Sechs Wochen vor der Bundestagswahl hat Bundeskanzler Olaf Scholz die SPD auf eine Aufholjagd in der heißen Phase des Wahlkampfs eingeschworen. «Es geht um verdammt viel», sagte er auf einem Sonderparteitag in Berlin. «Wir streiten dafür, die Erfolgsmarke "Made in Germany" zu bewahren und zu erneuern - für die ganz normalen Leute in unserem Land. Also, kämpfen wir.»
Die 600 Delegierten feierten ihn stehend mit sechseinhalb Minuten Applaus. Anschließend wurde Scholz bei einer Abstimmung mit Handzeichen als Kanzlerkandidat bestätigt - es gab nur einzelne Gegenstimmen.
Rückstand auf Union zwischen 13 und 20 Prozentpunkten
Die Sozialdemokraten wollen bei der Wahl am 23. Februar wieder stärkste Partei werden, haben derzeit in den Umfragen aber einen Rückstand von 13 bis 20 Prozentpunkten auf die führende Union und liegen auch stabil hinter der AfD. Im ZDF-Politbarometer wurden die Sozialdemokraten am Freitag zum ersten Mal seit einem Jahr auch von den Grünen überholt und landeten nur noch auf Platz vier. Bei der Frage nach dem Wunsch-Kanzler oder der Wunsch-Kanzlerin schneidet nun selbst die AfD-Kandidatin Alice Weidel besser ab als Scholz.
Scholz: «Wir werden gewinnen»
Der zeigte sich auf dem Parteitag trotzdem zuversichtlich, dass die Trendwende noch gelingen kann. «Winterwahlkämpfe können ein gutes Ende haben», sagte er. In Hamburg habe er sich zweimal im Februar zur Wahl gestellt und gewonnen. «Ich finde, das macht Mut in dieser Zeit.»
Nach seiner Wahl zum Kanzlerkandidaten sagte er, er wolle wie beim letzten Mal alle überraschen, die vorher schon meinten zu wissen, wie es ausgeht. «Wir werden gewinnen.»
Richtungsentscheidung zwischen SPD und Union
Zuvor hatte Scholz die Delegierten in einer 51-minütigen Rede auf einen Richtungswahlkampf eingestimmt. «Wir stehen in Deutschland tatsächlich an einem Scheideweg», sagte er. Wenn Deutschland am 23. Februar falsch abbiege, «dann werden wir in einem anderen Land aufwachen».
Der Kanzler hatte schon mehrfach deutlich gemacht, dass er den Wahlkampf auf ein Duell mit dem Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz zuspitzen möchte. «Jetzt ist nicht die Zeit für Sprücheklopfer. Jetzt ist nicht die Zeit für die uralten Rezepte. Jetzt ist nicht die Zeit für Politik auf dem Rücken der ganz normalen Leute», rief er den Delegierten zu. «Oder knapp: Jetzt ist nicht die Zeit für CDU und CSU in Deutschland.»
«Vielleicht hätte ich früher auf den Tisch hauen müssen»
Die Rückschau auf seine dreijährige Regierungszeit als Ampel-Kanzler kam in der Rede nur kurz vor. Der Kanzler räumte ein, dass er die Regierung mit Grünen und FDP vielleicht früher hätte beenden müssen. «Vielleicht hätte ich früher auf den Tisch hauen müssen, nicht nur hinter den Kulissen, sondern öffentlich.»
Auf harsche Kritik an dem früheren Koalitionspartner FDP oder an den Grünen verzichtete der Kanzler diesmal weitgehend und arbeitete sich vor allem an der Union ab.
Warnung vor Angriffen auf die Demokratie
Eindringlich warnte Scholz vor Rechtspopulisten und Angriffen auf die Demokratie. Den Rechtsruck in Österreich nannte er «bedrückend». «Das können wir nicht einfach so zur Kenntnis nehmen», sagte der Kanzler. Auch in Amerika würden Kräfte daran arbeiten, «unsere demokratischen Institutionen zu zerstören».
