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Linguine aus dem Meer: Zur Algenernte an Schottlands Küste

Bei East Neuk sind die Gezeiten kräftig, hier gedeihen Hunderte Arten von Algen. Viele davon sind essbar und sogar köstlich und gesund. Ernten darf sie jeder. Unterwegs mit einem kochenden Experten.
Jayson Byles mit Fingertang (Laminaria digitata)
Jason Byles
Mit Gummistiefeln bei der Algenernte in Schottland
Meeresspaghetti
Frischer Meeressalat (Ulva lactuca)
Jayson Byles bei der Ernte von Fingertang (Laminaria digitata)
Jayson Byles schneidet Flügeltang (Alaria esculenta)
Meereslinguine aus Lappentang
Jayson Byles serviert seine Meereslinguine
Fischerdorf Crail am Fife Coastal Walk
Küstenortschaft Elie am Coastal Fife Walk
Häuserzeile am Strand von Anstruther
Schottland: Halbinsel Fife

«Tritt nur auf die unbewachsenen Felsen, die Algen sind sehr rutschig.» Jayson Byles spricht diese Warnung aus, und schon balanciert er konzentriert weiter hinaus in die steinig-zerklüftete Gezeitenzone am Kingsbarns Beach. 

Der Regen des Vortags ist einem freundlichen Horizont gewichen. Der aus Neuseeland stammende Wahlschotte mit Maori-Wurzeln trägt Gummistiefel samt Wathose und eine rostbraune Mütze, aus der Dreadlocks baumeln. Um die Schätze des Meeres zu ernten, hat der Algenkenner nicht Angel oder Kescher, sondern eine Schere dabei.

Immer wieder geht er in die Hocke, zeigt verschiedene Bewuchsstellen und nennt lateinische Namen wie Polysiphonia lanosa, Ulva lactuca oder Himanthalia elongata, sprich: Pinselbüschelalge, Meeressalat oder Riementang, auch Meeresspaghetti genannt. Sie sehen aus wie sie heißen: So gleichen die glibberig grünen Blätter des Meersalats tatsächlich einem Kopfsalat. Eine kulinarische Verheißung.

Allmählich fügt sich aus dem glitschigen Einerlei ein zuvor unbeachtetes Puzzle verschiedener Formen, Farben und Geschmäcker. Denn Byles reicht kleine Kostproben. Während die grünen Meeresspaghetti mit dezentem Aroma knackig, frisch und nussig, aber keineswegs fischig schmecken, erinnert die struppige Pinselbüschelalge gar an Trüffel.

Ernten bei Vollmond 

Bei East Neuk, im östlichsten Winkel der Region Fife, rund anderthalb Autostunden nördlich von Edinburgh, sei der Tidenhub von Ebbe und Flut besonders groß, sagt Byles. In dieser Gezeitenzone bekommen Makroalgen genügend Sonnenlicht für die Photosynthese und können sich mit ihren wurzelartigen Haftorganen an die Felsen klammern.

Gibt die Ebbe den Meeresboden frei, ist die richtige Zeit zum «foraging», zum Ernten der wilden Meereskost. «Ich gehe bei Vollmond und Neumond raus, denn bei der Springflut zieht sich das Wasser besonders weit zurück», so Byles. 

Der dann besonders große Tisch der Nordsee ist reich gedeckt mit roten, braunen und grünen Großalgen – und das ganz ohne Preisschild. Ernten darf jeder. «Rund um Schottland wachsen über tausend Makroalgen», erklärt der 49-Jährige, «und im Grunde sind alle essbar, aber rund 14 Arten schmecken besonders gut.»

Allerdings sind sie längst nicht alle zur selben Zeit erntereif. Im März noch messen die Meeresspaghetti - auch Riementang genannt - keine zwanzig Zentimeter, doch später «werden sie meterlang sein.» Meerestrüffel und Meersalat etwa sind im Herbst besonders schmackhaft und nährstoffreich. Auf keinen Fall sollte man tote, angeschwemmte oder fischig riechende Algen verzehren. Sie müssen stets frisch sein. 

Sein erstes Wissen über essbare Algen erlangte Byles als junger Mann in Neuseeland. Die Liebe führte ihn nach Schottland, wo er zwischenzeitlich als Teamchef in der kommerziellen Algenernte arbeitete. Dies brachte ihn samt Familie nach Fife, eine von Landwirtschaft und Fischerei geprägt Halbinsel, gesäumt von goldenen Stränden.

Seit 2019 bietet er regelmäßig «foraging»-Workshops an - samt kulinarischem Open-Air-Kochfinale. Mit seinem Angebot sei er weit und breit der Einzige. «Die Leute kommen aus aller Welt», so Byles. Auch ein lokales Seafood-Restaurant beliefert er regelmäßig, das «Dory Bistro & Gallery» an der Hafenkante des Fischerdorfs Pittenweem.

Der Wahlschotte steigt in ein knietiefes Wasserbecken und zieht die langen, breiten, fleischigen Blätter einer Braunalge empor. «Laminaria digitata», ruft er erfreut. Es ist offenbar ein guter Fund. «Aus dem Fingertang machen wir gleich unsere Linguine.» 

