Das Bundeskriminalamt hat im vergangenen Jahr erneut mehr Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen registriert. In vielen Fällen spielt das Internet eine wichtige Rolle, etwa wenn die Täter Kontakte zu Minderjährigen über soziale Netzwerke anbahnen, wie aus dem «Bundeslagebild Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen 2023» hervorgeht. Der Bericht wurde am Montag im Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden vorgestellt. Eine Herausforderung für die Polizei bleibt demnach das Dunkelfeld: Viele Taten würden verschwiegen, beispielsweise weil sie innerhalb der Familie geschehen.
Laut Lagebild wurden den Ermittlern im vergangenen Jahr 16.375 Fälle bekannt, in denen Kinder sexuell missbraucht wurden - ein Anstieg um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 18.497 Kinder unter 14 Jahren wurden dabei Opfer sexuellen Missbrauchs, 7,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Im gleichen Zeitraum wurden zudem 1.200 Straftaten aktenkundig, bei denen Jugendliche sexuell missbraucht wurden. Die Zahl der Fälle, in denen es um Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern ging, nahm - vor allem aufgrund zahlreicher Hinweise aus dem Ausland - um 7,4 Prozent auf rund 45.000 Fälle zu. Die Anzahl der Sexualdelikte mit minderjährigen Opfern haben sich laut BKA in den vergangenen fünf Jahren insgesamt mehr als verdreifacht.
Mehr Kontrolle, mehr Fälle: Ermittler hellen Dunkelfeld auf
In dem Lagebild verweisen die Ermittler darauf, dass die Zahl der aufgedeckten Fälle von Kindesmissbrauch stark mit der polizeilichen Kontrolltätigkeit und dem Anzeigeverhalten zusammenhänge. «Insofern dürfte es auch aufgrund intensivierter polizeilicher Tätigkeiten im Deliktsbereich in den letzten Jahren zu einer Aufhellung des Dunkelfelds gekommen sein», heißt es weiter.
«Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gehört wohl zu den furchtbarsten und widerwärtigsten Formen von Kriminalität», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese Straftaten träfen die Verwundbarsten in unserer Gesellschaft und verursachten großes Leid. Viele Opfer seien noch sehr jung, mehr als 2200 Mädchen und Jungen seien zum Zeitpunkt des Missbrauchs jünger als sechs Jahre gewesen.
Das BKA erklärte außerdem, dass zahlreiche Fälle, in denen sich nach Hinweisen vor allem aus den USA kein potenzieller Tatort in Deutschland ermitteln lasse, nicht in die Statistik einfließen. Grund dafür, dass entsprechende Ermittlungen teils ins Leere laufen, sei die in Deutschland ausgesetzte Mindestspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten - speziell IP-Adressen. Bilder und Videos von sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen werden im Internet tausendfach geteilt.
Faeser: «Wir brauchen die Speicherung der IP-Adressen»
Faeser bekräftigte am Montag in Wiesbaden ihre Forderung für eine neue rechtskonforme Regelung für eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten der Telekommunikation. «Wir brauchen die Speicherung der IP-Adressen», sagte sie. Bei den Daten aus den USA sei dies oft die einzige Möglichkeit für eine Identifikation möglicher Verdächtiger. Auf die Frage, wie es mit der Umsetzung aussehe, antwortete Faeser: «Aus meiner Sicht sofort, ich versuche meine Koalitionspartner davon zu überzeugen.»
Im April einigten sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf das Quick-Freeze-Verfahren. Bei diesem Verfahren werden Daten erst dann gespeichert, wenn ein Verdacht auf eine Straftat erheblicher Bedeutung besteht. Die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung zu diesem Vorhaben dauert noch an. Wegen rechtlicher Unsicherheiten war die alte Regelung zur Speicherung seit 2017 nicht mehr genutzt worden.
Expertin warnt vor wachsender sexueller Gewalt im Netz
Wie aus dem Bundeslagebild weiter hervorgeht, sind die Fallzahlen bei Jugendpornografie im Vergleich zum Vorjahr besonders stark gestiegen - und zwar um rund 31 Prozent auf 8.851 Fälle. Auffällig sei, dass die Tatverdächtigen oft selbst minderjährig sind. Die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, sagte: «Das zeigt uns letztlich, wie normal die Konfrontation mit Material sexueller Gewalt für junge Menschen geworden ist.» Daher teilten sie solche Darstellungen auch im Netz. Es sei erschreckend, dass sich Grenzen verschöben. Die Expertin warnte, dass das Ausmaß digitaler sexueller Gewalt kontinuierlich ansteige. Es sei keine Abnahme der Zahlen in Sicht.