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Nach Tötung von Hanija: Sinwar neuer Hamas-Anführer

Die islamistische Hamas hat einen neuen Führer. Er gilt als Drahtzieher der Anschläge vom 7. Oktober. Für Israel ist er der meistgesuchte Terrorist. Was bedeutet das für den Gaza-Krieg?
Jihia al-Sinwar
Hamas-Anführer Jihia al-Sinwar

Er gilt als Drahtzieher des beispiellosen Angriffs im Süden Israels vom 7. Oktober: Knapp eine Woche nach der Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija hat die islamistische Terrorgruppe den Hamas-Führer im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, zum neuen Anführer der Organisation bestimmt. Das teilte die Hamas auf der Plattform Telegram mit. Er sei nun der Leiter des politischen Büros der Hamas, hieß es. 

Der israelische Außenminister Israel Katz bezeichnete Sinwar als «Erzterroristen». Seine Ernennung sei ein «weiterer zwingender Grund, ihn schnell zu beseitigen und diese abscheuliche Organisation vom Antlitz der Erde zu tilgen», schrieb Katz auf der Plattform X.

Sinwar steht ganz oben auf der israelischen Abschussliste. Er lebt an einem unbekannten Ort im Gazastreifen - es wird vermutet, dass er sich in den Tunnels der Organisation unter dem abgeriegelten Küstengebiet versteckt hält. Seit dem 7. Oktober ist kein öffentlicher Auftritt von ihm bekannt. Sein Vorgänger Hanija residierte in Katars Hauptstadt Doha und galt als Chefdiplomat der Hamas.

Hanija war in der vergangenen Woche in einem Gästehaus der iranischen Regierung in Teheran getötet worden, wo er sich zur Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian aufhielt. Der Iran und die Hamas machen Israel für den Anschlag verantwortlich und drohen mit Vergeltung.

Todesstoß für die Verhandlungen um Waffenstillstand? 

Mit der Wahl eines Mannes zum neuen Hamas-Führer, der für Israel als Staatsfeind Nummer Eins gilt, dürften die Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine Freilassung der Geiseln im Austausch für palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen wohl noch schwieriger werden. 

Erste Reaktionen von Palästinensern im Gazastreifen fielen unterschiedlich aus. «Das bedeutet den Tod des politischen Prozesses und der Friedensgespräche», sagte ein Einwohner von Beit Hanun im Norden des Gazastreifens. «Ich weiß nicht, wie die Hamas es gewagt hat, dem größten Extremisten in der Bewegung zu wählen.» Ein Palästinenser im südlichen Chan Junis sah Sinwars Aufstieg dagegen als «logisches Ergebnis» an, nachdem Israel alle Vorschläge für eine Verhandlungslösung abgelehnt habe. 

Aus dem Gefängnis ins Politbüro

Sinwar saß mehr als zwei Jahrzehnte lang in israelischer Haft und lernte in der Zeit fließend Hebräisch. Er kam 2011 im Rahmen eines Austauschs gegen die Freilassung eines israelischen Soldaten frei und war bereits im April 2012 Mitglied des politischen Büros der Hamas im Gazastreifen, wo er 2017 bei internen Wahlen an die Spitze rückte. Seit diesem Zeitpunkt erstarkte auch der militante Hamas-Flügel beträchtlich.

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beantragte im Mai Haftbefehl gegen Sinwar, Hanija und Sinwars Stellvertreter Mohammed Deif. Er warf den Hamas-Führern unter anderem «Ausrottung» sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Sinwar gehört zur Gründergeneration der Hamas. Er wurde 1962 im Flüchtlingslager von Chan Junis im Süden des Gazastreifens geboren. Seine Familie stammt aus der Gegend der Küstenstadt Aschkelon, heute auf israelischem Staatsgebiet.

Sinwars früherer Stellvertreter Deif, der Kommandeur der Al-Kassam-Brigaden und damit des militärischen Flügels der Hamas, war im Juli Ziel eines israelischen Raketenangriffs geworden. Israel hatte ihn in der vergangenen Woche für tot erklärt. Hanija wiederum war vergangene Woche bei einem Attentat in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet worden.

Der Schlächter von Chan Junis

Als sich die Hamas während des ersten Palästinenseraufstands, der Intifada, Ende der 1980er Jahre im Kampf gegen die israelische Besatzung formierte, war Sinwar auch am Aufbau des militärischen Hamas-Arms, der Kassam-Brigaden, beteiligt. In den Anfangsjahren der islamistischen Bewegung war Sinwar für den Kampf gegen mutmaßliche Kollaborateure mit Israel in den eigenen Reihen zuständig. Dabei ging er so brutal vor, dass er als «Schlächter von Chan Junis» bekannt wurde.

Befürchteter Gegenangriff

Aktuell ist das israelische Militär in höchster Alarmbereitschaft. Das Land erwartet einen Vergeltungsschlag des Irans und seiner Verbündeten in der Region, darunter auch die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon. Teheran hatte nach dem Anschlag auf Hanija eine «harte Bestrafung» Israels angekündigt. 

Israel kann mit der Unterstützung der USA und anderer Verbündeter rechnen, wenn es darum geht, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen des Irans sowie seiner Stellvertretergruppen mit modernen Abwehrsystemen abzufangen. 

Bei dem Terrorangriff der Hamas und anderer extremistischer Gruppen im Süden Israels am 7. Oktober 2023 wurden rund 1200 Menschen getötet und 250 weitere in den Gazastreifen entführt. Seither führt Israel im Gazastreifen Krieg gegen die Hamas. Den Kämpfen sind aber auch unzählige palästinensische Zivilisten zum Opfer gefallen. Israel steht deshalb weltweit in der Kritik. 

 

 

 

 

© dpa
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