Tadej Pogacar wischte sich nach dem Schotter-Spektakel in der Champagne den Staub aus dem Gesicht, seinen Frust konnte der Mann im Gelben Trikot nicht beseitigen. Immer wieder hatte der slowenische Radstar in höllischem Tempo auf den weißen Pisten attackiert, seinen Rivalen konnte der Alleskönner auf der neunten Etappe einfach nicht entwischen.
Kein Verständnis hatte Pogacar dafür, dass Titelverteidiger Jonas Vingegaard bei den Angriffen nicht mit in die Führungsarbeit ging. «Sie haben nur auf mich geachtet. Jonas, Remco (Evenepoel) und ich hätten das Podium festigen können, das kann sich später noch rächen. Aber jeder fährt sein eigenes Rennen, mich stört es nicht», sagte Pogacar.
So endete das große Spektakel auf den steinigen Feldwegen unter den Top-Stars der Branche in einer Pattsituation. Am Ende des mit Spannung erwarteten Schlagabtauschs der Großen Vier erreichten Pogacar, Titelverteidiger Jonas Vingegaard, Weltmeister Remco Evenepoel und Primoz Roglic Seite an Seite das Ziel in Troyes.
Vingegaard hofft auf Steigerung
Vingegaard setzt indes auf den Faktor Zeit, dass er sich im Laufe der Rundfahrt noch steigern kann, zumal er nach seinem Sturz im Baskenland im April noch einen Leistungsrückstand hat. «Das Ziel war, keine Zeit zu verlieren. Das haben wir geschafft. Meine Teamkollegen haben einen super Job gemacht», sagte der Däne, der zugab, dass Pogacar der Stärkste war. Damit bleibt im Gesamtklassement vor dem Ruhetag alles beim Alten. Pogacar trägt weiter das Gelbe Trikot und liegt 33 Sekunden vor Evenepoel. Dahinter folgen Vingegaard (1:15) und Roglic (1:36).
Den Tagessieg holte sich nach 199 Kilometern der Franzose Anthony Turgis, der den Sprint einer kleinen Ausreißergruppe vor dem britischen Mountainbike-Olympiasieger Thomas Pidcock und dem Kanadier Derek Gee gewann und für den dritten Sieg der Gastgeber in 2024 sorgte.
Pogacar attackiert - ohne Erfolg
Alle Augen waren beim Ritt über die staubigen Wege mit einer Gesamtlänge von immerhin 33,2 Kilometern auf die Tour-Stars gerichtet. Gut 22 Kilometer vor dem Ziel fuhr Pogacar die schärfste Attacke, doch Vingegaard schaffte dank seiner starken Helfer den Anschluss, sodass die Favoritengruppe wieder zusammenrollte. Im Laufe der Etappe hatte es auch mal Evenepoel mit einem Angriff versucht - ohne Erfolg. So durfte sich der aufmerksam agierende Vingegaard als moralischer Sieger fühlen.
Der zweimalige Tour-Champion Pogacar war bestens vorbereitet. Erst im Frühjahr hatte der 25-Jährige noch das Schotterrennen Strade Bianche mit einem beeindruckenden 82-Kilometer-Solo gewonnen. Vingegaard ging indes ohne Streckenkenntnis auf die Pisten. Als sein Visma-Team im Mai das Terrain erkundet hatte, laborierte der Däne noch an den Folgen seines schweren Sturzes bei der Baskenland-Rundfahrt. Evenepoel hatte nichts dem Zufall überlassen und wusste wie schon im Zeitfahren über alle Tücken Bescheid.
Schotterpisten als Tour-Premiere
Es war das erste Mal in der Tour-Geschichte, dass die Schotterpisten ins Programm aufgenommen wurden. Nachdem in der Vergangenheit schon des Öfteren einige Kopfsteinpflaster-Passagen von Paris-Roubaix in die Route aufgenommen worden waren, wurde nun bei der Suche nach mehr Spektakel ein weiteres Element hinzugefügt.
Die Fahrer hatten sichtlich zu kämpfen. An den steilen und mitunter engen Stellen mussten nicht wenige Radprofis aus dem Sattel und einen kleinen Fußmarsch einlegen. Stürze blieben aber weitgehend aus - mit Ausnahme von Roglic-Helfer Alexander Wlassow, der gut 40 Kilometer vor dem Ziel im Graben landete, aber weiterfahren konnte.
Tour würdigt gestorbenen Radprofi Drege
Bevor das Feld losrollte, wurde zunächst der gestorbene norwegische Radprofi André Drege gewürdigt. Die Fahrer der norwegischen Mannschaft Uno X erschienen am Sonntag geschlossen in erster Reihe mit einer schwarzen Armbinde. Erst dahinter platzierten sich die Trikotträger um den Gesamtersten Pogacar. Drege war am Samstag bei der gleichzeitig ausgetragenen Österreich-Rundfahrt auf der Abfahrt vom Großglockner gestürzt. Er erlag seinen Verletzungen.
Am Montag legt die Tour eine Pause ein, bevor es dann einen Tag später mit der zehnten Etappe über 187,3 Kilometer von Orléans nach Saint-Amand-Montrond weitergeht. Dann könnten die Sprinter wieder zum Zug kommen.