Botschaft an Trump - ohne ihn zu nennen
Den künftigen US-Präsidenten Donald Trump erwähnte Scholz in seiner Rede zwar nicht, wies dessen Gebietsansprüche in Panama, Kanada und Grönland aber erneut indirekt zurück. «Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land - egal ob es im Osten von uns liegt oder im Westen», sagte er. «Kein Land ist der Hinterhof eines anderen.»
Der Ukraine sicherte Scholz weitere Unterstützung zu und versicherte, dass er eine Verwicklung der Nato in den Krieg verhindern werde. Merz warf er erneut vor, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zwischenzeitlich ein Ultimatum gestellt zu haben, das er später wieder zurückgenommen habe. Das zeuge «weder von Standhaftigkeit noch von Verantwortung.»
Er selbst werde standfest und besonnen bleiben. «Darauf können sich alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verlassen.»
Keine geheime Abstimmung über den Kanzlerkandidaten
Scholz war Ende November vom Parteivorstand erst nach zäher und kontroverser Debatte als Kanzlerkandidat nominiert worden. Zuvor hatte die Partei zwei Wochen lang öffentlich darüber diskutiert, ob nicht der deutlich beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius als Ersatzkandidat für den nach dem Scheitern seiner Ampel-Regierung angeschlagenen Scholz eingewechselt werden soll.
Auf dem Parteitag wurde die Entscheidung für Scholz nun per Handzeichen bestätigt. Auf eine geheime Abstimmung wie bei vielen früheren Entscheidungen für Kanzlerkandidaten verzichtete die Parteiführung und begründet das damit, dass Scholz als Kanzler und nicht als Herausforderer antritt und in diesen Fällen eine geheime Abstimmung nicht üblich sei.
Vor der vorangegangenen Bundestagswahl 2021 hatten 96,2 Prozent der Delegierten bei einer Online-Abstimmung während der Corona-Pandemie für Scholz gestimmt.
Steinbrück zweifelt an SPD-Sieg
Die aufreibende K-Debatte des letzten Jahres spielte auf dem Parteitag aber keine Rolle mehr. Auf offener Bühne gab es weder Kritik am Kandidaten noch an der Parteiführung. Mit Peer Steinbrück meldete sich aber ein ehemaliger Kanzlerkandidat von der Seitenlinie zu Wort und bezweifelte, dass die Aufholjagd noch möglich ist. «Die Wahrscheinlichkeit weist darauf hin, dass die SPD mit ihm (Scholz) an der Spitze erkennbar nicht die stärkste Partei wird», sagte der frühere Finanzminister dem Nachrichtenportal t-online.
2021 hatte die Aufholjagd zum jetzigen Zeitpunkt des Wahlkampfs, also sechs Wochen vor der Wahl, schon längst begonnen. Knapp fünf Wochen vor dem Wahltermin überholten die Sozialdemokraten die Union erstmals in einer Umfrage und stabilisierten den Trend dann.
Höchstens 400 Euro für ein WG-Zimmer
Inhaltlich stellte sich die SPD mit einem Programm für die Wahl am 23. Februar auf, das den Titel «Mehr für Dich. Besser für Deutschland» für die Wahl am 23. Februar trägt. Darin verspricht die Partei unter anderem, 95 Prozent der Steuerzahler zu entlasten, mit einem «Made in Germany»-Steuerbonus Investitionen zu fördern und den Mindestlohn auf 15 Euro anzuheben.
Kurzfristig eingearbeitet wurde das Versprechen, dass Studierende und Azubis möglichst nicht mehr als 400 Euro für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft zahlen müssen.
Spitzen- und Reichensteuersätze sollen angehoben werden
Die Steuerpläne der SPD wurden auf dem Parteitag konkretisiert: Die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz soll auf 93.000 Euro angehoben werden, der Steuersatz selbst dafür aber auch - von 42 auf 45 Prozent. Der Reichensteuersatz soll von 45 auf 47 Prozent steigen. Auch der Grundfreibetrag soll bei der Einkommensteuer angehoben werden, um Geringverdiener zu entlasten.