Großstadt-Enten brüten gern mal in Blumenkästen auf Balkonen und Dachterrassen. Dort finden sie oft ein geschütztes Plätzchen. «Es kann passieren, dass eine Ente im 16. Stock eines Spandauer Hochhauses brütet. Doch wie sie hinterher mit den Küken zum Wasser kommt - so weit denkt sie leider nicht», sagt Marc Engler, Leiter der Wildvogelstation des Nabu-Landesverbands Berlin.
Engler und seine Kollegen helfen Stockenten seit Jahren beim Umzug, denn sind die Küken erst einmal geschlüpft, kann der Weg Richtung Wasser lebensgefährlich werden. Ente und Jungtiere müssen oft nicht nur große Höhenunterschiede überwinden, sondern auch noch den Straßenverkehr überleben. Eine Umzugshilfe dieser Art ist selten. «Bundesweit ist mir nur die Wildvogelhilfe Leipzig bekannt, die ebenfalls Enten systematisch umsetzt», so Engler.
Jetzt, in der Brutsaison, haben er und seine Kollegen viel zu tun. «Fast täglich rufen mehrere besorgte Bürger an und bitten um Hilfe», erzählt Engler. Auch am Vortag haben sich wieder verschiedene Berliner gemeldet. Eine der Familien lebt in einem Neubaugebiet in Berlin-Adlershof. Mit einem Stoffbeutel, einer Transportbox und Futter ausgerüstet, machen sich Engler und sein Kollege Marco Stelter auf den Weg dorthin. Das Futter soll in dieser Ausnahmesituation helfen, das Tier abzulenken und einzufangen.
Entenfamilie erobert die Müggelspree
In einem Blumenkasten auf der Dachterrasse sitzt die Stockente, am Vortag sind ihre Küken geschlüpft. Die Kleinen kauern unter dem Regal, auf dem der Kasten steht. Das Rentner-Paar ist aufgeregt. Die Ente sei schon am frühen Morgen ständig auf dem Geländer balanciert und habe ihre Jungen gerufen. Die seien aber eher verängstigt gewesen. Für die Mutter ein ganz normales Verhalten: Entenküken verlassen schon wenige Stunden nach dem Schlüpfen ihr Nest.
Das Paar hatte seine Terrasse allerdings gut vorbereitet und Ritzen mit Brettern abgedichtet. So konnten die Küken nicht aus dem dritten Stock auf Beton fallen und womöglich sterben. Als die Enten-Umzugshelfer eintreffen, geht alles ganz zügig: Stelter gibt der Entenmama ein wenig Futter. Sie ist entspannt und lässt sich mühelos in den Beutel stecken.
«Ihr Puls ist ganz ruhig», sagt er, während er mit der Hand über den Beutel streicht. In der Zwischenzeit fängt Engler die Küken ein und setzt sie in die Transportbox. In ihrem Auto wiegen, vermessen und beringen die beiden die Ente noch, dann geht es auch schon los Richtung Altstadt Köpenick an die Müggelspree. Am Ufer öffnet Engler die Box und nach kurzem Zögern springt die Ente ins Wasser und ihre Jungen hinterher. Als wäre sie nie woanders gewesen, schwimmt die Familie los.
Manchmal muss adoptiert werden
Seit mehr als 20 Jahren setzen Mitarbeiter der Berliner Wildvogelstation bereits Entenfamilien um, wie Engler berichtet. «Die Tendenz ist steigend», erklärt der Naturschützer. Im vergangenen Jahr wurden laut Engler mehr als 200 Stockentenbruten gemeldet. Die tatsächliche Zahl der Enten, die in Menschennähe brüteten, sei mit Sicherheit deutlich höher. «In 159 Fällen haben wir im Vorjahr Enten umgesetzt», sagt Engler.
Am besten sei es aber, wenn es den Balkon- und Terrassenbesitzern oder auch anderen Anwohnern, etwa von ebenfalls beliebten Hinterhöfen, selbst gelinge, die Enten in sichere Gefilde zu bringen. Engler und seine Kollegen geben dazu gern auch am Telefon Hilfestellung.
Sind die Naturschützer im Einsatz, haben sie nicht immer so viel Glück wie in Adlershof. «Es passiert gelegentlich, dass Balkone nicht so gut gesichert sind und die Küken abspringen. Selten lässt sich die Ente gar nicht einfangen und am Ende stehen wir nur mit den Küken da», sagt Engler. Dann bestehe die Möglichkeit, die Jungtiere von einer anderen Entenmutter adoptieren zu lassen.
Warum brüten Enten an gefährlichen Orten?
Am häufigsten sei das Team in den wasserreichen Bezirken Spandau und Treptow-Köpenick unterwegs, aber auch im Regierungsviertel in Berlin-Mitte. Neben der praktischen Umzugshilfe forschen Engler und seine Kollegen auch zur Frage, warum Enten überhaupt an diesen ungewöhnlichen Orten brüten und zu diesen zum Teil auch jahrelang zurückkehren. «Möglicherweise ist an den Gewässern nicht mehr genügend geschützter Platz vorhanden und die Störfaktoren durch Menschen und Hunde zu groß. In Ufernähe scheuchen Hunde brütende Enten oft auf», erzählt Engler. Die Umzugshilfe unterstütze die Tiere zwar, andererseits bestehe aber auch die Gefahr, dass sich die Enten langfristig zu sehr an diesen Service gewöhnten.
Der Deutsche Tierschutzbund empfiehlt Balkonbesitzern, den Nestbau zu verhindern, indem man den Balkon möglichst oft betritt. «Wenn Sie merken, dass Enten sich dafür interessieren: Stellen Sie die Möbel und Pflanzen immer wieder um. Dann erkennen die Tiere sie nicht als mögliche Deckung an», heißt es vom Verband.