erobert.
In ihrer Rolle als Initiatorin und Vorständin der COME OUT! Stiftung unterstützt sie aktiv junge Mitglieder der LGBTQAI+ Community bei ihrer Selbstfindung und hat zuletzt beim diesjährigen Christopher Street Day (CSD) einen Auftritt hingelegt. Im Rahmen des 5. Pride Talks wird Lilo Wanders einen interessanten Austausch zwischen Führungskräften, die ebenfalls der LGBTQAI+ Community zugehörig sind, moderieren. Der Austausch greift viele Fragen rund ums Thema Coming-out als Karrierekiller auf. Die Moderatorin hat uns im Interview viele interessante Einblicke in ihre Karriere, ihre Bindung zum queeren Netzwerk und zum Pride Talk gewährt.
Was hat Dich dazu inspiriert, die Persona „Lilo Wanders“ ins Leben zu rufen? Und wer waren dabei Deine Vorbilder?
Anfang der 1980er-Jahre habe ich in der von mir mitgegründeten freien Theatergruppe „Familie Schmidt – aufrecht, deutsch, homosexuell“ für sieben Theaterstücke je zwei bis drei Personen erfunden und gespielt. Wir waren permanent auf Tournee, wollten aber eine feste Spielstätte und haben deshalb 1988 das „Schmidt-Theater“ in Hamburg an der Reeperbahn eröffnet.
Nach dem sehr erfolgreichen Eröffnungsprogramm mit Georgette Dee und Terry Truck sollte die zweite Hausproduktion in einer fiktiven Pension auf St. Pauli spielen. Ein Gast sollte eine etwas in die Jahre gekommene, ehemals erfolgreiche Schauspielerin und Sängerin sein. Ich hatte einige Jahre vorher die extrem schlechtgelaunte Evelyn Künneke interviewt und nahm sie als Vorbild für eine grelle Parodie namens Lilo Wanders.
Wie waren die Reaktionen von Deinem Umfeld und Deiner Familie, als Du Deinen ersten Auftritt als Lilo Wanders hingelegt hast?
Ab 1989 gingen wir mit der „Schmidt-Mitternachts-Show“ in allen sogenannten dritten Fernsehprogrammen (außer in Bayern) auf Sendung. Der Kollege Littmann trat als „Herr Schmidt“ auf, seine Mitmoderatorin war die spießige „Marlene Jaschke“ und ich nahm mich als Lilo Wanders mit vor die Kamera.
Der Erfolg war riesig, denn so etwas hatte es zuvor nicht im deutschen Fernsehen gegeben, und Lilo wurde mit ihren schrägen Ansagen und Gesangseinlagen zur Kultfigur. Die Familie und den Freundeskreis hat´s gefreut und das Schmidt-Theater wurde bundesweit bekannt.
Hast Du seit Deinem ersten Auftritt als Lilo Wanders mit Feindseligkeit oder Vorurteilen zu kämpfen gehabt?
Im Sommer 1994 wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte bei VOX eine Sendung namens „Wa(h)re Liebe“ zu moderieren. Lilo Wanders sollte dieses Programm über Liebe, Sex und alle verwandten Themen eher frech präsentieren, aber ich war der Meinung, wenn ich mit meinen Gästen spreche, muss Lilo Wanders sich von der Persiflage zum Menschen wandeln. So wurde aus der Kunstfigur eine Person mit all meinen Eigenschaften.
In mehr als zehn Jahren wurde das Format 545-mal ausgestrahlt und Lilo zur Aufklärerin der Nation mit europaweiter Bekanntheit. Es gab nur wenige schriftliche Anfeindungen, die mir die Redaktion verschwieg. Auch dass ein offensichtlich gestörter Mensch mit einer geladenen Pistole in einer Plastiktüte durch St. Pauli lief und fragte, wo ich denn wohnte, erfuhr ich erst Jahre später.
Ich bin also unbeschadet durch all die Zeit gegangen und habe mich immer geachtet und gemocht gefühlt, wie auch bei meinen zahlreichen Soloprogrammen nach dem Ende von „Wa(h)re Liebe“. Möglicherweise hat die aus meiner Sicht Selbstverständlichkeit meines Seins dazu beigetragen – die Leute mochten meinen Humor und meine Zugewandtheit.
Wie hat sich die Akzeptanz und Sichtbarkeit von LGBTQAI+ Personen in den Medien und der Unterhaltungsbranche aus Deiner Perspektive im Laufe der Jahre verändert?
1987 gab es einen Auftritt des Travestie-Duos Mary & Gordy im „Blauen Bock“ unter dem Motto „Spaß an der Verwandlung“. 1991 outete Rosa von Praunheim Hape Kerkeling und Alfred Biolek in einer Fernsehsendung. 1996 ging „Die Travestie-Show“ bei RTL auf Sendung. Das waren immer einzelne Programm-Ereignisse, an die ich mich erinnere.
Heute hingegen gehören Drag-Shows und Berichte über queere Menschen zum Medienalltag, Moderator:innen bemühen sich um einen „normalen“ Umgang mit der Thematik. Wie es hinter den Kulissen aussieht, das weiß ich leider nicht.
Dieses Jahr bist Du als Lilo Wanders LGBTQAI+ Botschafterin für den Pride Talk. Was bedeutet Dir diese Aufgabe?
Ich fühle mich geehrt, dass ich etwas für die Community tun kann, nachdem ich viele Jahre auf CSDs und bei anderen Veranstaltungen aufgetreten bin und viel Liebe erfahren habe. Diese Liebe gebe ich gerne weiter. Ganz frisch übrigens auch als Vorständin der COME OUT! Stiftung, die ich vor kurzem gegründet habe und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, junge Menschen bei der Klärung der eigenen Identität zu unterstützen. LSBT*I* Jugendarbeit soll somit in ganz Deutschland nachhaltig unterstützt werden.
Inwiefern denkst Du, dass Diskussionen und Plattformen wie der Pride Talk dazu beitragen können, Vorurteile abzubauen und Verständnis für die Anliegen der LGBTQAI+ Community zu fördern?
Jede Öffentlichkeit ist nützlich. Wie eine Dame von den Landfrauen in meinem Nachbardorf meinte, als ich ihr für eine Veranstaltung zum Thema Vielfalt zusagte: „Es kann ja jede Familie treffen…“
Das Thema der 5. Edition ist „Coming-out als Karrierekiller“. Was wäre Deine Botschaft an diejenigen, die vor einem Coming-out am Arbeitsplatz stehen?
Man sollte natürlich abwägen, wie die Stimmung generell am Arbeitsplatz ist. Aber Offenheit finde ich immer besser fürs eigene Wohlbefinden – und es gibt mehr Akzeptanz als man sich vorstellt.
Wo kannst Du den Pride Talk mit Lilo Wanders streamen?
Du willst Lilo Wanders‘ Moderation des 5. Pride Talks nicht verpassen? Den inspirierenden Austausch zum Coming-out in der Berufswelt kannst Du am 10. Dezember 2023 um 19 Uhr per Livestream auf Facebook, YouTube und auf OUTtv sehen. Freu Dich auf einen rund zweistündigen Stream mit spannenden Diskursen, neuen Erkenntnissen und musikalischen Showacts.
Auch in diesem Jahr unterstützt Vodafone den Pride Talk. Hier erfährst Du, wie sich das Unternehmen aktiv für mehr Vielfalt im Arbeitsumfeld einsetzen möchte: Daily Diversity: So lebt Vodafone die Vielfalt im Unternehmensalltag.
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