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Wandern mit schrägen Vögeln: Neuseelands Heaphy Track

Der längste und der abwechslungsreichste Wanderweg Neuseelands führt durch Regenwald und Palmenhaine, über Steppe, zu menschenleeren Sandbuchten. Und entführt in eine Welt fremden Federviehs.
Bohlenweg auf dem Heaphy Track in Neuseeland
Sonnenuntergang am Heaphy Track in Neuseeland
Wanderer auf dem Heaphy Track in Neuseeland
Baumfarne auf dem Heaphy Track in Neuseeland
Flanagan's Corner auf dem Heaphy Track in Neuseeland
Luftaufnahme der Mündung des Heaphy River in Neuseeland
Gouland Downs in Neuseeland
Gouland Downs in Neuseeland
Wanderin Caroline Webb auf dem Heaphy Track in Neuseeland
Heaphy Track in Neuseeland
Hängebrücke über den Heaphy River in Neuseeland
Heaphy Hut in Neuseeland
Heaphy Track in Neuseeland
Takahē in den Gouland Downs in Neuseeland

Mitten auf dem Weg stehen sie plötzlich da, truthahngroß, mit blauem Gefieder und rotem Schnabel: zwei leibhaftige Takahēs! Hühnerhaft nickend schleichen sie umher, schauen ab und an herüber. Aber erst als ich auf 20 Meter heranschleiche, staksen sie ins kniehohe Gras davon.

«Und wo sind die Beweisfotos?», fragen natürlich abends die Mitwanderer in der Hütte. Denn unter all den seltenen und seltsamen Vögeln Neuseelands ist die Takahē eine Legende. Jahrzehntelang galt die größte Ralle der Welt als ausgestorben, bis sie 1948 in den Murchison Mountains wiederentdeckt wurde.

Vor sechs Jahren wurden 30 Takahēs auf den Gouland Downs ausgewildert, einem Hochplateau im Nordwesten der Südinsel. Und während sie in anderen Schutzgebieten faktisch unerreichbar sind, können Wanderer die seltenen Vögel auf dem Heaphy Track im Vorbeigehen sehen.

Mit gut 78 Kilometern ist der Great Walk der längste in Neuseeland. Great Walks - so werden in dem Land die bedeutendsten Wanderwege genannt. Und unter ihnen ist der Heaphy Track auch der abwechslungsreichste, sagen viele.

Der Segen der verhinderten Straße

Vom Startpunkt an der Brown Hut steigt der breite Pfad sanft und gleichmäßig zwischen Scheinbuchen, Manukasträuchern und Baumfarnen an. Supplejack-Lianen schlingen sich um die Äste, Maorifruchttauben flattern auf, Vögel zwitschern fremde Lieder. Manchmal öffnet sich der Wald zur Linken und gibt den Blick frei auf die dicht bewaldete Douglas Range und den türkisfarbenen Fluss Aorere in seinem Kiesbett.

Schon vor 900 Jahren wanderten die Maori auf dieser Route zwischen der Golden Bay und der Westküste. Der erste Europäer, der die gesamte Strecke lief, war 1859 ein Goldgräber namens Aldridge. 1893 wurde der Pfad vollendet, schon damals zwei Meter breit für Ochsenkarren und Packpferde.

In den folgenden Jahrzehnten wurde immer wieder diskutiert, ihn zu einer Autostraße auszubauen. 1980 wurden die Pläne nach Protesten aufgegeben - aber die bequeme Wegführung kommt bis heute allen Wanderern zugute, die in großen Rucksäcken Schlafsack, Geschirr und Essen für vier Tage mitschleppen.

Für den Höhepunkt dieser Etappe darf man den Rucksack abwerfen. Ein Abstecher führt hinauf zu Flanagan's Corner, dem mit 915 Metern höchsten Punkt der Tour. Von dem Gipfelchen mit Picknickbank blickt man über Keulenlilien hinaus auf Urwaldberge.

Klauende Vögel vor der Hütte

Die Aussicht von der Perry Saddle Hut ist kaum weniger erhaben. Die Wohnküche der Hütte ist geräumig, auf den Gasherden kochen bereits einige Wanderer das Wasser für ihr gefriergetrocknetes Chicken Tikka Masala. Im Ofen faucht ein Feuer, und als es vor den Panoramafenstern dunkel wird, leuchten wie von Geisterhand winzige Lämpchen in der Decke auf. Der Segen des Solarzeitalters.

