Wären die anderen Disziplinen nur annähernd so erfolgreich wie die goldenen Reiter, dann sähe der Medaillenspiegel deutlich anders aus. Viermal Gold bei sechs Entscheidungen, das ist bisher die Hälfte aller deutschen Siege bei den Olympischen Spielen in Paris. «Reitsport in Deutschland kann sich sehen lassen», kommentierte Fußballstar Thomas Müller, der zumindest einen kleinen Anteil an den einzigartigen Erfolgen hat.
Während andere Disziplinen schwächeln, liefert der Pferdesport seit Jahrzehnten kontinuierlich Edelmetall. «Am Anfang der Saison war es ein Traum, hier an dieser historischen Stelle die 100. olympische Medaille im Pferdesport zu feiern», sagte Dennis Peiler, Sportchef des Reitverbandes FN, in Versailles. «Dass dieser Traum in Erfüllung gegangen ist, das ist unglaublich.»
Bilanz ist ohne Vergleich
Die Bilanz ist ohne Vergleich oder schlicht «fantastisch», wie Peiler es ausdrückte. Einzel-Gold für Michael Jung, Christian Kukuk und Jessica von Bredow-Werndl, dazu Gold für das Dressur-Team und Silber für Isabell Werth. «Wir sind reingegangen mit dem Korridor von drei bis fünf Medaillen», sagte der Sportchef nach dem abschließenden deutschen Gold für Kukuk mit Checker zu der forschen Zielsetzung des Reitverbandes. «Dass wir jetzt begeistert sind, ist - glaube ich - nachvollziehbar.»
Wieso sind die Reiter so erfolgreich? «Das hat vor allem drei Säulen», erklärte Otto Becker, Bundestrainer der Springreiter und 2000 in Sydney selber Olympiasieger. «Unsere Pferdezucht ist top, die Ausbildung und Nachwuchsförderung ist gut und hat eine lange Tradition, und wir haben eine breite Turnierlandschaft im ganzen Land.»
Alle Trainer im Sattel gold-dekoriert
Dem Verband ist es zudem gelungen, erfolgreiche Ex-Reiter für das Traineramt zu verpflichten. Nicht nur Becker gewann im Sattel Olympia-Gold, auch Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu und Vielseitigkeits-Coach Peter Thomsen sind gold-dekoriert. Gespräche über die auslaufenden Verträge sollen im Herbst folgen, sagte der Sportchef.
Neben den Pferdepflegerinnen - bei Checker ist das Sofie Karlsson - sind auch die Besitzer der Tiere wichtig. Nur sind die in der allgemeinen Öffentlichkeit kaum bekannt. Das hat sich mit dem Einzel-Gold für Kukuk und Checker geändert. Wie andere Reiter auch bedankte sich der siegreiche Springreiter bei den Besitzern - aufgrund der Prominenz von Checker-Miteigentümer Thomas Müller stieg die Aufmerksamkeit allerdings kolossal.
Müllers Anteil am olympischen Erfolg
Der mit der Dressurreiterin Lisa Müller verheiratete Bayern-Star hat tatsächlich seinen Anteil am olympischen Erfolg des deutschen Pferdesports. Der von Checker-Mitbesitzerin Madeleine Winter-Schulze ist freilich deutlich größer. Die 83-Jährige aus der Wedemark bei Hannover unterstützt seit Jahrzehnten deutsche Reiter. Die frühere deutsche Meisterin in der Dressur und im Springen hat enormen Anteil an ganz vielen Goldmedaillen, etwa von Werth, Ludger Beerbaum oder Ingrid Klimke.
Müller und Winter-Schulze «haben mir die Möglichkeit gegeben, das Pferd weiterreiten zu können», erklärte Kukuk. Der 34-Jährige weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Denn der Olympiasieger arbeitet im Sport- und Handelsstall von Beerbaum. Dem gehörte das von Wolfgang Kipp gezüchtete und von Bundestrainer Otto Becker vierjährig entdeckte Pferd zwischenzeitlich, wie der Bundestrainer erklärte. Dann kauften es vor drei Jahren Winter-Schulze und die M.H. & Partner GbR.
Kostspieliger Sport
In Beerbaums Stall gilt, wie der ebenfalls in Riesenbeck beschäftigte Olympia-Zwölfte Philipp Weishaupt, erklärte: «Kein Pferd bei uns ist unverkäuflich.» Und davon profitieren letztlich auch Weishaupt und Kukuk. Denn der Pferdehandel ist für die meisten Reiter die Lebensgrundlage für den kostspieligen Sport.