Er gehörte zu den schärfsten Regimekritikern in der DDR. Im Herbst 1989 war er dann eine der prominentesten Symbolfiguren der friedlichen Revolution. Der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer ist am Sonntag im Alter von 80 Jahren gestorben, wie der ehemalige sachsen-anhaltische Kultusminister Stephan Dorgerloh der Deutschen Presse-Agentur sagte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Schorlemmer als mutigen Streiter für Freiheit und Demokratie, als Mann des Wortes, des Gewissens und des Glaubens.
Mindestens zweimal schrieb Schorlemmer Geschichte. Bei einer Massendemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz rief er zur Gewaltlosigkeit auf. Da hatte sein Wort Gewicht. Denn schon zu DDR-Zeiten stand er hinter einer spektakulären Aktion: Am 24. September 1983 schmiedete ein Schmied während des evangelischen DDR-Kirchentags in Wittenberg ein Schwert zu einer Pflugschar um. Damals war Schorlemmer Schlosskirchen-Prediger in der Lutherstadt und Mitorganisator der Aktion. Der Slogan «Schwerter zu Pflugscharen» - von der DDR-Führung geächtet - wurde zum Leitmotiv der christlich geprägten DDR-Friedensbewegung.
«Kluger Sozialdemokrat»
Daran erinnerte jetzt Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Mit dieser Schmiedeaktion in Wittenberg sei Schorlemmer international bekannt geworden, erklärte Dulig zum Tod des Theologen. «Ich verbinde mit ihm mehr als nur einen klugen Sozialdemokraten aus Wittenberg, sondern auch den Theologen, der aktiv die friedliche Revolution 1989 gestaltet hat. Schorlemmer war stets ein kluger Ratgeber - dessen nachdenkliche, kluge Inspirationen gerade in diesen politisch-aufwühlenden Zeiten uns allen fehlen werden.»
Für Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) war Schorlemmer «eine wichtige Stimme des Ostens». Wortmächtig habe der Theologe den Freiraum der Kirche genutzt. Später sei er ein kritischer Begleiter der deutschen Einheit gewesen und habe sich immer wieder eingemischt.
Auch der Linken-Politiker Dietmar Bartsch schrieb: «Der Tod von Friedrich Schorlemmer erfüllt mich mit tiefer Trauer. Sein kluger und zutiefst menschlicher Einsatz für Aussöhnung nach 1989 hat Maßstäbe gesetzt.» Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, nannte ihn mutig und mitreißend.
«Demokratie ist wie ein Garten»
Schorlemmer wurde am 16. Mai 1944 in Wittenberge (Brandenburg) geboren. In der DDR war er Repressalien ausgesetzt - durfte an der Schule kein Abitur machen und holte es an der Abendschule nach. Schließlich studierte er Theologie an der Universität in Halle. Mit friedlichen Protesten und gewaltlosem Widerstand, etwa beim Einmarsch der Sowjettruppen in die Tschechoslowakei, geriet er in das Visier der Staatssicherheit.
In der Zeit der friedlichen Revolution gehörte Schorlemmer zu den Mitbegründern des «Demokratischen Aufbruchs», dem auch die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel zunächst angehörte. Merkel bog zur CDU ab, Schorlemmer hingegen trat 1990 in die SPD ein. Steinmeier lobte seinen hohen persönlichen Einsatz: «Ohne Menschen wie ihn wäre die Friedliche Revolution, deren 35. Jahrestag wir in wenigen Wochen feiern, nicht möglich gewesen.»
«Mein Leben war nicht leicht, aber reich»
Neben seiner Arbeit für die Evangelische Kirche engagierte der Theologe sich im Wittenberger Stadtrat. «Die Demokratie ist wie ein Garten, wenn man den nicht pflegt, der verwildert sehr schnell», sagte er einmal. Für seinen unermüdlichen Einsatz würdigte ihn die Stadt Wittenberg am 3. Oktober 2015 mit der Ehrenbürgerschaft. Der Linke-Politiker Gregor Gysi sagte bei dieser Gelegenheit über ihn: «Er ist absolut unkäuflich, unbequem, kritisch und lässt nie nach.»
Schon 1993 erhielt Schorlemmer den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, 2009 das Bundesverdienstkreuz. Im Ruhestand ließ der Autor zahlreicher Bücher nicht nach, seine Stimme für Demokratie und gegen Ausländerhass zu erheben. In Leipzig war er Mitinitiator der «Stiftung Friedliche Revolution». Er war Gast in Talkshows, redete öffentlich.
Schorlemmers früherer Kollege Dorgerloh würdigte den «streitbaren Geist und wichtigen Mahner für das Zusammenwachsen von Ost und West». Streitbar - das Wort verwendete auch der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer. Er nannte Schorlemmer zugleich eine Stimme für Frieden, für Demokratie, für Gerechtigkeit.
Der Theologe scheute sich nicht, den Mächtigen die Meinung zusagen. Das musste sich auch der damalige Bundespräsident Joachim Gauck anhören, der am Ende der DDR ebenfalls der Bürgerrechtsbewegung angehört hatte. Schorlemmer kritisierte öffentlich Gaucks Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Im Rückblick sagte er einmal: «Mein Leben war in Vielem nicht leicht, aber es war reich».