Caroline Webb ist irritiert. «Ich bevorzuge einfache Hütten, wo man abends Kerzen anzündet», sagt die 29-jährige Krankenschwester aus Tauranga City auf Neuseelands Nordinsel. So wie auf den Pfaden durch die Wildnis, die sie mit Vater und Schwester seit ihrer Kindheit gewandert ist. Den Gästen aus Übersee ist die Hütte dagegen spartanisch genug.

«Ihr werdet heute Nacht sicher Kiwis hören», sagt Allen Parsons nach dem Instant-Dinner. Der 57-Jährige ist seit fünf Jahren der Hüttenwart, jeden Abend lauscht er den Nationalvögeln beim Einschlafen.

Unerfahrene könnten sie mit den Wekas verwechseln, die um die Hütte schleichen. Sumpfhennen werden sie genannt, «sie sind clever und dreist», warnt Parsons. «Sie stehlen alles, was in Plastiktüten ist.»

Riesenschnecken und Riesenvögel

Ob die Kiwis gesungen haben, vermögen die meisten am nächsten Morgen nicht zu sagen. Sie sorgen sich mehr um die dunklen Wolken vor dem Fenster. Zwei Tage soll es nun durchregnen, so wie damals im Jahr 2003, als die langjährige Premierministerin Helen Clark den Heaphy Track wanderte. Er sei «wahrhaft ein Great Walk», sagte sie danach begeistert.

Wieder auf dem Track unterwegs sind die Gouland Downs im Nieselregen noch stimmungsvoller als zuvor. Mit den Wolken, die tief über die Waldhügel dahintreiben, erinnert die Hochebene an die schottischen Highlands. Auf dem Boden wachsen bleiche Büschel von Tussockgras, dazu gesellen sich Neuseeländer Flachs und dornige Matagouri-Büsche.

Eine Powelliphanta schleimt sich über den Weg, eine Riesenschnecke mit einem Gehäuse von bis zu neun Zentimetern Durchmesser. Sie fresse Regenwürmer «wie Spaghetti», scherzt Parsons. Um seltene Arten wie sie zu schützen, wurde 1996 ein Flickenteppich kleiner Schutzgebiete zum Kahurangi Nationalpark verschmolzen, dem zweitgrößten Nationalpark Neuseelands.

Unter dem Regenschirm lässt sich die Schönheit ringsum entspannt betrachten. Klare Bäche, braun getönt vom Tannin der Bäume, gurgeln durch die Savannentäler. Rund geschliffene Kalkfelsen erinnern an die Löwenfelsen der Serengeti. Fehlen nur noch ein paar Moas, die die Maori hier jagten - die bis zu vier Meter großen Laufvögel aber sind anders als die Takahē endgültig ausgestorben.

Gefährliche Sturzfluten

Abends sieht man kurz in der Ferne das Meer glitzern – das Ziel der nächsten Etappe. Beim Abstieg zur Küste wird der Wald mit jedem Kilometer üppiger und subtropischer. In kleinen Rinnsalen gluckert das Wasser von Mooskissen am Wegesrand, die Farne und Bartflechten tropfen, die Äste sehen aus wie grüne Teddybären. Bald ragen die ersten Nikau-Palmen auf, der geringelte Stamm kerzengerade, die Wedel zum Himmel gestreckt.

Zusammen mit den Baumfarnen formen die einzigen heimischen Palmen Neuseelands luftige Arkaden, ein feingliedriges Gewölbe. Durch die Öffnungen im Blätter- und Wedelwerk schimmert der Heaphy River in seiner Schlucht. Die Maori nannten ihn Whakapoāi – den Fluss, wo der Schrei des Kiwiweibchens ertönt. 

Im Februar 2022 schwoll der Fluss nach Starkregen so stark an, dass er die Lewis Bridge wegriss. Weil alle größeren Bäche auf einem Great Walk über Brücken zu überqueren sein müssen, wurde die Etappe offiziell gesperrt. Zwei versetzte und höher gehängte Brücken sollen nun auch stärkere Sturzfluten infolge des Klimawandels sicher überstehen.

