Robert Habeck hat wieder seine berühmten Schautafeln dabei. Eine Pappe nach der anderen hält der Bundeswirtschaftsminister bei der Vorstellung des «Gleichwertigkeitsberichts 2024» in die Höhe. Die Botschaft: Es geht aufwärts, wirtschaftlich schwächere Regionen holen auf, die Lebensbedingungen in Deutschland gleichen sich an. «Der Bericht erzählt eine Geschichte von einer positiven Angleichung nach oben», sagt der Grünen-Politiker. Das ist die eine Seite. Doch erzählt der Bericht noch eine andere Geschichte: die von Unzufriedenheit, von Murren und Zukunftsängsten im Land.
Auf mehr 220 Seiten hat die Bundesregierung alle erdenklichen Daten zusammengetragen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Stadt und Land herauszufiltern, zwischen starken Regionen und schwächeren, zwischen Ost und West. Steht doch im Grundgesetz das Gebot der «Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse». Zudem wurden 31.000 Interviews geführt dazu, wie die Menschen selbst die Lage einschätzen. Beides zusammen sei «wirklich bedeutsam» und «Lektürestoff für die Sommerferien», sagt Habeck. «Ich halte das wirklich für ein entscheidendes Kompendium zu der Frage, wie es Deutschland geht.» Daran könne man auch die Förderpolitik neu kalibrieren.
In 27 von 38 Kategorien geht es laut Regierung aufwärts
Wirtschaft, Gesellschaft, Infrastruktur, Klima und Umwelt: In diesen Feldern vergleicht der Bericht insgesamt 38 «Gleichwertigkeitsindikatoren». Dazu zählen etwa das kommunale Steueraufkommen, die Arbeitslosenquote, die Zahl der Straftaten, die Geburtenrate und Lebenserwartung, die Erreichbarkeit des nächsten Supermarkts und der Anteil der Waldfläche an der Gesamtfläche der 400 Kreise und kreisfreien Städte.
In 27 der 38 Kategorien nähern sich laut Regierung die Verhältnisse an, bei vier weiteren ist der Trend nicht eindeutig. Bei sieben geht es auseinander. Dazu gehört etwa der Anteil von Fachkräften und Experten an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Auch bei der Wohngebäudedichte, dem Verhältnis von Kindern zu Kitaplätzen, dem Anteil der Einpersonenhaushalte und dem Altenquotienten wachsen die Unterschiede. Habeck betont, Sorge bereite vor allem der demografische Wandel. Will sagen: Regionen mit schrumpfender Bevölkerung stehen vor großen Herausforderungen.
Die Menschen haben trotzdem einiges auszusetzen
Im Befragungsteil des Berichts zeigt sich dann: Die Menschen schätzen die Situation teils ganz anders ein und sehen vor allem die Infrastruktur kritisch. «Verkehrsanbindungen und Mobilitätsangebote werden von lediglich 44 Prozent als gut beurteilt, gefolgt von der digitalen Infrastruktur mit 38 Prozent», heißt es zum Beispiel. «In Bezug auf die Ansiedlung und Gründung neuer Unternehmen schätzen bloß 35 Prozent der Befragten die Situation als gut ein.»
Weiter geht es mit der Möglichkeit, bezahlbaren Wohnraum zu finden: «Mehr als acht von zehn Befragten empfinden dies als sehr (42 Prozent) oder eher (41 Prozent) schwierig.» In Großstädten wird das noch deutlich kritischer gesehen als in ländlicheren Räumen. Und schließlich das Beispiel Bildung und Betreuung: «Lediglich 43 Prozent der Befragten stimmen voll und ganz oder eher zu, dass die Qualität der Schulen gut ist; nur 39 Prozent stimmen voll und ganz oder eher zu, dass die Qualität der Kinderbetreuung gut ist.»
Stimmung ist schlechter als die Lage - oder umgekehrt
Das Beispiel Kinderbetreuung nimmt Habeck auf, um auf die Stimmung im Land zu kommen. Wieder hält er ein Schaubild hoch - den Vergleich zwischen dem tatsächlichen Angebot von Kitas und Krippen und der Zufriedenheit mit dem Angebot. Daran zeige sich unter anderem: Während die Betreuung tatsächlich in den östlichen Bundesländern top sei, sei dort in einigen Regionen die Zufriedenheit nicht ganz so hoch. Umgekehrt sei das Angebot der Betreuung in Bayern schlechter, aber die Menschen nicht überall unzufriedener. «Die Lage ist manchmal so: Wir sagen ja manchmal, die Stimmung ist schlechter als die Lage, das stimmt für einen Teil. Aber manchmal ist die Stimmung auch besser als die Lage.»
Im Osten sei auch die wirtschaftliche Entwicklung derzeit stärker als im Westen, betont der Wirtschaftsminister. Und doch sei die wahrgenommene Wirklichkeit manchmal eine andere. Erklären lasse sich das nicht einfach. «Der Bericht hat keinen Psychologieteil», sagt der Minister. Er verweist auf die historischen Erfahrungen von Strukturwandel und Arbeitsplatzverlust. Seine Kabinettskollegin, Innenministerin Nancy Faeser, sagt es so: «Die Menschen sind krisenmüde.» Keine ganz neue Erkenntnis. Die SPD-Politikerin hält fest: «Gute und gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sind entscheidend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.» Das sei für sie echte «Heimatpolitik».
Kritik ist garantiert
Die Opposition will Erfolgsmeldungen der Regierung wenige Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ohnehin nicht so stehen lassen. «Allem Schönreden durch Minister Habeck und Ministerin Faeser zum Trotz: Der Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung ist kein Grund zur Freude, sondern sollte die Alarmglocken schrillen lassen», kommentiert die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek. Und Parteigründerin Sahra Wagenknecht meint gar: «Der Gleichwertigkeitsbericht ist die nächste Klatsche für die Ampel. Wohnen, Schulen, Verkehr, Gesundheit: Die Lebensverhältnisse waren in der Bundesrepublik vielleicht noch nie so ungleichwertig wie derzeit.»