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Gegen das Störgeräusch: Neuers Comeback als EM-Signal

Manuel Neuer feiert gegen die Ukraine nach 550 Tagen sein DFB-Comeback. Mit einem Testsieg soll ein Thema abgeräumt werden, dass auch Bundestrainer Nagelsmann kurz vor dem EM-Start fassungslos macht.
Manuel Neuer
Torwart Manuel Neuer beim DFB-Training in Herzogenaurach. © Federico Gambarini/dpa

Einmal noch legte Julian Nagelsmann seine Gedanken zum Fußball beiseite. Die umstrittene Umfrage zu Migration in der Nationalmannschaft wollte der Bundestrainer auch kurz vor dem wichtigen EM-Test gegen die Ukraine am Montag (20.45 Uhr) in Nürnberg nicht unkommentiert lassen. Zu sehr beschäftigt ihn das, was er da hören musste. «Ich hoffe, nie wieder so was von so einer Scheißumfrage lesen zu müssen», entfuhr es Nagelsmann im Trainingscamp in Herzogenaurach.

«Ich war schon schockiert, dass solche Fragen gestellt werden - und dass Menschen darauf antworten auch», sagte Nagelsmann zu der Umfrage der WDR-Sendung «Sport Inside», laut der jeder fünfte Deutsche sich mehr weiße Spieler in der DFB-Elf wünscht. «Ich sehe es auch so, dass das rassistisch ist», sagte Nagelsmann. «Ich habe schon das Gefühl, dass wir mal ein bisschen aufwachen müssen. Es gibt einfach unfassbar viele Menschen, die flüchten müssen, die ein sicheres Land suchen», sagte der Bundestrainer und schloss seine Ausführungen mit dem klaren Leitsatz: «Wir spielen eine EM für jeden im Land».

Auf Störgeräusche wie durch diese Umfrage will auch Manuel Neuer bei seinem hart erarbeiteten Länderspiel-Comeback verzichten. Wenn Deutschlands Nummer eins am Montagabend erstmals seit dem frühen und heftigen WM-K.o. in Katar gerade rechtzeitig wieder im DFB-Tor steht, soll nur noch der tickende Countdown zur Heim-EM zählen. Für Neuer und seine Kollegen wie Joshua Kimmich, der schon am Samstag von «Quatsch» und «Rassismus» gesprochen hatte, sind die reflexartigen Kommentare zum gesellschaftlichen Dauerthema Einwanderung dennoch ein unliebsames Déjà-vu.

550 Tage seit letztem Neuer-Spiel

Als Neuer vor 550 Tagen letztmals im DFB-Tor stand, wurde nicht nur das WM-Aus beim nutzlosen 4:2 gegen Costa Rica besiegelt. Es war die Einsicht gereift, dass auch die Vielzahl an gesellschaftlichen Nebenthemen rund um Gastgeber Katar den sportlichen Fokus fatal ins Rutschen gebracht hatte. Gerade Neuer war durch die Binden-Diskussion als damaliger Kapitän zu einer zentralen Figur geworden.

Typisch für die Diskussion: Im Fokus stehen plötzlich die 20 Prozent, die gegen Vielfalt sind. Und nicht jene 65 Prozent, die mit Migration und Herkunft laut Umfrage kein Problem haben. «Wir selber sind bestürzt, dass die Ergebnisse sind, wie sie sind, aber sie sind auch Ausdruck der gesellschaftlichen Lage im heutigen Deutschland», sagte WDR-Sportchef Karl Valks. Die Umfrage sei deshalb in Auftrag gegeben worden, nachdem ein Reporter des Senders bei Dreharbeiten für die Dokumentation «Einigkeit und Recht und Vielfalt» mit rassistischen Aussagen konfrontiert worden sei. «Das wollten wir bewusst nicht anekdotisch wiedergeben, sondern auf fundierte Daten stützen», sagte Valks.

Karriereende drohte

Auch für Neuer ist es maximal unerheblich, welche Hautfarbe oder Religion seine Kollegen haben. Vor seinem achten Turnier in Serie als Nummer eins seit der WM 2010 hatte der 38-Jährige wirklich wichtige Themen zu bearbeiten. Sein schwerer Beinbruch bei einem Skiunfall kurz nach Katar bedrohte die Karriere. «Es ist eine unglaubliche Leistung, was er da vollbracht hat. Nicht nur, dass er zurückgekommen ist, sondern auch die Art und Weise, wie er zurückgekommen ist», sagte Kimmich.

Nagelsmann legte fest: «Manu wird spielen. Er macht einen guten Eindruck. Körperlich ist er in einer guten Verfassung und er hat gut trainiert. Manu hat eine gute und stabile Saison gespielt. Er wird eine sehr gute EM spielen, da bin ich mir sicher», sagte der Bundestrainer.

«Nach wie vor ist meine Euphorie groß. Ich bin positiv gestimmt. Ich freue mich auf das, was kommt», sagte Neuer in Herzogenaurach. Der Routinier weiß nach 117 Länderspielen, wie richtungsweisend der Ukraine-Test und der finale EM-Prüfstein Griechenland am Freitag in Mönchengladbach sein werden. «Die beiden Testspiele sind sehr wichtig für uns, das ist die letzte Wasserstandsmeldung. Wenn wir positive Ergebnisse gestalten, lässt sich das erste Spiel etwas einfacher gestalten», sagte Neuer.

Nagelsmann kann mit einem mittlerweile gut gefüllten Kader seinen radikalen EM-Personalplan fortführen. Fest steht: Drei Änderungen zu den März-Mutmachern wird es gegen die Ukraine geben. «Wir versuchen, dem zarten Pflänzchen Stabilität zu verleihen», hatte Nagelsmann als Motto für die Vorbereitung ausgegeben.

Groß und Anton rücken auf

Neuer spielt anstelle von ter Stegen. Die Stammkräfte Toni Kroos und Antonio Rüdiger fehlen nach ihrem Champions-League-Triumph mit Real Madrid gegen ihre Dortmunder EM-Kollegen Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck noch. Für Rüdiger spielt Stuttgarts Waldemar Anton in der Abwehrkette. Vertreter für Kroos ist Pascal Groß, legte Nagelsmann fest. «Wir wollen auf der Gewinnerstraße bleiben», sagte Brighton-Profi Groß.

Nagelsmanns Königsklassen-Quartett wird erst nach dem Testspiel in Franken eintreffen. Dann sollen auch die politischen Themen endgültig abgeräumt sein. Das lehrt die Vergangenheit. Um Migration war es auch vor der EM 2016 und der WM 2018 gegangen. Vor acht Jahren provozierte der AfD-Politiker Alexander Gauland mit ausgrenzenden Aussagen gegen Jérôme Boateng - und erntete Kritik, Spott, aber eben auch Aufmerksamkeit.

Zwei Jahre später waren die Fotos von Mesut Özil und dem heutigen DFB-Kapitän Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan Anlass für eine ausufernde Debatte über Zugehörigkeit der Einwanderer-Nachfahren. Sie erreichte staatstragende Dimensionen und wurde als ein Grund für den frühen WM-K.o. in Russland angebracht.

© dpa ⁄ Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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