Es sind ähnliche Bilder auf den Flughäfen in Köln, Washington und Moskau, aber die Vorzeichen sind andere: Mehr als 20 Inhaftierte, darunter fünf Deutsche, sind nach dem größten Gefangenenaustausch seit Ende des Kalten Krieges wieder in Freiheit. Kanzler Olaf Scholz begrüßt auch russische Oppositionelle, US-Präsident Joe Biden umarmt den Journalisten Evan Gershkovich, Kremlchef Wladimir Putin herzt den «Tiergartenmörder» Wadim Krassikow, dessen Agententätigkeit für den Inlandsgeheimdienst FSB Moskau nun bestätigt ist.
Es herrscht Freude auf allen Seiten. Besonders für Biden und seine Stellvertreterin Kamala Harris ist die Freilassung prominenter Gefangener gut drei Monate vor der Präsidentschaftswahl ein großer Erfolg. Aber könnte es auch der Anfang für weitere Verhandlungen zwischen dem Westen und Russland sein – womöglich für eine Lösung im Krieg in der Ukraine?
Etappensieg für Biden und Harris, Ärger bei Trump
Biden konnte mit seiner Regierung zwar schon seit Beginn seiner Amtszeit 2021 die Freilassung mehrerer Amerikaner aus Russland aushandeln, trotz starker Spannungen wegen des Ukraine-Kriegs. Doch mitten im US-Wahlkampf, der mit Bidens Rückzug aus dem Rennen komplett neu aufgerollt wurde, spielt das Timing des historischen Austauschs für die Demokraten noch einmal eine andere Rolle.
Der Deal wird nicht nur Teil von Bidens politischem Erbe sein - auch Vize Harris, die an seiner Stelle gegen den Republikaner Donald Trump kandidieren will, kann sich damit als strategische Staatsfrau präsentieren, die eine aktive Rolle bei den Verhandlungen gespielt hat. So war etwa sie es, die am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar nach viel Hin und Her zwischen Washington und Berlin ein persönliches Gespräch mit Scholz führte.
Dass es sich für die Demokraten um einen Etappensieg handelt, zeigte auch die Reaktion von Trump: Der Republikaner kommentierte den Deal merklich verärgert, redete ihn auf seinem Sprachrohr Truth Social schlecht und implizierte in einem TV-Interview ohne Belege, für den Austausch der Gefangenen sei Geld geflossen.
Trump wird zwar einige Nähe zu Wladimir Putin nachgesagt. Der Kremlchef dürfte aber wenig Interesse daran gehabt haben, die bei monatelangen Geheimgesprächen erzielten Fortschritte aufs Spiel zu setzen für den Fall, dass der Republikaner zurück an die Macht kommen könnte. Trump ist extrem unberechenbar und sprunghaft. Und er hat bislang getönt, er würde rein gar nichts anbieten im Gegenzug für eine Freilassung inhaftierter Amerikaner.
Kein Entgegenkommen beim Ukraine-Krieg
Hoffnungen, dass sich durch den Deal auch ein Umschwung für die Ukraine ergeben könnte, dämpfte das Weiße Haus umgehend. Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan stellte am Donnerstag vor Journalisten klar, dass der Gefangenenaustausch aus US-Sicht keinen direkten Einfluss auf die Situation in dem von Russland angegriffenen Land habe. Er unterstrich die praktische Natur des Deals, während die diplomatischen Bemühungen mit Blick auf den Ukraine-Krieg weitaus komplexer seien.
Sullivan erklärte, dass es im Zuge der Verhandlungen über die Gefangenen keine direkten Gespräche mit Putin gegeben habe. Zwar gab es Kontakt auf untereren Ebenen, Biden und der Kremlchef haben aber seit mehr als zwei Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Das letzte Telefonat fand am 12. Februar 2022 statt - knapp zwei Wochen vor der Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Laut Kreml in Moskau führten die Geheimdienste beider Staaten die Verhandlungen zum Gefangenenaustausch. Sullivan sprach etwas allgemeiner von «sensiblen Kanälen».
Expertin: Viele Faktoren wirken auf Kriegsverlauf
Die russische Politikexpertin Tatjana Stanowaja sieht zwar bei vielen die Hoffnung, dass der Austausch zwischen dem Westen und Moskau auch Verhandlungen im Ukraine-Krieg näher bringt. «Aber Grund dafür gibt es wenig», sagte sie. Es gebe viele andere Faktoren, die auf den Verlauf des russisch-ukrainischen Krieges wirkten. «Der Ausgang der amerikanischen Wahlen, die innenpolitischen Veränderungen in der Ukraine, der Stand der Dinge an der Front und die militärischen Ressourcen beider Seiten haben viel mehr damit zu tun, wer wie und wann über den Frieden in der Ukraine sprechen wird», stellte sie in einer Analyse für die US-Denkfabrik Carnegie fest.
«Der aktuelle Austausch sieht eher wie das Ende einer bestimmten Phase der Konfrontation aus, während die Konturen der nächsten Phase noch nicht klar erkennbar sind», sagte sie. Aus ihrer Sicht dürfte vor allem der Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny im Februar im Straflager der Arktisregion den Druck erhöht haben, den seit langem geplanten Austausch durchzuziehen.
«Für Berlin wurde die Möglichkeit, politische Gefangene freizubekommen, zu einem wichtigen Motiv, das half, gesetzliche und politische Hürden zu überwinden – für eine Auslieferung Krassikows», meinte sie mit Blick auf den «Tiergartenmörder», der in Berlin einen Georgier ermordet hatte und zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.
Politologe: Putin im Ukraine-Krieg nicht verhandlungsbereit
Zu viel in den Deal hineinzulesen und ein Tauwetter zwischen Moskau und dem Westen zu erwarten, davor warnt auch der Experte für russische Außenpolitik, Fjodor Lukjanow. «Das ist nicht so. Der Austausch ist ein Merkmal für eine etablierte und strukturierte Konfrontation, wie es sie während des Kalten Krieges gab», schrieb der Chefredakteur Zeitschrift «Russland in der gobalen Politik» bei Telegram. Es sei gut, einen Kanal für Verhandlungen zu haben. Aber über die Zukunft sage das nichts.
Der deutsche Politologe David Sirakov sagte, trotz der schweren Verstimmungen habe es zwischen Moskau und Washington ununterbrochen Gespräche gegeben. «Die Frage ist, ob man zu Einigungen und letztlich zu Lösungen kommt. Hier scheint es geklappt zu haben, wohl gerade, weil Präsident Wladimir Putin echte Gesprächsbereitschaft gezeigt hat.» Dies sei zumindest momentan grundverschieden zu Putins Haltung in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine.