Am Ende steht Kamala Harris strahlend in einem Meer aus weißen, roten und blauen Ballons. Die Demokratin ist auf der Bühne umringt von ihrer Familie. Es regnet Konfetti, Musik dröhnt aus Lautsprechern, Tausende Delegierte johlen und jubeln. Es ist das Ende von vier Tagen Parteitag in Chicago voller Show mit Stars und Künstlern, mit diversen Liebeserklärungen und ganz großen Emotionen, um die neue Frontfrau und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zu zelebrieren. Und um sie zu inszenieren als Kämpferin für das Gute, als Beschützerin der Schwachen, gar als Retterin Amerikas.
Doch das große Spektakel und der choreografierte Freudentaumel der Demokraten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Harris schwer werden dürfte, sich bei der Wahl im November gegen ihren republikanischen Kontrahenten Donald Trump durchzusetzen. Die frühere First Lady, Michelle Obama, mahnte in Chicago, die Partei dürfe in ihrem Überschwang nicht zu siegesgewiss sein: «Egal, wie gut wir uns heute Abend oder morgen oder übermorgen fühlen, es wird ein harter Kampf werden.»
Das sind die größten Probleme für Harris:
Die Inhalte
Die 59-Jährige ist seit gut dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin Teil der Regierung von Joe Biden und steht mit in der Verantwortung für all das, was aktuell politisch nicht läuft. «Es gibt ja in der Tat ungelöste Probleme, so wie zum Beispiel die unkontrollierte Immigration», sagt etwa der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link. Ausgerechnet für Migration - genauer: für die Bekämpfung von Fluchtursachen - war Harris in den vergangenen Jahren zuständig – und es ist ein wichtiges Wahlkampfthema, bei dem Trump seine Konkurrentin vor sich hertreibt.
Bei anderen wichtigen Themen wie Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Inflation ist die Lage zwar nicht schlecht, doch in der Stimmung der Menschen schlägt sich das nicht nieder. Auch das ist für Harris ein großes Problem. Sie müsse nun «Wege finden, inhaltlich bei den Themen Sicherheit, Migration und Lebenshaltungskosten mit glaubwürdigen Vorschlägen zu punkten», meint Link. Ihr Paradethema im Wahlkampf wiederum hat Harris mit dem Kampf um das Recht auf Abtreibung gefunden, das sie als Frau deutlich besser vertreten kann, als Biden es je gekonnt hätte.
Die Performance
Als Staatsanwältin und Senatorin trat Harris in der Vergangenheit souverän und sicher auf. In ihre Vizepräsidentenrolle dagegen fand sie sich nie wirklich ein. Sie war in den vergangenen Jahren wenig sichtbar auf dem – zugegebenermaßen nicht ganz einfachen - Posten, konnte inhaltlich nicht punkten, machte Patzer, wirkte oft unsicher und verkrampft. Bis vor einigen Wochen galt sie noch als zusätzlicher Ballast für Biden in dessen Wahlkampf und hatte wie er mit dramatisch schlechten Beliebtheitswerten zu kämpfen.
Seitdem die Demokraten Harris als ihre neue Frontfrau auserkoren haben, hat sich ihre Beliebtheit im Land rasant verbessert. In Umfragen liegt sie nun knapp vor Trump – auch das ein großer Erfolg. Allerdings hat sich Harris in den vergangenen Wochen, seitdem Biden aus dem Rennen ausgestiegen ist und sie an die Spitze katapultiert wurde, ausschließlich in einem geschützten Raum aus bis ins Detail choreografierten und inszenierten Auftritten bewegt. Keine Interviews, keine Pressekonferenzen, keine Besuche an politisch heiklen Orten, keine Bewegungen auf unbekanntem Terrain.
Die Parteitagsshow ist der vorläufige Höhepunkt dieser Inszenierung. In den kommenden Wochen wird Harris sich in Situationen beweisen müssen, die nicht komplett der Kontrolle ihres Wahlkampfteams unterliegen.
Die problematischen «Swing States»
In den meisten der 50 US-Bundesstaaten ist das Rennen um das Präsidentenamt schon vor dem Wahltag gelaufen, weil die Wähler dort zuverlässig entweder für die Republikaner oder die Demokraten stimmen. Ein paar Staaten sind aber politisch hart umkämpft. In diesen «Swing States» werden teils extrem knappe Wahlausgänge erwartet: in Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, North Carolina, Georgia, Arizona und Nevada.
Harris und Trump konzentrieren ihren Wahlkampf fast ausschließlich auf diese Regionen. In diesen wenigen Bundesstaaten dürfte am Ende eine sehr kleine Zahl von Stimmen die Wahl entscheiden. Der Sieg Bidens in Georgia etwa wurde bei der jüngsten Wahl 2020 durch weniger als 12.000 Stimmen entschieden.
Der dritte Kandidat
Der parteilose Präsidentschaftsbewerber Robert F. Kennedy kündigte am Freitag an, in den besonders umkämpften Bundesstaaten aus dem Präsidentschaftsrennen auszusteigen und seinen Namen dort vom Wahlzettel streichen zu lassen. Gleichzeitig stellte er sich hinter Trump. Der Schritt schadet Harris.
Der Neffe des legendären Ex-Präsidenten John F. Kennedy ist bei der Präsidentenwahl zwar chancenlos - in Umfragen liegt er im Schnitt bei nur rund fünf Prozent. Da sich Harris und Trump in Umfragen aber ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, dürfte sein Ausstieg Trump in den sogenannten Swing States zugutekommen und ihm entscheidende Stimmen liefern. Da dieser Dämpfer unmittelbar nach der großen Krönungsmesse der Demokraten in Chicago kommt, nimmt es Harris auch etwas von ihrem dort gewonnen Schwung nehmen.