Das Video ist nur 22 Sekunden lang, die Bilder sind dunkel und wackelig. Der Filmende - ein AfD-Kandidat für die Kommunalwahl in Mannheim - rennt darin über eine Straße im Stadtteil Rheinau und verfolgt einen jungen Mann im blauen T-Shirt. Der trägt Wahlplakate der AfD unter dem Arm. «Bleiben Sie stehen!», ruft der Mann mit der Handykamera, und: «Sofort hinlegen!» In der Hand hält der Verfolgte einen Gegenstand, die Polizei wird später von einem Cuttermesser sprechen. Dann entsteht ein Handgemenge, die Bilder verwackeln, nicht mehr viel ist zu erkennen. Der Filmer stöhnt auf. «Polizei! Hilfe! Polizei», ruft er. Der Mann mit dem Messer rennt weg. Dann endet die Aufnahme - und lässt viele Fragen offen.
Fest steht: Schon wieder ist ein Politiker in Deutschland auf offener Straße verletzt worden. Der Mann heißt Heinrich Koch, er ist 62 Jahre alt und Gemeinderatskandidat für die AfD in Mannheim. Seit Wochen sorgen politische Attacken auf Amts- und Mandatsträger für Aufsehen, so wurde in Dresden der SPD-Wahlkämpfer Matthias Ecke krankenhausreif geschlagen.
Allerdings ist in dem Fall von Mannheim das Motiv des Täters ungeklärt. Klar ist, dass Gewalt gegen Politiker jeder Couleur zu verurteilen ist. Klar ist aber auch, dass mit Angriffen und Bildern von Gewalt sehr wohl selbst Politik gemacht werden kann.
Motiv des Täters ist unklar
Polizei und Staatsanwaltschaft können bislang ein politisches Motiv nicht bestätigen. Die Ermittler berichten zwar, dass der 25 Jahre alte Tatverdächtiger mehrere Wahlplakate am späten Dienstagabend beschädigt und entwendet und der AfD-Politiker ihn daraufhin verfolgt und gestellt habe. Aber bei der Festnahme des jungen Mannes hätten sich deutliche Hinweise auf eine psychische Erkrankung gezeigt, so Polizei und Staatsanwaltschaft. «Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand liegen keine konkreten Hinweise vor, dass der Tatverdächtige bei dem Angriff erkannt hatte, dass es sich bei dem Geschädigten um einen AfD-Politiker handelt.»
Dennoch entfernte der Mann Plakate der AfD. Der Verdächtige liegt nun in einem psychiatrischen Krankenhaus - aber auch eine psychische Krankheit muss ein politisches Motiv nicht ausschließen. Der junge Mann wurde dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Der erließ einen Unterbringungsbefehl wegen versuchten Totschlags.
Für die AfD ist die Tat jedenfalls klar politisch motiviert. Koch selbst sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass es im Netz zuvor Aufrufe zu Angriffen auf AfD-Politiker in Mannheim gegeben habe. Er habe Schnittwunden an Ohr und Bauch erlitten und die Nacht in einer Klinik verbracht, so Koch. Er sei genäht worden.
Auf seinem Video ist zu sehen, dass er sich auf den jungen Mann zubewegte und ihn stellen wollte. Was man nicht mehr sieht: Auch nach dem Erleiden der Schnittwunden habe er dem Verdächtigen zunächst weiter nachgesetzt, wie er berichtete, da er weder mitbekommen habe, dass der junge Mann ein Messer bei sich hatte, noch dass er damit verletzt worden sei. «Das habe ich nicht gemerkt im Adrenalinrausch, ich wollte ihn stellen.» Sein Handyvideo habe er angeschaltet «auch als Eigensicherung». Er sei als Oberstleutnant der Reserve ausgebildet im Nahkampf und habe sich bei dem Angriff automatisch geschützt.
OB: «Feige Tat ist abscheulich und durch nichts zu rechtfertigen»
Viele in der AfD sehen Linksextremisten hinter dem Angriff - was die Ermittler aber nicht bestätigen können. «Islamismus und Linksextremismus sind die größte Gefahr für unsere Demokratie, doch das wird leider immer noch ignoriert», ist AfD-Landeschef Markus Frohnmaier sicher. Er warf Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) völliges Versagen vor.
Auch Faeser verurteilte die Tat gegen den AfD-Mann scharf. «Es gibt niemals eine Rechtfertigung für Gewalt», sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. «Dem Verletzten wünsche ich gute und vollständige Genesung und danke der Polizei für den schnellen Zugriff.» Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) nannte die Tat feige und abscheulich. Die Heidelberger Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner von den Grünen sagte, die Eskalation der Gewalt gegenüber Politikern aller Parteien sei «in keiner Weise zu rechtfertigen».
Inwieweit die Kommentierenden zum Zeitpunkt der Äußerung über die mutmaßliche psychische Erkrankung des Täters im Bilde waren, ist unklar.