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«Obdachlose ohne Zukunft» in Gaza

Viele Teile des Gazastreifens sind Organisationen zufolge nach mehr als sechs Monaten Krieg nicht mehr bewohnbar. Auch Rafah könnte nach einer möglichen israelischen Offensive einem Trümmerfeld gleichen.
Chan Junis
Rafah
Humanitäre Krise
Nahostkonflikt

Abla Faradsch Allah hat viele Stunden damit verbracht, unter den Trümmern ihres Zuhauses im Gazastreifen nach Erinnerungsstücken zu suchen. «Es ist mir gelungen, einige Bilder und Andenken zu finden, die nicht verbrannt waren», erzählt die Palästinenserin der Deutschen Presse-Agentur.

Ihr Haus im Flüchtlingsviertel Nuseirat wurde vor zwei Wochen bei einem israelischen Luftangriff zerstört, wie sie sagt. Überprüfen lassen sich ihre Angaben nicht. Bis auf die Andenken, einige Kleidungsstücke und einen Schrank sei alles zerstört worden. Ihr Haus im Zentrum des umkämpften Küstengebiets sei nicht für militärische Zwecke genutzt worden, beteuert Abla Faradsch Allah. Sie selbst sei Zivilistin. «Ich weiß nicht, wieso mein Haus bombardiert wurde.»

Aus Angst vor diesem Szenario sei sie aber bereits zuvor mit ihren Angehörigen in ein Zelt an den Strand in der Nähe gezogen. Nachdem Israels Armee ihr Viertel nach einem Einsatz verlassen habe, sei die Familie zurückgekehrt - und schockiert gewesen angesichts des Ausmaßes der Zerstörung. Sie hätten fast alles verloren, und auch die Sicherheit eines Lebens in einem richtigen Gebäude sei ihnen genommen worden.

Nach mehr als sechs Monaten Krieg sind große Teile des Gazastreifens nicht mehr wiederzuerkennen. Experten zufolge könnte ein Wiederaufbau Jahrzehnte dauern. Berichten zufolge finden manche Menschen ihr einstiges Zuhause angesichts der großen Zerstörung kaum wieder. Der dicht besiedelte Gazastreifen ist Hilfsorganisationen zufolge wegen der weitreichenden Zerstörungen teils unbewohnbar geworden. Israel betont immer wieder, es greife keine zivilen Ziele an - sondern nur solche, die von Bewaffneten genutzt werden.

Zehntausende zerstörte Gebäude

Nach Angaben der Decentralized Damage Mapping Group (DDMG) wurden seit Kriegsbeginn im Oktober mehr als die Hälfte aller Gebäude im Gazastreifen beschädigt oder zerstört. US-Wissenschaftler der DDMG untersuchen die Kriegsschäden mit Hilfe von Satellitendaten. Die UN hatten vor einem Monat mitgeteilt, dass seit Kriegsbeginn rund ein Drittel aller Gebäude zerstört oder beschädigt worden seien.

Bis Ende Februar wurden nach Angaben des UN-Satellitenzentrums (Unosat) mehr als 31.000 Gebäude zerstört. Zusätzlich seien weitere knapp 17.000 Gebäude schwer und fast 41.000 leicht beschädigt worden. Zusammen seien damit 35 Prozent aller Gebäude oder 121.400 Wohneinheiten betroffen. Unosat bezieht sich bei der Analyse auf Satellitenaufnahmen vom 29. Februar 2024. Diese wurden mit älteren Aufnahmen verglichen.

Israels Armee zerstört eigenen Angaben zufolge nur die Infrastruktur extremistischer Gruppen, zivile Einrichtungen seien keine Ziele. Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Palästinensergruppen nutzten jedoch Wohngebäude, Kliniken, Schulen und Moscheen mit Absicht für ihre Zwecke, so das Militär. Israel geht davon aus, dass die Hamas die Zerstörung und viele tote Zivilisten bewusst einkalkuliere, um international Sympathien für sich und zugleich Kritik an Israel zu erreichen.

«Können mit diesem Ausmaß der Zerstörung nicht umgehen»

«Wir sind zu Obdachlosen ohne eine Zukunft geworden», sagt Salah Kadih aus der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens der dpa. «Wir können mit diesem Ausmaß der Zerstörung nicht umgehen.» Die Gegend mit den grauen Schuttbergen und Häuserskeletten sehe aus, als ob ein verheerendes Erdbeben stattgefunden habe, sagt der Vater von fünf Kindern. Die Stadt Chan Junis gilt als eine Hochburg der islamistischen Hamas.

Von dem zweistöckigen Wohnhaus, in dem seine Familie gewohnt habe, sei nach dem Einsatz der israelischen Armee in der Stadt nicht mehr viel übrig. «Sie haben hier alles zerstört. Sie haben unsere Häuser, unser Leben, unsere Träume zerstört», sagt der 42-Jährige unter Tränen. Auch seine Angaben ließen sich unabhängig nicht überprüfen.

Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer, der Zerstörung und der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen steht Israel international immer stärker in der Kritik. Auslöser des Gaza-Kriegs war der Terrorüberfall der Hamas und anderer Extremisten am 7. Oktober im Süden Israels. Sie töteten 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen. Israel griff das Küstengebiet daraufhin an, um die Hamas zu zerschlagen.

Beobachter warnen davor, dass nach einer möglichen israelischen Offensive in Rafah auch dieser Ort einem Trümmerfeld gleichen könnte. Die Stadt nahe der ägyptischen Grenze ist bislang noch vergleichsweise intakt. Israels Verbündete warnen eindringlich vor einem großangelegten Einsatz in der Stadt, in der sich Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge drängen. Israel hält einen Einsatz in Rafah jedoch für notwendig, um die verbliebenen Bataillone der islamistischen Terrororganisation Hamas zu zerstören. Das Land will zuvor die Zivilbevölkerung evakuieren. Ein Zuhause, in das sie zurückkehren können, haben viele Menschen jedoch nicht mehr.

© dpa ⁄ Cindy Riechau und Emad Drimly, dpa
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