Alleinerziehende, ältere Menschen und Migranten trifft es häufiger als andere: das Gefühl von Einsamkeit. Ein umfassendes Bild des Phänomens liefert nun erstmals das sogenannte Einsamkeitsbarometer, das Familienministerin Lisa Paus (Grüne) in Berlin vorgestellt hat.
Es handelt sich laut Paus um die erste Bestandsaufnahme dieser Art zum Einsamkeitsgefühl der Deutschen. Startjahr ist 1992, das Ende bildet das zweite Pandemiejahr 2021. Aktuellere Daten liefert die Langzeitanalyse erst im kommenden Jahr. Der Trend aber, der ist für die Grünen-Politikerin klar: Einsamkeit sei «extrem schambehaftet», sagt Paus. Das Phänomen schade der gesamten Gesellschaft.
Ältere, Alleinerziehende und Migranten stark betroffen
Die Ergebnisse dieser repräsentativen Befragung von Privathaushalten - auch «Sozio-ökonomisches Panel» genannt - zeigen, dass einige Gruppen besonders betroffen sind: Dazu gehören Alleinerziehende, Menschen hohen Alters und Migranten.
Demnach litten 16,4 Prozent der Alleinerziehenden im Jahr 2021 unter Einsamkeit, bei Haushalten ohne Minderjährige betrug der Anteil lediglich 10,5 Prozent. Auch in den analysierten Vorjahren 2020, 2017 und 2013 zeigte sich bei dem Vergleich der beiden Gruppen ein Abstand von etwa sechs Prozentpunkten. Dem Bericht zufolge leiden Menschen, die Pflegearbeit leisten, generell häufiger unter Einsamkeit als andere. Erhoben haben die Forscher die Daten nach Alter, Geschlecht und Wohnort in Ost- und Westdeutschland.
Auch Menschen mit Migrationserfahrung sind besonders gefährdet. 16,3 Prozent der Über-18-Jährigen mit Migrationsgeschichte gaben 2021 an, besonders davon belastet zu sein. Bei Menschen ohne diese Erfahrung waren es nur 9,9 Prozent.
«Einsamkeit betrifft in Deutschland mehrere Millionen Menschen», sagt Paus. Am stärksten treffe es laut Barometer Menschen über 75 Jahre. Lediglich im ersten Pandemiejahr 2020 seien erstmals jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren mit einer Quote von 31,8 Prozent stärker betroffen gewesen als Über-75-Jährige (22,8 Prozent).
Pandemie verschärft Einsamkeit vor allem bei Jüngeren
Insgesamt zeigt sich: Die Älteren meisterten das Einsamkeitstief während der Pandemie deutlich besser als junge Menschen. Für die 18- bis 29-Jährigen ergibt sich 2021 noch eine Einsamkeitsquote von 14,1 Prozent, während in dem Jahr nur noch etwa zehn Prozent der Senioren über 75 über Einsamkeit klagten.
Etwas aktuellere, aber wegen des geringeren Umfangs nicht ganz vergleichbare Zahlen hatte am Mittwoch auch das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung vorgestellt. Demnach ist Einsamkeit seit der Pandemie bei jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren weit verbreitet. Auch Benjamin Landes kann dies bestätigen. Er ist Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, das die 30 Jahre umfassenden Daten für das Barometer aufbereitet hat. Landes spricht von einem «Peak in der Pandemie», von dem sich Ältere besser erholt hätten.
Frauen stärker belastet als Männer
Frauen fühlen sich den Daten zufolge häufiger einsam als Männer. Das sei vor der Pandemie schon so gewesen, habe sich aber im ersten Corona-Jahr verschärft. 2020 betraf es demnach 33,2 Prozent der Frauen, während es bei Männern nur knapp 23,1 Prozent waren. 2021 wurde die Lücke wieder etwas kleiner (Frauen 13 Prozent, Männer knapp 10 Prozent).
Kaum Unterschiede zwischen Stadt und Land
Das Klischee von menschlich unterkühlten Großstädten, in denen besonders viele Menschen einsam sind, lässt sich anhand der Daten des Barometers nicht bestätigen. Demnach gibt es beim Einsamkeitsempfinden keinen signifikanten Unterschied zwischen Menschen auf dem Land und Städten. Auch zwischen West- und Ostdeutschland ließen sich nur geringe Unterschiede ermitteln.
Institutsleiter Landes wies einschränkend darauf hin, dass die Daten nur quantitativ erhoben worden seien. Es sei beispielsweise nicht untersucht worden, wie genau sich Einsamkeit in Städten im Vergleich zur Einsamkeit auf dem Land äußere und ob es da Unterschiede gebe. Das sei Gegenstand weiterer Forschung, erklärte Landes.
Die Bekämpfung von Einsamkeit sei ein «Work in Progress», betonte auch Paus. Es gebe noch keine klare wissenschaftliche Auswertung von Gegenstrategien. Die Dringlichkeit stehe dagegen außer Frage. Laut Weltgesundheitsorganisation sei Einsamkeit genauso lebensverkürzend wie Rauchen, Fettleibigkeit oder Luftverschmutzung, sagte die Ministerin.
Einsamkeit verringert Vertrauen in Demokratie
Ein weiterer Befund der Studie ist der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Vertrauen. Einsame Menschen erlebten generell einen Vertrauensverlust mit Blick auf ihr Umfeld, erklärte Landes. Dies führe auch dazu, dass das Vertrauen in Institutionen schwinde. Ministerin Paus stufte dies als «beunruhigend» ein. Wenn Menschen sich von der Gesellschaft abwendeten, schade dies auch massiv der Demokratie, erklärte sie.
Was die Bundesregierung jetzt tun will
Klar ist: Ein eigenes Ministerium für Einsamkeit wie in Japan oder Großbritannien wird es in Deutschland vorerst nicht geben. Das hält auch Ministerin Paus nach eigenen Aussagen nicht für zwingend. Die Bundesregierung versuche mit einer Gesamtstrategie voranzukommen, betont sie.
Wichtigstes Ziel sei es, «das Thema aus der Tabu-Zone» zu holen. Geplant seien in den kommenden Wochen mehrere Sensibilisierungskampagnen, unter anderem über soziale Netzwerke. Auch die bundesweite Aktionswoche gegen Einsamkeit, vom 17. bis zum 23. Juni, solle helfen, das Thema ins Bewusstsein zu rücken. Die Bundesregierung gebe für den Kampf gegen Einsamkeit bis 2027 insgesamt 70 Millionen Euro aus - auch dank EU-Förderprogrammen.
Ob das die Kritiker der Strategie zufriedenstellen wird, wird sich zeigen. Mehrere Verbände und die Unionsfraktion drängten am Donnerstag auf konkretere Maßnahmen. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der dpa, dass ein Einsamkeitsbarometer alleine das Problem nicht lösen werde. Es handele sich um eine «Volkskrankheit», die viel stärker als bisher in der Breite der Gesellschaft adressiert werden müsse.