Von ihnen ist es nicht mehr weit bis zur Mündung. Die Wellen der rauen Tasmansee sind lange zu hören, bevor man sie heranrollen sieht. Genau dort haben die Maori im 13. Jahrhundert ein Dorf gebaut.

Ab 1961 gruben Archäologen Jade-Äxte, Fischhaken und seltene Steinpflaster aus, es ist eine der bedeutendsten Fundstätten Neuseelands. Seitdem aber hat der Fluss zwei Drittel des Dorfs weggeschwemmt.

Dunstige Unendlichkeit am Meer

Die Heaphy Hut gleich daneben steht sicherer. Auf dem Rasen vor der Hütte picken ein Dutzend Wekas, von der Holzterrasse schaut man auf das Meer und die Steilküste, bewachsen mit einem Urwald voller Palmen. So grandios der Ausblick ist, so gnadenlos sind die Sandflies, Sandmücken. Nach einer Minute haben sie die verschwitzten Wanderer gewittert und beißen im Rudel zu. Rückzug in die Hütte.

Als die Sonne untergeht, werden die Biester offenbar träger. Und der Himmel voll glühender Wolkenbänke ist ohnehin zu schön, um nicht ans Meer zu laufen. Unter den überhängenden Felsen schwimmt ein Paar Paradiesgänse mit sieben Küken vorbei, zur Linken windet sich der breite Sandstrand in die dunstige Unendlichkeit. Hinter den Dünen steigt ein Kamm nach dem anderen an.

Eine Vorschau auf den letzten Tag, das alles überstrahlende Finale. Durch Palmenwald schlängelt sich der Pfad von Bucht zu Bucht. Von Wolkenfetzen verschleierte Urwaldhänge stürzen ins Meer, der Sand ist mit Treibholz gesprenkelt, an Felsen spritzt die Gischt empor.

«Ich habe niemals so eine wilde Küste gesehen», sagt Mitwanderin Caroline Webb, als sie auf einer letzten Hängebrücke den Kohaihai River überquert und an der Mündung ihren Rucksack abgeworfen hat. Das sagt sie als Neuseeländerin. Als Gast aus Mitteleuropa ist der Eindruck wohl noch intensiver.

Tipps, Links, Praktisches:

Reiseziel: Der Heaphy Track liegt im Nordwesten der Südinsel Neuseelands. Angelegt wurde er im Nationalpark Kahurangi, benannt nach dem britisch-neuseeländischen Entdecker und Forscher Charles Heaphy.

Beste Reisezeit: Im neuseeländischen Herbst von März bis Mai ist es nicht mehr so warm, beste Bedingungen zum Wandern.

Anreise: Aus mehreren deutschen Städten gibt es Flüge mit einem Zwischenstopp nach Christchurch. Von dort fahren Busse nach Nelson (www.intercity.co.nz). Busse von Golden Bay Coachlines (https://goldenbaycoachlines.co.nz) fahren weiter nach Takaka. Von dort fahren Shuttle-Busse (https://www.goldenbayair.co.nz) zum Startpunkt Brown Hut.

Einreise: Der Reisepass genügt, sofern der Aufenthalt nicht länger als drei Monate dauert. Bei Einreise muss das Dokument noch mindestens einen Monat über den vorgesehenen Aufenthaltszeitraum hinaus gültig sein.

Outdoor: Der Heaphy Track (https://dpaq.de/goppPWQ) ist beschildert und lässt sich in vier Tagen gehen. Alle Schlafplätze in den Hütten müssen vorab online gebucht werden. Von Mai bis November ist der Heaphy Track für Mountainbiker freigegeben. E-Bikes sind verboten.

Gesundheitshinweise: Für Reisende aus Deutschland sind keine Pflichtimpfungen vorgeschrieben.

Währung: Zahlungsmittel ist der Neuseeland-Dollar, der 0,56 Euro entspricht (Stand: 16.05.2024)

Zeitverschiebung: In der neuseeländischen Winterzeit ist Takaka Deutschland um zehn Stunden voraus. 

Weitere Auskünfte: newzealand.com

Social Media: www.instagram.com/purenewzealand; www.youtube.com/purenewzealand

© dpa ⁄ Florian Sanktjohanser, dpa
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