Wenn André Rieu den Bogen hebt, sanft über die Saiten seiner Stradivari streicht, dann liegt ein Hauch von Sehnsucht in der Luft. Alles swingt, die Musik zaubert bei den meisten ein träumerisches Lächeln aufs Gesicht, und bei manchem rollt eine Träne von der Wange.
75 Jahre alt wird der Maestro an diesem 1. Oktober. Seit fast 40 Jahren begeistert er sein Publikum weltweit. André Rieu ist der unbestrittene Walzerkönig. Ans Abdanken denkt er sicher nicht: «Ich werde 140 Jahre alt und bin also erst etwa auf der Hälfte», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Gerade erst beendete der Niederländer eine Tournee in Südamerika. Eine neue CD kommt heraus, und im nächsten Jahr steht die große Geburtstagstournee nach Deutschland an - zehn Konzerte von Hamburg bis München. Das hat wenig mit einem Platz «hinter den Geranien» zu tun, wie die Niederländer sprichwörtlich den Ruhestand nennen.
Champagner-Laune
Und warum sollte er auch.«Ich finde es wunderbar», sagt er. Und das strahlt er auch aus. Legendär sind die sommerlichen Freiluftkonzerte auf dem Vrijthof, dem historischen Platz in seiner Heimatstadt Maastricht. Tausend Lichter strahlen, elegante Paare schweben über die Bühne, und der Maestro mit seiner noch immer vollen Haarpracht im blütenweißen Hemd und dunklem Frack strahlt und gibt den Takt an: den Dreivierteltakt. Rieu und sein Johann-Strauß-Orchester versetzen Zehntausende Menschen in Champagner-Laune.
Und immer wieder ist es der Walzer. Was ist dran am Dreivierteltakt?
«In der klassischen Musik wird der Walzer ja nicht hochgeschätzt», sagt er. «Er ist zu leicht, hat zu viel Humor.» Aber leicht ist nicht gleich simpel, sagt der Musiker. «Man muss Walzer schön spielen, und es ist gar nicht so einfach, ihn mühelos und leicht klingen zu lassen.» Offenbar gelingt es ihm. Denn oft hält es das Publikum nicht auf den Stühlen und wagt es auch zwischen den Stühlen ein Tänzchen.
Die Liebe zum Walzer begann bei ihm als Kind, erinnert sich der Musiker. Sein Vater war Dirigent, und wenn der den Donauwalzer von Johann Strauss (Sohn) als Zugabe spielte, löste sich die ernste Stimmung, erinnert sich Rieu. «Die Menschen lächelten.»
Keine leichte Kindheit
André Rieu hatte keine einfache Kindheit und Jugend. Der Vater war streng und stellte hohe Anforderungen. Doch das hat dem Sohn die Liebe zur Musik nicht austreiben können. Im Gegenteil. Er machte sie auch zu seinem Beruf, aber eben ganz anders. «Meine Eltern mochten nie die Art, wie ich Musik mache», sagt er. Er möchte sein Publikum einbeziehen. «Ich möchte nicht "von oben herab" dirigieren, auf dem Pult, mit dem Rücken zum Publikum.»
Es dauerte lange, um die Wunden der Vergangenheit zu verarbeiten. «Mist aufräumen», nennt er das. Das tat er gemeinsam mit seiner Frau Marjorie, Tochter eines jüdischen Flüchtlings aus Berlin und einer Niederländerin, die dafür sorgte, dass er während des Krieges untertauchen konnte. Seit 50 Jahren sind beide ein Paar, sie haben zwei inzwischen erwachsene Söhne. «Meine Familie ist das Fundament für alles», sagt er. «Wir haben es einfach schön miteinander.»
Und das auch stilvoll: bei Maastricht im eigenen Schloss aus dem 15. Jahrhundert. Einst soll dort D'Artagnan gewohnt haben, einer der Drei Musketiere.
Die Liebe zur Musik und zur Geige blieb. Musik ist für ihn eine Herzensangelegenheit. «Ich kann keine Musik machen ohne Gefühl», sagt er, und das spricht viele Menschen an.
Nicht nur Walzer
Inzwischen ist sein Repertoire weitaus größer als Walzer: Oper, Musical, Film, Pop. Er selbst ist ein großer Fan von Popmusik. Wenn man ihn nach Favoriten fragt, dann nennt er spontan: «Queen und Bruce Springsteen.»
Längst ist der Musiker fast so ein Superstar wie der «Boss». Er gab weit über 3.000 Konzerte in 45 Ländern, hat Millionen Fans auf den sozialen Netzwerken, füllt Fußballstadien und verkaufte über 40 Millionen Alben. André Rieu - das ist auch ein Millionen-Unternehmen in Familienhand.
Besondere Beziehung zu Deutschland
Rieu hat eine ganz besondere Beziehung zu Deutschland – auch durch seine Frau Marjorie, die früher Deutschlehrerin war. «Sie verbessert immer noch mein Deutsch.» Das aber ist kaum vorstellbar. Schließlich ist Deutschland nach so vielen Jahren fast schon eine zweite Heimat für ihn. Und auf der Bühne plaudert der Maestro mit charmantem Akzent in mehreren Sprachen. Genauso mühelos verbindet er Mozart und Musical, Abba und Johann Strauss. Locker, leicht und immer mit feinem Humor.
Und der Maestro ist immer wieder für eine Überraschung gut: 2023 holte er die 15-jährige Emma Kok zu sich auf die Bühne. Die talentierte Niederländerin eroberte mit dem Song «Voilà» die Herzen der Zuschauer. Es war der Senkrechtstart ihrer Karriere.