52 Jahre nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen von München spricht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) von einem «schlimmen Verdacht» und einem «schlimmen Tag». Nachdem am Donnerstagmorgen in unmittelbarer Nähe des israelischen Generalkonsulats in der bayerischen Landeshauptstadt Schüsse fielen und dabei ein bewaffneter 18-Jähriger getötet wurde, gehen die Behörden davon aus, dass der junge Österreicher einen Terroranschlag verüben wollte.
Ob er sich entsprechend geäußert hat, bevor die Polizei ihn um 9.12 Uhr in einem Schusswechsel niederstreckte, ist unklar. Ebenso, ob Hinweise auf einen Anschlag bei ihm gefunden wurden. Nach Informationen der österreichischen Nachrichtenagentur APA war der 18-Jährige im Vorjahr bei der Staatsanwaltschaft Salzburg wegen Verdachts in Richtung einer terroristischen Vereinigung angezeigt worden. Der Mann mit bosnischen Wurzeln war demnach den österreichischen Behörden als mutmaßlicher Islamist bekannt. Ein Verfahren wegen Mitgliedschaft bei der radikalislamischen Terror-Miliz «Islamischer Staat» (IS) sei aber eingestellt worden, heißt es.
Israels Präsident entsetzt
Die Behörden äußern sich dazu zunächst nicht. Aber Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt - auch wenn die konkreten Hintergründe noch geklärt werden müssten: «Wenn jemand hier unmittelbar in Sichtweite zum israelischen Generalkonsulat parkt, dann mit dem Gewehr um dieses Generalkonsulat herum geht, da mit dem Schießen beginnt», sei das «sicherlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Zufall».
Israels Staatspräsident Izchak Herzog telefoniert mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und zeigt sich kurz danach auf X entsetzt über den Vorfall. Nur wenige Stunden nach den Schüssen spricht er von einem «Terroranschlag heute Morgen in der Nähe des israelischen Konsulats in München». Er schreibt: «Gemeinsam sind wir stark im Angesicht des Terrors.» Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zeigt sich schockiert: «Nach den jetzigen Informationen scheint es erneut einen islamistischen Hintergrund zu geben, wie bereits in Solingen vergangene Woche als drei Menschen von einem Attentäter ermordet wurden.»
«Der Schock sitzt tief»
Der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen wird nach Angaben des Münchner Polizeipräsidenten Thomas Hampel unmittelbar nach dem mutmaßlichen Anschlagsversuch nochmals verstärkt, Gebäude der Jüdischen Gemeinde werden zeitweise gesperrt. «Der Schock sitzt tief», sagt die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch - darüber, dass es mitten in München zu einem solchen Schusswechsel kommen kann und darüber, dass dies ausgerechnet am 5. September passiert, dem Jahrestag des Olympia-Attentats.
Zum Zeitpunkt des Schusswechsels war das Generalkonsulat laut dem israelischen Außenministerium wegen einer Gedenkveranstaltung zu diesem Jahrestag geschlossen. Damals - im September 1972 - erschossen palästinensische Terroristen im Olympischen Dorf in München zwei Männer und nahmen neun Geiseln. Rund 18 Stunden später endete ein Befreiungsversuch mit dem Tod der neun israelischen Geiseln, eines Polizisten und fünf Attentätern. Die Terroristen wollten damals mehr als 200 Gefangene in Israel und die RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof freipressen.
500 Polizisten im Einsatz
52 Jahre danach sind rund um das Konsulat in München etwa 500 Polizisten im Einsatz, sagt Innenminister Herrmann - vor allem am Morgen, als die Lage Anfangs noch unklar ist und zunächst noch niemand weiß, ob möglicherweise weitere mutmaßliche Täter in der Stadt unterwegs sind. Menschen verstecken und verbarrikadieren sich in Gebäuden.
Vor Ort sind ganze Straßenzüge abgesperrt. Über der Stadt kreist ein Hubschrauber, in den Dachluken von Polizeibussen stehen Polizisten mit Waffen im Anschlag. Die berühmten Kunstmuseen, die Münchner Pinakotheken, die sich in unmittelbarer Nähe befinden, bleiben zweieinhalb Stunden lang geschlossen. Fußgänger und Radfahrer, die den Ernst der Situation nicht schnell genug begreifen, werden harsch von den an anderen Tagen meist freundlichen Beamten zurückgebrüllt. Die Polizei gibt erst nach mehreren Stunden Entwarnung.
«Warnsignal für uns alle»
Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen mit drei Toten hatten die bayerischen Behörden erhöhte Wachsamkeit angekündigt - auch mit Blick auf das Oktoberfest, das in wenigen Wochen beginnen soll. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wendet sich in einer Stellungnahme an die Bundesregierung, fordert besseren Schutz der Bevölkerung, Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung, anlasslose Personenkontrollen. «Die Vielfalt der Anschläge in den letzten Tagen und Wochen», so sagt er, die mache ein Umdenken erforderlich. «München hat kurz den Atem angehalten», sagt Söder. Und: «Es bleibt aber, da darf sich keiner täuschen, ein Warnsignal für uns alle.»