In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Zerwürfnisse kann Oper aus Sicht von Intendant Matthias Schulz besondere Funktionen übernehmen. «Oper ist ein Ort der Begegnung, wo man gemeinsam das Gleiche erlebt und danach im besten Sinne darüber streitet», sagte der scheidende Intendant der Staatsoper Unter den Linden der dpa in Berlin vor seinem Wechsel nach Zürich. «Oper ist die beste Demokratieübung. Es sind ja nie alle der gleichen Meinung über das, was man da sieht. Es ist fantastisch, wenn dann eine konstruktive Auseinandersetzung darüber stattfindet.»
Dabei sollte sich das Musiktheater aus Sicht des studierten Volkswirts und Pianisten vor simplen Wegen hüten. «Oper sollte keine einfachen Antworten liefern, sondern Oper sollte helfen, die Ambivalenzen des Lebens besser auszuhalten», sagte der 46-Jährige. «Dem Populismus, der überall ist, muss etwas entgegengesetzt werden. Das Leben hat keine einfachen Antworten, und die Oper sollte das auch gar nicht versuchen.»
Jeden Tag Drama
Schulz macht auf der Bühne jeden Tag menschliche Extremzustände in abstrakterer Form aus. «Die werden dort abgearbeitet, jeden Tag Drama. Da kann man viel davon lernen. Als Opernhaus sollte man nicht die einfachen Antworten geben, sondern helfen, diese Ambivalenzen besser auszuhalten und konstruktiv damit umzugehen.»
Mit dem Ende dieser Spielzeit wechselt Schulz von Berlin nach Zürich. Dort wird er 2025 die Intendanz der Oper übernehmen. Schulz hatte die Spitze der Staatsoper 2018 übernommen. Ein Großteil seiner Zeit in der Hauptstadt war von der Zusammenarbeit mit dem 2023 gesundheitsbedingt zurückgetretenen Generalmusikdirektor Daniel Barenboim geprägt.
Künstlerinnen nicht als Sündenböcke benutzen
Der Opernmanager warnte davor, vom Kulturbetrieb ständig Bekenntnisse zu verlangen. «Es ist definitiv so, dass der Druck zugenommen hat, zu allem Haltung zu beziehen. Sowohl von außen als auch von innen. Was mir da am meisten Sorgen macht, ist diese Polarisierung in der Gesellschaft», sagte Schulz.
Als Beispiel nannte er die Diskussion um das Engagement der Starsängerin Anna Netrebko, der mangelnde Distanz zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen wird. «Man muss aufpassen, dass man nicht Künstlerinnen als Sündenböcke benutzt, weil man an den eigentlichen Kriegstreiber nicht rankommt», sagte Schulz. «Wir haben auch eine Verantwortung, Künstler nicht in falscher Weise zu politisieren, zu ideologisieren und wirklich genau hinzugucken.» Das Opernhaus hatte sich mehrfach klar proukrainisch positioniert.
Besonders große Dynamik
Die Berliner Jahre haben Schulz geprägt. «Was ich hier extrem wahrgenommen habe, ist dieser Hauptstadteffekt und dass Berlin in Europa ein unglaubliches Spektrum vorweist», sagte er. «Es ist eine Stadt, in der alle gesellschaftlichen Entwicklungen eine besonders große Dynamik entwickeln und Rückkoppelung auf diese Institution haben. Wie sehr Oper dann auch relevant sein kann, zeigt sich darin, dass sich die Dinge sofort widerspiegeln.»
Für den Intendanten hat Oper als Kunstform eine Kraft, die auch künftig nicht verloren geht. «Es entsteht in einem Raum etwas Echtes, in Echtzeit, was auch mal drei, vier Stunden geht und menschliche Höchstleistungen unmittelbar spürbar werden lässt. Ich glaube, dass diese Sehnsucht nach authentischen Erlebnissen eher steigt.»
Von Barenboim wahnsinnig profitiert
Vom gefeierten Dirigenten Barenboim haben die Staatsoper und er persönlich «wahnsinnig profitiert». Gleichzeitig hält Schulz fest: «Wir hatten die Spielzeit 23/24 ohne Generalmusikdirektor. Für mich und das Haus war sehr wichtig zu sehen, wie sich vielfältige Kräfte über die letzten Jahre gestärkt haben und dass das eine wunderbare Spielzeit war.» Die Institution sei nicht mehr von Einzelpersonen abhängig. «Und das ist gut und richtig so.»
Schulz rechtfertigte die Finanzierung der häufig als zu teuer kritisierten Opernwelt. «Das in Kultur investierte Geld wird auch bei sehr vielen Opernhäuser über Umwegrentabilitäten ein fantastisches Investment», sagte er. Forderungen nach mehr Drittmitteln seien in Ordnung. «Die Opernhäuser dürfen sich ruhig selbst anstrengen, aber die Grundversorgung muss sichergestellt sein, damit auch mutige, risikoreiche Programme gemacht werden.»