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Stricken ist trendy - und manchmal politisch

Nur was für Omas? Ach was. Stricken ist Trend und nicht erst seit Corona. Das Spiel mit der Nadel bedeutet für viele einfach nur Entspannung. Doch manch rechte Masche birgt auch Zündstoff.
Hobby Stricken
Zwei rechts, zwei links: Stricken mit Wolle ist wieder angesagt. © Patrick Pleul/dpa

Supermodel Heidi Klum fühlt sich dafür zu jung, Ex-US-Präsidentengattin Michelle Obama entspannt sich dabei und Spitzenköchin Cornelia Poletto tut es, wenn sie gerade nicht den Löffel schwingt: Stricken.

Vom 3. bis zum 5. Mai lässt die Messe «Nadelwelt» in Karlsruhe diese uralte Kunst hochleben - zusammen mit anderen traditionellen Handarbeiten wie Nähen, Sticken, Häkeln, Filzen, Patchwork oder Spinnen. Während der Corona-Zeit von vielen erst für sich entdeckt, erlebt das Stricken ein Revival. Und vieles spricht dafür, dass das Nadelspiel nicht nur Lückenbüßer für zwangsweise Stubenhocker in Pandemiezeiten war. 

Es sei auch ein Gegentrend zum Megatrend der Digitalisierung und Virtualisierung, sagt der Heidelberger Trendforscher Eike Wenzel. «Stricken ist Entschleunigung und Ent-Automatisierung.» Statt ständigem zur Schau stellen im Netz auf Tiktok oder Instagram tue man etwas, bei dem man «bei sich selbst bleibt». Stricken habe etwas Kontemplatives, sei aber auch kommunikativ.

Schon vor 20 Jahren gab es Stricken als Retro-Trend: «Damals war zu erkennen, dass eine erste Digitalisierungsphase stattfindet und die Menschen nach einer Gegenwelt zur kalten Digitalisierung suchten», berichtet der Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung in Heidelberg.

Stricken passe zudem in die Zeit, weil Selbermachen etwas Nachhaltiges habe, sagt Wenzel. «Das genaue Gegenteil von Fast Fashion.» Für Textildesignerin Anne-Susanne Gueler ist es zugleich «ein wunderbares Vehikel», um eigene Ideen zu verwirklichen und ein individuelles Kleidungsstück herzustellen.

Eine Frauensache

Die Zahl der Handarbeitenden nimmt nach Beobachtung des Branchenverbands Initiative Handarbeit zu. «Handarbeit wird von immer mehr Frauen in Deutschland als ein entspannendes und zugleich sinnstiftendes Hobby entdeckt.» Mit einem Umsatz von 370 Millionen Euro war der Bereich der Häkel- und Strickgarne 2023 das größte Einzelsegment der Branche und verzeichnete eine deutliche Steigerung (2022: 350 Millionen). Auch wenn die Branche nicht mehr Ausnahme-Umsätze wie in den Corona-Jahren 2020 und 2021 verzeichnet, zeigen die Zahlen dem Verband zufolge doch, dass Handarbeiten sich dauerhaft als Hobby etabliert hat. 

Messen wie die «Nadelwelt» nutzen das Potenzial. Von diesem Freitag bis Sonntag werden in Karlsruhe auf rund 10.000 Quadratmetern Produktneuheiten vorgestellt und bei Kreativkursen und Workshops Inspirationen gegeben.  

Das Gute an Corona

Die Handarbeitsbranche hat von der Corona-Zeit profitiert, als die Menschen deutlich mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen mussten. «Nach dem Ende der Pandemie sind dann viele Veränderungen aus dieser Zeit beibehalten worden, weil sie sich einfach als angenehm und gut herausgestellt haben», sagt «Nadelwelt»-Sprecher Peter Pfeiffer. So wie Homeoffice und Videokonferenzen zum Beispiel.

Im Gegensatz zu den 1980er Jahren, als grün-alternative Männer demonstrativ zur Nadel griffen, scheint Stricken hierzulande nun vorwiegend ein weibliches Hobby zu sein. Schätzungsweise rund elf Millionen Frauen begeistern sich der Messe zufolge bundesweit dafür. «In Deutschland sind strickende Männer nach wie vor die große Ausnahme», notiert Pfeiffer. In Skandinavien sei man deutlich weiter. 

Von wegen alte Oma

Auffallend ist, dass die Handarbeitsszene jünger wird. Dass sich 18- bis 29-Jährige dafür begeistern könnten, sei eine sehr erfreuliche Entwicklung. Die Zielgruppe sei für die Zukunft der Branche enorm wichtig, sagt Hedi Ehlen, Geschäftsführerin der Initiative Handarbeit. Es werde vor allem gestrickt und gehäkelt, genäht, repariert und Upcycling betrieben. «Dass Stricken eine Betätigung für ältere Semester ist, darf man guten Gewissens als Klischee bezeichnen», sagt auch Pfeiffer.

Dass Stricken wieder schick ist, zeigt sich bei Instagram und Co. Zugleich habe sich das Internet zur wichtigsten Inspirationsquelle entwickelt, beobachtet die Initiative Handarbeit.

Rechte Masche, linke Masche

Einige beobachten den Hype mit gemischten Gefühlen: So befürchtet die Amadeu Antonio Stiftung, dass rechtsextreme Influencerinnen, die sich als koch- oder strickbegeisterte «Wifeys» (Ehefrauen) präsentierten, junge Frauen im Sinne einer Heim-und-Herd-Ideologie beeinflussen könnten. Die Initiative Handarbeit hat solche Unterwanderungsversuche bislang nicht beobachtet. «Uns ist es wichtig, dass Stricken ein Hobby für alle ist - unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Ausrichtung.»

Doch ob rechte oder linke Masche: Politik wurde im Laufe der Zeit immer mal wieder verstrickt. So machten während der Französischen Revolution Tricoteusen mit Strickzeug auf sich aufmerksam. Im Ersten Weltkrieg sollen Agentinnen mit verschiedenen Strickmustern Botschaften übermittelt haben. Und die Grünen nutzten das Stricken aus Sicht von Trendforscher Wenzel als Provokation mit Feminisierungsaspekt: «Als Move gegen die Apparatschiks und Beamtenköpfe.»

© dpa ⁄ Susanne Kupke, dpa
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