Bei der Linken startet vor der Neuwahl zum Bundestag die «Mission Silberlocke»: Die langjährigen Spitzenpolitiker Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow wollen in Berlin, Rostock und Erfurt Direktmandate erobern, um ihre Partei wieder sicher ins Parlament zu bringen. «Das wird ein seriöses und ein kämpferisches Projekt», sagte der frühere Fraktionschef Bartsch. «Wir werden kämpfen und wir werden es schaffen.»
Alle drei Politiker sind quasi im Rentenalter: Gysi, früher ebenfalls zeitweise Chef der Bundestagsfraktion, ist 76 Jahre alt. Ramelow, der nach einer Wahlniederlage in Thüringen das Amt des Ministerpräsidenten abgibt, ist 68 und Bartsch 66. Dass sie nun Mandate im Bundestag anstreben, hängt mit der Existenzkrise ihrer Partei nach der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht zusammen. In Umfragen liegt die Linke bundesweit unter fünf Prozent. Würde die Partei drei Direktmandate gewinnen, käme sie wie schon 2021 über die sogenannte Grundmandatsklausel wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag.
«Seniorenexpress» unterwegs
«Sollte die Linke ausscheiden aus dem Bundestag, bedeutete das, dass es im Bundestag keine linken Argumente mehr gibt», sagte Gysi. Das wäre angesichts eines Rechtsrucks in Deutschland eine «ziemliche Katastrophe». Deshalb hätten er und seine Kollegen sich trotz ihres Lebensalters zur Kandidatur entschlossen. Ramelow sagte, seine Lebensplanung sei eigentlich eine andere gewesen, aber: «Es ist mir eine Freude, in die Mission einzutreten.» Der «Seniorenexpress» habe sich aufgemacht.
Für den Wahlkampf nannte Gysi mehrere zentrale Themen: soziale Gerechtigkeit, Steuergerechtigkeit, Frieden, Migration, ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung, Gleichstellung von Frau und Mann, Gleichstellung von Ost und West. Ramelow betonte vor allem die Themen Klimaschutz und den Aufbau von Bürgerversicherungen, etwa in der Krankenversicherung.
Doppelstrategie für den Wahlkampf
Vor allem Gysi werde in seinem Wahlkreis in Berlin-Köpenick und Ramelow im Wahlkreis Weimar-Erfurt gute Chancen ausgerechnet. Die Berliner Landesvorsitzenden Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer sicherten den «Silberlocken» ausdrückliche Unterstützung zu.
Bartsch hat es bei früheren Wahlen nicht geschafft, ein Direktmandat in seinem Wahlkreis Landkreis Rostock II in Mecklenburg-Vorpommern zu erobern. Jetzt seien die Chancen besser, weil er nicht bundesweit als Spitzenkandidat der Linken ins Rennen gehe und sich mehr auf seinen Wahlkreis konzentrieren könne, sagte Bartsch. Alle drei betonten, Ziel sei zugleich, deutlich mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen zu bekommen.
Van Aken gibt sieben Prozent als Ziel an
Diese Doppelstrategie hatte die neue Parteivorsitzende Ines Schwerdtner für die Bundestagswahl angekündigt. Ihr Co-Vorsitzender Jan van Aken sagte diese Woche: «Wir werden ganz sicher drei, wenn nicht vier Direktmandate gewinnen, und die Mission Silberlocke wird da wahrscheinlich zwei zu beisteuern.» Es sei «eine Garantie, dass wir im nächsten Bundestag vertreten sein werden».
Hoffnungen auf Direktmandate machen sich auch Schwerdtner in Berlin-Lichtenberg und der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann. Van Aken nannte in der «Rheinischen Post» eine Zielmarke bei den Zweitstimmen: «Wir wollen mit sieben Prozent in den Bundestag - und die Mission Silberlocke hilft uns dabei.»
«Die Alten sollen nicht den Ton angeben»
Gysi hatte die Aktion Silberlocke beim Linken-Parteitag in Halle im Oktober in Aussicht gestellt. Er machte sie aber davon abhängig, dass die Partei ihren Dauerstreit hinter sich lässt. Nun zeigte er sich zufrieden. Die neue Parteispitze hatte sich mit der Führung der Linken-Gruppe im Bundestag geräuschlos auf ein Spitzenduo für die Bundestagswahl geeinigt. Neben van Aken soll die Gruppen-Chefin Heidi Reichinnek ins Rennen gehen.
Die Partei macht sich zudem Mut, weil Tausende neue Mitglieder eingetreten sind - allerdings nach einem deutlichen Aderlass in den Jahren des Streits mit der früheren Linken Sahra Wagenknecht. Dass ausgerechnet ältere Männer, die schon Jahrzehnte im Politikbetrieb sind, die Partei retten sollen, kommentierte Gysi so: «Wir wollen ja nicht, dass die Alten den Ton angeben, sondern nur, dass wir unterstützend in den ganzen Prozess mit eingreifen.»