Das Superfood geriet in Vergessenheit

Zurück am Strand, befeuert er den mobilen Kocher. Den flachen Fingertang stutzt er auf die Größe von Lasagneblättern. Er versieht sie mit kleinen Schnitten, in deren Richtung er den Tang auseinanderzieht. So entstehen die gewünschten «Meereslinguine».

Kaum ins kochende Wasser getaucht, verfärben sie sich grün. Kochzeit wie bei vielen echten Nudeln: zehn Minuten. Der Algenfan bereitet weitere Zutaten vor: frische Zwiebeln, Pilze, die ideal zum würzigen Umami-Geschmack der Algen passten. Als weitere Leckerei gibt es Fischstückchen, die Byles mit feinem Flügeltang umwickelt.

Byles vermengt die garen Linguine mit dem angebratenen Gemüse und richtet das Algengericht auf Tellern an. Die bissfeste grüne «Pasta» mundet vorzüglich und ist - beim Anblick der wieder heranrollenden Wellen - flugs verspeist. 

So alltäglich wie Algen in der asiatischen Küche vorkommen, so exotisch scheinen sie auf europäischen Tellern. Dabei stand das protein-, vitamin- und mineralstoffreiche Meeresgemüse, heute oft als Superfood vermarktet, über Jahrtausende auch von Schottland über Irland und Frankreich bis nach Südspanien auf dem Speiseplan.

Eine goldene Regel

«Insbesondere winterharte Algen wie Lappentang oder Knorpeltang waren begehrt», sagt der Neuseeländer. Sie wurden in Brot eingebacken, aus ihnen wurde Hustenmedizin gewonnen. Im Zuge intensiver Landwirtschaft gerieten Algen in Vergessenheit.

Statt kommerzieller Algenwirtschaft liegt Byles heute die nachhaltige Nutzung am Herzen: «Jeder sollte nur so viel ernten, wie er benötigt.» Eine goldene Regel der Algenernte gebe es: Die Blätter immer oberhalb des Fußes abschneiden, niemals ausreißen, nur so kann sie weiterwachsen.

Der Duft unserer leckeren Algenpasta hat auch Neugierige angelockt, die entlang des Fife Coastal Path wandern. Auf der Küstenstrecke, die entlang der Küste der Fife-Halbinsel durch pittoreske Fischerdörfer und die mondäne Universitätsstadt St. Andrews verläuft, mögen sie Scones mit Clotted Cream oder Fish and Chips – doch sicher keine grünen Meereslinguine erwartet haben.

Um das Superfood an Schottlands Ostküste wieder aufleben zu lassen, brauchte es wohl erst einen Menschen vom anderen Ende der Welt.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: East Neuk liegt im östlichsten Winkel der Küstenregion Fife nördlich von Edinburgh.

Beste Reisezeit: Von Frühling bis Herbst veranstaltet Jayson Byles seine Workshops. In dieser Zeit bieten sich auch Wanderungen entlang des Fife Coastal Path an, der in knapp 190 Kilometern einmal um die Halbinsel Fife von Kincardine nach Newburgh führt. 

Anreise: Nonstop-Flüge nach Edinburgh, nächster Flughafen, gibt es etwa ab Berlin, Düsseldorf, Hamburg oder Stuttgart. Wer mit dem Auto kommt, hat etwa ab Köln rund 1200 Kilometer vor sich, ab München oder Berlin circa 1800 Kilometer - inklusive Transfer mit einer Fähre oder dem Autozug durch den Eurotunnel.

Einreise: Für die Einreise ist ein Reisepass notwendig, der mindestens für die Dauer der Reise gültig sein muss. Die Einreise mit Personalausweis ist nicht mehr möglich.

Unterkunft: Eine Übernachtung im Hotel oder Bed and Breakfast gibt es ab etwa 80 Euro aufwärts pro Nacht und Person; Apartments ab rund 100 Euro pro Nacht und Person. Familien kommen in Cottages ab 200 Euro pro Nacht unter.

Touren: Wer vier Stunden mit Jayson Byles unterwegs ist, zahlt 60 Pfund Sterling (gut 70 Euro), ein Drei-Gänge-Algenmenü ist inklusive; für Kinder unter 16 Jahren ist die Tour kostenlos (www.eastneukseaweed.com). Regenbekleidung und Gummistiefel sind zu empfehlen.

Weitere Algensammeltouren in Europa: Im südenglischen Exeter bietet Adam Reeve von Juli bis Oktober «Seaweed Courses» an, an Irlands Südküste Marie Power ihre Algen-Workshops. Auch in der französischen Bretagne gibt es entsprechende Veranstaltungen.

Gastronomie: Byles beliefert das mit maritimer Kunst dekorierte Seafood Restaurant «Dory Bistro & Gallery» an der Hafenkante des Fischerdorfs Pittenweem mit Algen. Auch das Restaurant «Craig Miller @ 16 West End» mit kleiner Terrasse und Meerblick in St. Monans verarbeitet frische Algen.

Währung: Ein Pfund entspricht etwa 1,18 Euro (Stand: 4. Juli 2024). Kreditkarten sind gängiges Zahlungsmittel. 

Zeitverschiebung: Schottland ist der deutschen Zeit um eine Stunde hinterher.

Weitere Auskünfte: welcometofife.com; visitscotland.com

Social Media: instagram.com/welcometofife; instagram.com/visitscotland 

© dpa ⁄ Dörte Nohrden, dpa
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