Ob jubelnd im Spanien-Trikot, mit den Three Lions auf der Brust oder mit schwarz-rot-gold angemalten Wangen – Influencer sind bei fast allen Topspielen der Fußball-EM auf den Rängen zu sehen. Vonseiten der Fans hagelt es dafür Kritik, denn aus ihrer Sicht sind sie nicht aus Faninteresse in den Stadien, sondern für Werbezwecke.
Einer dieser Influencer ist Webvideoproduzent «ViscaBarca». Er zählt mit fast 1,9 Millionen Followern zu den beliebtesten YouTubern seiner Art. Immer häufiger laden Influencer wie er sogenannte VLogs, also Video-Tagebücher, von ihrem individuellen Stadionerlebnis hoch – auch während der EM.
Stadionbesuch von zu Hause
Die Videos sind darauf ausgelegt, den Zuschauern zu Hause das Gefühl eines Stadionbesuchs zu vermitteln. Dabei filmen die YouTuber nicht nur das Spielgeschehen, sondern auch sich und ihre meist überbordenden Emotionen während der Partie.
Eine simple Idee, die allem Anschein nach gut bei den Zuschauern ankommt – ihre Videos werden hunderttausendfach geklickt. Doch viele Fans haben wenig Verständnis für diese Entwicklung.
Kritik von Fans
Fußballfans werfen den Influencern vor, sie nähmen den «echten» Fans die begehrten Plätze im Stadion weg und missbrauchten sie für Werbezwecke. Influencer bekommen die Karten in der Regel kostenlos von ihren Werbepartnern zur Verfügung gestellt.
Auch Thomas Kessen, Sprecher der Fan-Vereinigung «Unsere Kurve», sieht das kritisch: «Wenn Fans Plätze weggenommen werden, gerade wenn wir über Dortmund, Bayern oder Schalke sprechen, wo die Stadien immer ausverkauft sind und man nur schwer an Karten kommt, dann ist das klar zu kritisieren.»
Auch bei der EM besuchten zahlreiche Influencer wieder Spiele. «ViscaBarca» kündigte an, jedes der Deutschland-Spiele besuchen zu wollen. Er tourt während der EM mit einem Wohnmobil durch Deutschland, plakatiert mit einer Vielzahl von Werbepartnern. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur äußerte sich sein Management nicht dazu, wie er an die Tickets kommt.
Die YouTuber «Trymacs» und «EliasN97» sprechen ganz offen in ihren Videos über ihre Werbekooperationen zur EM. Ob ihre Tickets für «normale» Stadionbesucher aber überhaupt zugänglich wären, bleibt fraglich, denn oftmals sind diese Sitzplätze ausschließlich den Partnern oder Sponsoren der Europäischen Fußball-Union UEFA vorbehalten - wen sie einladen, ist den Werbepartnern überlassen.
«Dass hier vereinzelt Menschen Zugang zu Karten ermöglicht wird, die keinerlei Faninteresse verfolgen, sondern nur sich selber vermarkten wollen – das ist, vorsichtig formuliert, schräg», sagt Kessen.
Werbekooperationen «gängige Praxis»
Medienforscher Christoph Bertling von der Deutschen Sporthochschule in Köln bezeichnet das Vorgehen zwischen Werbepartnern und Influencern als gängige Praxis. Es werde zwischen verschiedenen Influencer-Gruppen unterschieden. «Nano-Influencer mit einer kleinen Reichweite, doch großer Glaubwürdigkeit, Mega-Influencer mit einer sehr großen Reichweite, jedoch weniger Tuchfühlung zu den Fans», sagt Bertling.
Vorteile für Veranstalter und Werbepartner seien bei einem strategisch cleveren Aufbau, dass sie Glaubwürdigkeit und Reichweite bekämen, ohne beispielsweise eigene Accounts kostenintensiv aufbauen und bespielen zu müssen.
UEFA: «Bestimmte Richtlinien» für Influencer
Die UEFA teilte mit, dass es ihren Werbepartnern frei stehe, mit Influencern während der EM zusammenzuarbeiten. Welche genauen Absprachen es zwischen Influencern, Werbepartnern und UEFA gibt, macht der Fußball-Verband aber nicht öffentlich. Seitens der UEFA heißt es lediglich, die von Influencern erstellten Inhalte müssten «bestimmten Richtlinien» entsprechen. So dürften YouTuber beispielsweise nicht aus dem Stadion live übertragen.
Kessen schlägt eine klarere Trennung zwischen Fans und Influencern vor: «Kommt jemand in ein Stadion als Fan und aus Interesse am Spiel? Dann gibt es die ganz normalen Tribünenbereiche – oder kommt er ins Stadion, um zu arbeiten und mit einer Art Gewinnabsicht? Dann gibt es dafür die Pressetribüne.» Aber natürlich gebe es auch Fans, die das gut finden und sich das gerne anschauen, sagt er. «Die Fußballfan-Landschaft in Deutschland ist hier einfach viel zu divers und viel zu heterogen.»