Im Kampf gegen Wüterich Max Verstappen kann sich das Stallorder-Chaos von McLaren noch einmal rächen. «Es ist immer noch ein großes Ziel, eine Lücke von über 70 Punkten als Fahrer zu schließen. Und wenn du dann über die sieben Punkte nachdenkst, die ich weggegeben habe...», sagte Verstappens derzeit größter WM-Herausforderer Lando Norris in Budapest eher nebenbei nach seinem vom Rennstall angewiesenen zweiten Platz.
Die Bilder des enttäuschten Briten und seines siegreichen australischen Teamkollegen Oscar Piastri auf dem Podium nach dem Großen Preis von Ungarn weckten Erinnerungen an Malaysia 2013. Damals missachtete Sebastian Vettel allerdings eine Teamorder und siegte vor Mark Webber - der im Übrigen Manager von Piastri ist. Am Ende der Saison gewann Vettel zum vierten Mal nacheinander im Red Bull die Fahrerweltmeisterschaft.
Bekannt und legendär wurde es als «Multi 21». Webber, die Nummer 2, sollte vor Vettel, der Nummer 1, auch ins Ziel kommen, Vettel hielt sich aber nicht daran. Es war der Tiefpunkt des angespannten Verhältnisses der beiden, der persönliche Erfolg gab dem Heppenheimer letztlich aber auch recht. Weltmeister brauchen mehr als eine kleine Portion Egoismus.
Die Ausgangslage bei Norris war eine andere
Norris dagegen gehorchte. Und dafür gab es auf dem Hungaroring gute Gründe. Er hatte beim Start von der Pole aus die Führung schnell an Piastri abgeben müssen. Dann holte McLaren allerdings Norris zuerst an die Box zum Reifenwechsel, obwohl der hinter Piastri lag. Dieser hatte dadurch einen Nachteil - und sich nach seinem Pitstop hinter dem Teamkollegen wieder eingereiht. «Ich hatte es einfach nicht verdient zu gewinnen» betonte Norris, der wie nun auch sein Stallrivale weiterhin bei einem Grand-Prix-Sieg steht.
«Lando wusste auch, dass es für ihn selbst die richtige Entscheidung war», erklärte Teamchef Andrea Stella: «Wenn er um die WM kämpfen will, muss er das ganze Team, auch Oscar, hinter sich haben. Manchmal braucht man etwas mehr Weisheit, auch wenn das Visier unten ist.»
Norris sei aber der schnellere Mann gewesen, sagte Sky-Experte Ralf Schumacher. «Deshalb sage ich: Ja, das ist eine falsche Entscheidung.» Jetzt gebe es endlich einmal die Chance, dass jemand Verstappen schlagen könne, dann müsse das Team dahinterstehen und jeden Punkt mitnehmen.
Im Klassement liegt Norris weiterhin auf Platz zwei. Der 24-Jährige aus Bristol ist Verstappens erster und größter Herausforderer. McLaren stellt derzeit nach Einschätzung aller das schnellste Auto. «Es ist ein mehr als ernsthafter Gegner, hier waren sie souveränst», betonte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko. Norris' Rückstand auf den niederländischen WM-Spitzenreiter beträgt allerdings immer noch 76 Punkte - hätte Norris vor Piastri gewonnen, wären es 69 gewesen.
«Wenn Red Bull und Max wieder solche Fehler machen und wir uns weiter verbessern und Wochenenden wie diese haben, können wir es drehen», meinte Norris. Und schon am kommenden Wochenende können er und Piastri, der WM-Fünfter ist, gleich nachlegen. Und in Spa-Francorchamps würde ein weiterer Rückschlag Verstappen besonders schmerzen, seine Mutter ist Belgierin und der Grand Prix in den Ardennen fast ein weiteres Heimrennen.
Verstappen greift Kritiker unter der Gürtellinie an
Seit drei Rennen ist er nun schon ohne Sieg. Fünfter in Österreich beim Heim-Grand-Prix seines Arbeitgebers nach einer Kollision mit Norris, Zweiter in Silverstone hinter dem wieder erstarkten Rekordweltmeister Lewis Hamilton und Fünfter in Budapest. Dort fuhr er gegen Ende seines Frust-Auftritts auch noch auf den Mercedes des Briten auf und malträtierte nach der Zieldurchfahrt das Lenkrad seines RB20. «Wenn ich keine Emotionen mehr zeige, brauch' mir auch keine Gedanken mehr über mich und darüber zu machen, was ich tue», sagte Verstappen. Und die, die ihn kritisieren, «können sich alle verpissen».
Auffallend war aber auch in der verbalen Nachlese, dass Verstappen über eigene Fehler nicht sprach. Schon im Rennen hatte er zigfach das eigene Team teils harsch und nicht jugendfrei kritisiert. Vor allem die Strategie machte ihn richtig wütend. Als er dann noch schimpfte, dass Hamilton bei der Kollision beim Bremsen gelenkt habe, reichte es auch seinem seit schon langem Verstappens Wut gewohnten Renningenieur Gianpiero Lambiase. Das alles über Boxenfunk sei kindisch.
Verstappen Ungarn-Auftritt: Momentaufnahme oder nun Dauerzustand?
Jetzt, wo die Dominanz vor allem der vergangenen zwei Jahre dahin scheint im Red Bull, zeigt sich auch wieder der knallharte, kompromisslose Rennfahrer Verstappen. Und so wirkt Verstappen auf der Strecke auf einmal wieder, wie er vor seiner dominanten Zeit meist wirkte: aggressiv und reizbar und nicht mehr so kontrolliert, eher mal ungestüm. «Verstappen mit einem Kamikaze-Manöver», schrieb «Le Parisien» aus Frankreich. Ein «Alptraum-Rennen», attestierte Italiens Blatt «Tuttosport» dem 26-Jährigen.
Am Sonntag in Belgien wird sich zeigen, ob Verstappens Wutauftritt nur eine Momentaufnahme war oder zum Dauerzustand im WM-Kampf der restlichen Saison wird. Dann braucht Norris erst recht jeden Punkt.