Sie liegen sich in den Armen - der Vater, die Mutter. Sekunden nach dem für den Angeklagten so erlösenden Spruch im Mordprozess in Innsbruck. Die acht Geschworenen haben den 39-Jährigen einstimmig freigesprochen. Sie hielten es für nicht erwiesen, dass der aus Deutschland stammende Mann seinen geistig beeinträchtigten Sohn Leon in einen Fluss gestoßen und so getötet hat. Damit gehen für den bisher Verdächtigten 17 Monate Untersuchungshaft zu Ende. Er wurde sofort auf freien Fuß gesetzt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Emotionale Auftritte
Möglicherweise haben die emotionalen Auftritte des Angeklagten und seiner Frau die Geschworenen besonders beeindruckt. In seinem Schlusswort beteuerte der Mann unter Tränen erneut, dass er nichts mit dem Tod des Kindes zu tun habe. Für ihn und seine Familie werde es aufgrund des Verlusts von Leon ohnehin kein Happy Ende geben, egal, welches Urteil die Geschworenen fällen würden.
Im Prozess hatte auch die Mutter des Sechsjährigen ihren Mann sehr unterstützt. Der 39-Jährige sei für seinen Sohn ein liebevoller Vater gewesen, der überhaupt kein Motiv für eine solche Tat gehabt habe. Das war auch eine der Hauptlinien der Verteidigung: Die Staatsanwaltschaft habe kein überzeugendes Motiv präsentieren können. Die Ermittler hätten obendrein geschlampt und seien voreingenommen gewesen.
Angeklagter blieb bei seiner Version
In dem dreitägigen Prozess war der Angeklagte bei seiner Version der Geschehnisse geblieben. Demnach war er am frühen Morgen des 28. August 2022 mit seinem Sohn im Kinderwagen an der Flusspromenade von St. Johann in Tirol spazieren gegangen, auch um das oft ruhelose Kind zum Einschlafen zu bringen. Dabei sei er von einem Unbekannten überfallen und mit einer Flasche niedergeschlagen worden. Er sei eine Zeit lang bewusstlos gewesen. In diesen Minuten sei sein Sohn aus dem Kinderwagen gestiegen und in den Fluss gefallen. Die Leiche von Leon wurde später auf einer Sandbank gefunden.
Gutachter schienen Anklage zu stützen
In dem Prozess spielten auch Gutachten eine wichtige Rolle. Ein Experte legte mit seiner Bewertung nahe, dass die Version des Verdächtigen nicht stimmen könne. Die Kopfverletzungen des 39-Jährigen seien für eine längere Bewusstlosigkeit nicht schwer genug gewesen, hieß es. Die Staatsanwaltschaft verwies unter Berufung auf IT-Experten darauf, dass der angebliche Unbekannte bei dem Raub nicht einmal versucht habe, das Handy des Angeklagten zu entsperren. Das Smartphone war in einem nahen Mülleimer gefunden worden. Es trug nach Angaben einer Gutachterin nur die Fingerabdrücke des 39-Jährigen.
Verteidiger säten Zweifel
Der Verteidigung ist es augenscheinlich gelungen, Zweifel an der Stichhaltigkeit der Aussagen der Gutachter zu säen. Manche Ergebnisse der Analysen der Gutachter seien zumindest interpretationsfähig. Ob die Wunden am Kopf eine Bewusstlosigkeit verursachen könnten? Nun, zumindest sei offiziell eine Gehirnerschütterung festgestellt worden, so die Verteidigung. Nicht ohne Eindruck blieb wohl ihr Plädoyer, im Zweifel für den Angeklagten zu stimmen.
Fall schien eindeutig
Zunächst schien der Fall eindeutig. Ein Raubüberfall - und seine für den Sohn tödlichen Folgen. Erst als die Ermittler auch nach monatelanger Suche noch keine Spur hatten, fiel der Verdacht mehr und mehr auf den Vater selbst. Sechs Monate nach dem Vorfall wurde er unter Mordverdacht verhaftet, das galt als sensationelle Wende.
Der Beschuldigte musste sich neben dem Mordverdacht auch wegen mutmaßlicher Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung verantworten. Ihm hätte bei einer Verurteilung lebenslange Haft gedroht.