Er solle sich vermutlich besser auf die Schule konzentrieren. «Aber ich denke einfach zu viel ans Singen. Es ist ein Traum, und ich liebe es.» Liam Payne war erst 14, als er sich in der britischen Talentshow «The X Factor» bewarb. Seine Motivation, die er im dicken Dialekt seiner mittelenglischen Heimat vortrug, klang wie der schwärmerische Traum eines Teenagers.
Doch es funktionierte, mit wenigen Jahren Verzögerung: Als sich One Direction 2010 gründete, war Payne dabei - und schon bald als Teil der vielleicht beliebtesten Boyband ihrer Zeit weltberühmt. Jetzt ist Liam Payne im Alter von 31 Jahren in Buenos Aires nach einem Sturz aus dem dritten Stock eines Hotels gestorben, wie Medien aus Großbritannien, den USA und Argentinien übereinstimmend unter Berufung auf Polizei und Rettungskräfte berichten.
Aus dem Vernünftigen wird der Langweilige
Wie das so ist mit dem Ruhm, er verändert das Leben mehr als einem lieb sein kann. Weil er als Jugendlicher im Gegensatz zu seinen Altersgenossen keinen Alkohol trank, schob ihm das Management die Rolle des Vernünftigen zu. Über einen Hotelaufenthalt erzählte Payne 2019 der Zeitung «Guardian»: «Teller wurden aus dem Fenster geworfen, auf Matratzen die Stufen hinuntergeglitten, und der Manager rief mich an und sagte: "Du musst das in Ordnung bringen."» Da war er so 17, 18.
Auf der Bühne galt Payne deshalb für die Fans als der Langweilige - im Gegensatz zu den «Herzensbrechern» Harry Styles und Zayn Malik. Das nagte an dem jungen Sänger. «Wenn du im Stadion bist und die wenigsten Schreie abbekommst, dann denkst du dir: "Was soll der Scheiß?"»
Platz für eigene Erkundungen gab es kaum. In Peru standen einmal 15.000 Fans vor dem Hotel, die Security riet der Band, im Haus zu bleiben, erzählte Payne im «Guardian»-Gespräch. Adrenalin und Langeweile wechselten sich ab. So kam Payne, der Vernünftige, zum Alkohol. «Eine Show vor wie viel Tausend Leuten auch immer zu spielen und dann alleine in einem Land festzusitzen, wo man nirgendwo hingehen kann – was soll man da machen? Die Minibar ist immer da.»
Dennoch: Mit One Direction kannte Payne jahrelang nur eine Richtung. Die Band löste eine neue Pop-Manie aus. Die Stadien waren voll, sie verkaufte 70 Millionen Platten. Payne hatte ein Talent fürs Songwriting, er schrieb etwa die Hälfte der Lieder auf den letzten beiden Alben. Bis es zu Spannungen in der Band gab, etwas im Inneren zerbrach. 2016 kam es zur Trennung. «Vorläufig», hieß es. Doch ein Comeback gab es nicht. Und Payne eskalierte.
«Ich habe mich sehr unberechenbar verhalten – ich habe zu viel gefeiert», erzählte er einmal der BBC. Seine Solokarriere startete zwar durchaus erfolgversprechend, seine erste Single «Strip That Down» landete auf Platz drei der Charts und heimste zwei Brit-Award-Nominierungen ein. Doch in der Folge lief es nicht mehr so gut. Im März brachte er mit «Teardrops» (Deutsch: Tränen) seine erste Single seit drei Jahren heraus.
Private Turbulenzen
Privat hatte Payne wenig Glück. Mit Girls-Aloud-Sängerin Cheryl Cole hat er einen 2017 geborenen Sohn namens Bear, aber die Beziehung zerbrach schnell. Eine Verlobung mit dem Model Maya Henry wurde wieder aufgelöst, sie warf ihm zuletzt öffentlich vor, sie mit unerwünschten Nachrichten zu bombardieren. Sein Tod hat sie schockiert, wie ihr Management der Zeitung «Daily Mail» ausrichtete. Zuletzt war Payne mit der US-Influencerin Kate Cassidy zusammen, die Medienberichten zufolge mit ihm nach Argentinien gereist war.
«Was auch immer der X-Faktor ist, Liam hatte ihn», kommentierte die BBC mit Blick auf die Show, mit der Payne berühmt wurde. Es war eine Version von Justin Timberlakes Hit «Cry Me A River», mit der er 2010 die Jury beeindruckte. Dennoch schied er damals rasch aus. Es war Jury-Mitglied und Produzent Simon Cowell, der das Talent von Payne und vier anderen Jungs erkannte: Louis Tomlinson, Niall Horan, Harry Styles und Zayn Malik. Er packte sie zu One Direction zusammen. Neun Monate später erschien die erste Single «What Makes You Beautiful» - der Star-Rausch begann. 14 Jahre später endet er für Payne tragisch.